Juni 2025 - Ausgabe 270
Frisch von der Leinwand
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Der Meister und Margarita
von Erwin Oswald |
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Zwischen Fiktion und Wirklichkeit Ach, wie oft haben wir das schon erlebt! Haben - auch dreißig Jahre nach der Lektüre eines Buches - noch ganz deutliche Bilder vor Augen. Waren zum Beispiel fasziniert von dieser geheimnisvollen weiblichen Gestalt der Margarita, die zwinkernd alle staatlichen und physikalischen Gesetze überwand. Man musste diese Figur lieben, die aus der nüchternen Realität plötzlich in die Phantasie entschwebte und sich im Laufe der Erzählung als Hexe entpuppte. Und auch ihren Meister musste man lieben, den bleichgesichtigen Intellektuellen in diesem verschlissenen Anzug, wie ihn die meisten dieser genialen und brotlosen Intellektuellen Russlands so oft trugen. Der Meister und seine Margarita waren schillernde Figuren, aber sie waren nicht bunt, sie waren schwarz weiß, schwarze Buchstaben auf weißem Grund. Und nun, hundert Jahre, nachdem das Buch erschien, erscheint das schwarz-weiße Paar auf der Leinwand. Und der erste Auftritt von Margarita im Film ist tatsächlich gut. Denn man sieht sie nicht. Sie ist noch unsichtbar, sie könnte die Margarita unserer alten Phantasie sein. Man sieht stattdessen ein vornehmes Zimmer, Gemälde an der Wand, wertvolles Porzellan, dann ein Fenster, das den Blick freigibt auf das nächtliche Moskau der Zwanzigerjahre. Dann reißt ein heftiger Windstoß das Fenster auf, bläht die Gardine auf, die eine vage, luftige Gestalt anzunehmen scheint und durchs Zimmer wirbelt, wütet wie ein Sturm, mit Geisterhand nach einem Messer, einem Hammer greift und wütend die Requisiten sattbürgerlicher Lebensweise zerschlitzt und zerschlägt - begleitet von lustvollem, lautem Kichern und Lachen: dem Lachen Margaritas. Ja, sagt sich der Leser von damals, so kann man Margarita im Kino zeigen, ohne ihr das Geheimnisvolle zu entreißen. Doch in der nächsten Szene sind wir in der Realität. Wir wohnen einer Schriftstellerkonferenz bei und erleben, wie schwer es Poesie und literarische Phantasie in der realsozialistischen Literatur hatten. Wie der Nonkonformist aussortiert wird und in seinem dunklen Souterrain immer tiefer in seine Phantasie abtaucht. Und wir sehen Margarita. Wir sehen, wie die geheimnisvolle Frau den armen Dichter mit ihrer Schönheit fasziniert, verzaubert, rettet, und sogar zu einem Roman inspiriert, einem Roman über Margarita und ihn. Doch so bildgewaltig und gespenstisch Szenen und Kulissen im Film auch sein mögen: Es lässt uns alles seltsam kalt. Es ist uns egal, ob das Paar zusammenfindet. Zu oft verschwimmen die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit, zwischen dem Roman, an dem er schreibt, und der „wahren“ Welt, als dass wir in der Lage wären, Sympathie und Mitgefühl zu entwickeln. So verendet der Film in einer Aneinanderreihung klischeehafter Vorstellungen vom armen Poeten, vom bösen Staat und der schönen Frau. Und wird irgendwie grau und farblos. Nichts ist so bunt wie schwarze Buchstaben auf weißem Papier. Ach, wie oft haben wir das schon erlebt! |









