Kreuzberger Chronik
Juni 2025 - Ausgabe 270

Mühlenhaupts Erinnerungen

Die Kesselpauke


linie

von Kurt Mühlenhaupt

1pixgif
Eines Tages kam ein Doktor in meine Trödelhandlung und suchte eine alte Schreibmaschine. »Na«, sagte ich zu dem Jungen, der neben ihm stand, »die soll wohl für dich sein. Dann spring mal nach oben und such dir eine aus.«

Ich wollte dem Doktor meine Bilder zeigen. Vielleicht hatte ich als Maler Glück und konnte ihm eines meiner kleinen Brettchen verkaufen. Da hörten wir plötzlich einen furchtbaren Krach. Mein Gott, dachte ich, jetzt hat er die alte Kesselpauke gefunden. Wir eilten nach oben und sahen, wie er wild drauflosschlug. »Der Junge ist ausgeschlafen«, sagte ich. »Was wollen Sie denn?«, sagte der Doktor, »das ist doch genau das Richtige! Was soll sie kosten?« - »So ein Instrument kostet weit über 1000 Mark, aber weil der Junge so schön drauf lärmt, lasse ich Ihnen die Pauke für 300!« - »So viel wollte ich nicht ausgeben«, sagte er, »aber laden Sie die mal in mein Auto. Dann haben wir erst mal unsere Ruhe.« Sein Mercedes stand vor der Tür. (...)

Er zahlte und fuhr mit der Pauke nach Hause. Dort beglückte der Junge wahrscheinlich nicht nur seine Mutter. Er wird sie alle traktiert haben, alle, die im Haus und in der Nachbarschaft wohnten. Und es kam, wie es kommen musste: Keine drei Tage vergingen, da erschien der geplagte Vater wieder in meiner Trödelhandlung und sagte: »Sie haben doch einen Ankauf von verschiedenen Gegenständen, wie draußen zu lesen ist.«- »Was haben Sie denn anzubieten?«, wollte ich wissen. »Doch nicht etwa eine Kesselpauke?«

»Sie müssen ein Hellseher sein, Herr Mühlenhaupt. Was zahlen Sie denn?« - »Nichts«, sagte ich, »es sei denn, Sie lassen die Pauke neu beziehen. Der Junge hat sicher mit irgendwelchen spitzen Gegenständen, vielleicht mit einem Feuerhaken, drauf herum geschlagen.« - »Woher wissen Sie das?«, fragte er. »Das mit dem Feuerhaken stimmt. Es war aber nicht der Junge, sondern meine Frau. Sie konnte den Lärm nicht mehr ertragen.« Da ich keine Anstalten machte, für das Wrack auch nur eine Mark zu bezahlen, ließ er die Pauke einfach stehen.

Nach etwa 20 Jahren sahen wir uns wieder. »Was macht denn der Junge?«, wollte ich wissen. »Sie können sich noch erinnern?« - »Sie kamen doch damals zu mir und wollten eine Schreibmaschine für ihren intelligenten Sohn. Der hatte aber an dem Krach einer Kesselpauke mehr Spaß.« - »Richtig«, sagte er. »Er hat Medizin studiert und will demnächst am Hermannplatz eine Praxis für Hörgeschädigte aufmachen.« - »Gott geht manchmal seltsame Wege!«, sagte ich.


zurück zum Inhalt
© Außenseiter-Verlag 2025, Berlin-Kreuzberg