Februar 2025 - Ausgabe 266
Geschichten, Geschichte, Gerüchte
Die letzte Sitzung der Schriftsteller ![]() von Werner von Westhafen |
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![]() Im Landesarchiv der Stadt Berlin findet sich eine Genehmigung der Theaterpolizei von 1914 für die Aufführung eines Theaterstückes der Gemeinde Heiligkreuz in den Kammersälen, auch der Film-Palast Kammersäle mit 650 Plätzen, täglichen Aufführungen und einer sechsköpfigen Kapelle im Graben wird erwähnt. In Carl von Ossietzkys gesammelten Schriften aber findet sich unter dem Titel Bayern-Gastspiel in Berlin ein Text über eine Rede Wolf Dietrich von Xylanders. Der aus einem alten Adelsgeschlecht stammende Oberst erhielt anlässlich des 10. Jahrestages des Hitlerputsches 1933 den Blutsorden, 1942 das Deutsche Kreuz in Gold und nach seinem Absturz mit dem Flugzeug an der russischen Front am 20. Februar 1945 posthum auch noch das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes. Ossietzky, Herausgeber der Weltbühne, wurde 1936 für seinen konsequenten Widerstand gegen Hitlers Aufrüstung mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Über den Auftritt Xylanders in den Kammersälen Anfang der Zwanziger Jahre schrieb er: »Man merkt es schon an der Ecke der Teltower Straße, daß an dem Abend die Deutschnationalen die Kammersäle beherrschen. Händler mit Bildern des ehemaligen Kaisers und der Kaiserin, Zeitungen, Flugblätter. Drinnen im Saale ist es knüppeldick voll. Bunte Mischung. Viel Vollbärte, viel Damen in schwarzem Crêpe, die nachher bei den antisemitischen Witzen vor Lachen wiehern.« Mit bissiger Ironie beschreibt er den ersten Redner der Veranstaltung, »Herrn Dr. Oberfohren aus dem Lande der Teutonen. Embonpoint, Glatze. Er schreit, schlägt mit den Armen um sich, ruft Rache über eine Regierung, die die nationale Würde preisgebe ..., schwitzt Gesinnung aus allen Poren« und behauptet, man wolle doch gar keinen Revanchekrieg, und es würde »ein neuer Frühling kommen«. Ossietzky bemerkt dazu: »Hinter mir in der Ecke regt sich der Frühling schon. Ein Jungbaldur schreit immer wieder: Raus mit den Juden! - und ist nur mühsam zu beruhigen.« Dann kommt Herr Oberst v. Xylander, »Schlanke, straffe Erscheinung. Graumelierter Kopf. Er spielt den autochthonen Bayern. Laute, helle Kommandostimme: »Deutsche Männer und Frauen!« (Es hat so einen Unterton, wie: Kerl, nehmen Sie die Knochen zusammen!) Bald verliert sich der Eindruck des Militärischen; zurück bleibt ein vorzüglich geölter Demagoge, der die Kunst des Leisesprechens mit perfiden Dehnungen glänzend heraus hat.« Xylander behauptet, dass die Berliner Presse Lügen verbreite und »Bayern systematisch verleumde«. In Bayern herrsche keine Reaktion, sondern eine bürgerliche Koalition, in der die Sozialisten fünfzig Abgeordnete stellen dürften, von denen allerdings etliche im Gefängnis säßen und dort auch noch lange sitzen würden. »Tosender Beifall« von den Rängen. Xylander, seiner Zeit voraus und schon damals den Tonfall der CDU-Prominenz des Jahres 2025 anstimmend, schließt mit der Bemerkung, die Regierung trete die nationale Ehre mit Füßen und handle »nach der Manier von Teppichhändlern.« Ossietzky dazu: »Damit geriet der Herr Oberst endgültig ins Fahrwasser antisemitischer Rüpeleien... . Der Beifall nahm riesenhafte Dimensionen an.« Jahre später, am 21. Februar 1933, stand Ossietzky selbst auf der Bühne der Kammersäle und erntete tosenden Beifall. Es war die letzte Sitzung des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller, der für die Meinungs- und Redefreiheit im Nationalsozialismus kämpfte. Zu seinen Mitgliedern gehörten die Großen der deutschen Literatur, unter ihnen Thomas Mann, Erich Kästner, Alfred Döblin, Hermann Kesten. »Wir wissen nicht, was im Einzelnen geschieht.«, sagte Carl von Ossietzky. »Aber das eine wollen wir uns heute gegenseitig in die Hände geloben, daß wir, ganz gleich wohin wir auch in den nächsten Tagen und Wochen verschlagen werden, in die Gefängnisse, Zuchthäuser, Konzentrationslager oder in die Emigration, uns selber treu bleiben werden. Wir werden keine Konzessionen machen und überall dort, wo ein Geßlerhut aufgesteckt wird, in schweigender Verachtung vorübergehen.« Fünf Tage nach Ossietzkys Rede brannte der Reichstag. Viele Schriftsteller verließen spätestens jetzt das Land. Die, die blieben, wurden verhaftet, viele starben. Unter ihnen auch Erich Mühsam, der am 21. Februar in den Kammersälen prophezeit hatte: »Und ich sage euch, dass wir, die wir hier versammelt sind, uns alle nicht wiedersehen. Wir sind eine Kompanie auf verlorenem Posten. Aber wenn wir hundertmal in den Gefängnissen verrecken werden, so müssen wir heute noch die Wahrheit sagen, hinausrufen, dass wir protestieren.« ![]() ![]() |