Kreuzberger Chronik
Februar 2025 - Ausgabe 266

Helmut

Die Passantin (1)


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von Hans Korfmann

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Eigentlich gehörte Helmut in die Oberstadt, nach 61, ins feinere Kreuzberg südlich des Landwehrkanals. Dort, in der Zossener Straße, hatte er seine Werkstatt, hier war der Leierkasten gewesen, sein zweites Zuhause, und in der Yorckstraße die Nulpe, sein drittes Zuhause, und das Yorckschlösschen, sein viertes…

Zuletzt wohnte er in 36 am Kottbusser Damm in einem dunklen, immer feuchten Hinterhof, in dem noch eine uralte Wasserpumpe stand. Er wohnte drei Treppen, schmale, dunkle Treppen, wie er die Klaviere dort hoch geschafft hatte, war allen ein Rätsel. Das Küchenfenster und ein Zimmer, das als Lager für Teile verschiedenster Musikinstrumente diente, gaben den Blick auf den Hof frei, das zweite Zimmer lag zum Schulhof hin, wo er den Turmfalken zusah und auf sie schimpfte, wenn sie die Singvögel jagten. Pianisten lieben Singvögel.

Seine Freunde empfing er gerne in der Ankerklause am Kanal, im Winter drinnen im verrauchten Lokal, vor sich das obligate Glas Rotwein und Tabakbrösel, die aus seinem immer leeren Tabakbeutel bröselten. Alle Kellnerinnen und Kellner kannten ihn und grüßten, ein bisschen war es wie in französischen Filmen. Im Sommer saßen wir draußen in der Sonne und redeten über Gott und die Welt, ein Wort ergab das andere. Es war ein bisschen wie im französischen Film.

Einmal, mitten in der Rede, brach er ab. Eine Frau ging vorüber. Eine schöne. »Oh, die kenne ich«, flüsterte er, »schau nicht hin, tu so, als sähest du sie nicht.« Aber sie hatte ihn längst erkannt und kam an den Tisch. »Hallo, was machst du, wie geht es dir….« – Helmut war noch nie so wortkarg gewesen. Sie stellte zwei oder drei Fragen, dann gab sie auf und ging weiter.

»Wer war das?«, fragte ich. »Mit der war ich einmal verheiratet! Lange her.«, sagte er. »Wann hast du sie das letzte Mal gesehen?« – »Vor ein paar Jahren. Sie ist verrückt!« – »Das sagst du über alle Frauen!« – »Aber die wirst du nicht mehr los!«, sagte er.

Er hatte nie erzählt, dass er mit einer Portugiesin verheiratet gewesen war. Er wollte auch jetzt nicht darüber reden. Aber dann erzählte er doch, wie sie sich kennenlernten, dass sie einen Freund hatte, der sich seinetwegen das Leben genommen hatte, und wie leid ihm das tat bis heute. Und dass sie immer furchtbar eifersüchtig gewesen sei und manchmal vollkommen außer sich, und dass sie ihm einmal, als er im Streit die Wohnung verlassen hatte, vollkommen nackt hinterhergelaufen ist bis zur Bushaltestelle. Damals, in Lissabon. Alles wie im französischen Film.

Ich war begeistert. Helmut nicht. Obwohl er solche Geschichten aus dem Leben liebte. Jedenfalls, so lange es französische waren.


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