April 2025 - Ausgabe 268
Reportagen, Gespräche, Interviews
40 Jahre Mehringhoftheater ![]() von Ina Winkler |
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![]() Marc Uwe Kling wusste nicht, dass er beim Chef einer kleinen Theaterbühne geklingelt hatte, der ständig auf der Suche nach neuen Kabarettisten war. Drei Tage später, nach dem Abhören der CD, fragte Christian Luschtinetz den neuen Nachbarn, ob er nicht Lust habe, im Mehringhof-Theater aufzutreten. Es dauerte nicht sehr lange, da wurde einer dieser Auftritte von Marc Uwe Kling live im Radio übertragen. Und dann erschienen die Känguru Chroniken. Inzwischen hat der schwäbische Nachbar mehr als 3 Millionen Känguru-CD´s verkauft und füllt nicht nur die Hinterhofbühne an der Gneisenaustraße, sondern auch die Volksbühne oder die Alte Oper in Frankfurt. Marc Uwe Kling ist nur einer von vielen, denen das Mehringhof-Theater Glück gebracht hat. Till Reiners, Sarah Bosetti, Rainer Kröhnert, Volker Pispers…., einige Stars der Kabarettszene hatten im schmucklosen Hinterhof ihre ersten Auftritte vor größerem Publikum und hielten der Spielstätte Jahrzehnte die Treue. Zwischen den prominenten Altstars blieb dabei stets genug Platz für Nachwuchs, darunter solche Senkrechtstarter wie Lennart Schilgen. Andreas Wahl, der seit 40 Jahren in den Vorstellungspausen hinter dem Tresen steht, weiß es noch genau: »Beim ersten Auftritt von Lennart im Frühling waren vielleicht so 30 Leute hier. Im Dezember waren die Vorstellungen schon komplett ausverkauft! - Solche Geschichten hatten wir öfter.« Christian Luschtinetz & Andreas Wahl haben ein sicheres Gespür für aufgehende Sterne am Kabaretthimmel. Das bemerkte auch Fixstern Dieter Hallervorden, der sich gerne unter´s Publikum mischte, wenn er neue Nummern für seine Wühlmäuse in brauchte. »Der hat uns so einige Stars abgeworben!« Weil Hallervorden etwas dagegen hatte, wenn die Künstler im Kreuzberger Hinterhof zur selben Zeit für den halben Eintritt auftraten. Doch nicht alle haben sich kaufen lassen. Horst Evers zum Beispiel oder Phil sind dem Mehringhof bis heute treu geblieben. »Die sind hier Zuhause. Und wenn sie ein neues Programm ausprobieren wollen, dann machen sie das am liebsten hier.« Obwohl Luschtinetz & Wahl schon lange im Geschäft sind und eine gewisse Routine entwickelt haben, kommt der Erfolg auch für sie oft noch plötzlich und unerwartet. So wie bei Jean-Philippe Kindler zum Beispiel. »Der hatte irgendwann was ins Netz gestellt, ohne sich groß Gedanken darüber zu machen, und dann ging es los. Dann hatte der plötzlich zigtausend Follower«. Das ist nicht ungewöhnlich. Schon etwas ungewöhnlicher war es, dass sich die digitale Gefolgschaft dann tatsächlich die Schuhe anzog, Haus und Handy verließ und ihrem Star bis ins real existierende Theater am Mehringdamm folgte. »Auf einmal war der Laden voll!«, erinnert sich Luschtinetz. »Das sind ganz neue Karrierewege. Die Zeiten, als Künstler noch die Ochsentour machen und sich von den Provinzbühnen bis nach Berlin hinaufspielen mussten, die sind vorbei. Die bringen heute ihre Gäste schon mit!«, lacht Wahl, und Luschtinetz ergänzt: »Dadurch haben wir auch ein völlig anderes Publikum. Früher kamen die Leute und hatten kaum eine Ahnung, was sie erwartet und wer da vorne steht! Die hatten was von Freunden gehört oder in der zitty gelesen und waren dann neugierig.« Oder sie wussten: Luschtinetz & Wahl haben ein Gespür für Talente. Der Name Mehringhof war für viele ein Qualitätssiegel. Heute läuft das anders. Da kommen Agenten und verweisen auf »250.000 Follower bei TikTok und 150.000 bei Instagram.« Den meisten Saalvermietern reicht das. Die Zeiten des politischen Anspruchs auf Kabarettbühnen sind vorbei, Pershing II und Atombomben sind in der Comedy-Szene kein Thema mehr. Auch, wenn gerade auf Teufel komm raus aufgerüstet wird. Influencer erobern die Bühnen. Kürzlich bot eine Köchin dem Theater ihre Dienste an. »Die Frau hat noch nie vor Publikum gestanden, aber im Netz ist die total erfolgreich. Obwohl die nur in ihrer Küche steht und kocht und nebenbei was Witziges erzählt. Die ist komplett banal, aber Zigtausend verfolgen die dabei.« Wahrscheinlich würde ihre Kochshow auch den Mehringhof füllen. Aber das Mehringhof-Theater ist kein Fernsehsender. Geld ist nicht alles für zwei, die 40 Jahre lang Theater machen. Die in den Achtzigern selbst auf der Bühne standen und »diese Berliner Gründerjahre« miterlebt haben, »als die taz und die Ufa-Fabrik gegründet« wurden. Und als ein paar Berufsschullehrer sich die alte Fabrik der Berthold-AG an der Gneisenaustraße kauften. Die Fabrik wurde nicht nur zur Schule, sondern zur Heimstatt legendärer Kneipen, alternativer Buchläden und Verlage und eines politisch korrekten Theaters. Der Mehringhof wurde zum Aushängeschild des alternativen Stadtlebens. Die Geschichte des Mehringhof-Theaters und seiner Gründer ist typisch für die Kreuzberger Siebzigerjahre. Christian Luschtinetz kam nach Berlin, um der Bundeswehr zu entkommen, studierte Betriebswirtschaft, Publizistik und Theaterwissenschaften, spielte Gitarre, trat in Kneipen auf und fuhr 1976 für ein Praktikum nach England, wo er abends durch Londons Kneipen und Folkclubs zog. Er hatte schnell heraus, wie man an Restkarten fürs Theater kam, saß »in der ersten Reihe von Oh! Calcutta! Ein Skandal!« Luschtinetz schmunzelt noch heute, wenn er an die vielen nackten Brüste auf der Bühne denkt. John Lennon hatte komponiert, Samuel Beckett einen Text geliefert. Heute würde die Presse sie in Stücke reißen. Das Studieren ließ Luschtinetz irgendwann sein, auch die steile Karriere als Gitarrist blieb aus. »Also haben wir bei den Konzerten angefangen, Witze zu machen. Das kam besser an!« 1983 stand Christian Luschtinetz mit der Compagnia Mastodontica erstmals als Kabarettist auf der Weltbühne über dem Max und Moritz in der Oranienstraße. Zum Eröffnungskonzert kam Bettina Wegner, »damals ein echter Star. Die Leute saßen auf der Bühne, weil im Saal kein Platz mehr war.« Doch es gab Stress mit den Vermietern, nach einem Jahr war Schluss. Glücklicherweise gab das Cabarett des Westens, genannt CaDeWe, seine Spielstätte auf dem Mehringhof auf: eine kleine Bühne, Tresen und Toiletten, 300 Schulstühle und der alte Lastenfahrstuhl der Firma Bert-hold, der den Fotografen regelmäßig als Hintergrund für die Stars der außergewöhnlichen Spielstätte diente. Was fehlte, war die Technik. Die Investition war ein Wagnis für drei mittellose Studenten, doch am 1. April 1985 ging das Mehringhof-Theater an den Start. Matthias Deutschmann trat auf, die skurrile PreddyShowCompany, die schon in der Oranienstraße für Furore gesorgt hatte, die Wilde Mischung, das Aktionskabinett und die Compagnia Mastodontica mit Jörg Born, Peter Maaßen und Christian Luschtinetz. Luschtinetz aber zog sich allmählich von der Bühne hinter das Technikpult oder die Kasse zurück, um sich in aller Ruhe über Kabarettisten wie Sigi Zimmerschied zu amüsieren, den Dr. Seltsam in der taz wie folgt beschrieb: »Derbe Glieder, Bauernfigur, unschicke Klamotten, Rupfenhaare und Bierbauch, Schwitzen und Granteln – so einer wäre in Berliner Szenekneipen schnell als Provinzler entlarvt. Abends im Mehringhof-Theater aber entlarvt er uns die Provinz!« Die Bühne im ersten Stock zog bald die Hochkaräter des politischen Kabaretts an. »Sie waren alle da!«, zitierte anlässlich des 20jährigen Jubiläums die Morgenpost in der Überschrift die erfolgreichen Bühnengründer und nannte die großen Namen: Joseph Hader, Arnulf Rating, Kurt Krömer, Frank Goosen, Manfred Maurenbrecher, und neben den Alleinunterhaltern Gruppen mit so unvergesslichen Namen wie Zwei Drittel, die Schwabenoffensive, die Nestbeschmutzer oder die Scheinheiligen. In ihren Programmtiteln fragten sie: »Gibt es ein Leben über 40?« oder »Alles nur Spaß?«, erinnerten mit »Im Namen der Hose« oder in »Jenseits von Reden« an berühmte Filmtitel oder machten aus einem politischen Gipfeltreffen ein »Zipfeltreffen«. Titel, die bis Heute nichts an Brisanz verloren haben . Leer blieb es bei den großen Namen nie. Ausgenommen die Vorstellung von Matthias Deutschmann: »Von 120 vorbestellten Karten wurden etwa 30 abgeholt.« Es war der 10. November 1989, die erste Nacht nach dem Mauerfall, und »wer nachmittags am Schöneberger Rathaus Kohl, Momper, Brandt und Wohlrabe die Nationalhymne hatte krächzen hören, der brauchte am Abend kein Kabarett mehr!« Den Besucherrekord hält seit 1987 der Bayer mit den Rupfenhaaren und 260 besetzten Plätzen pro Vorstellung. Die meisten Auftritte absolvierte Phil. Er brachte es in 32 Jahren auf über 800 Vorstellungen! Für Luschtinetz & Wahl gehört Phil längst dazu. Kürzlich kam der späte Vater direkt aus der Kita in den Mehringhof und hätte losheulen können über so eine jungalternative Ökomutter, die ihn an der Garderobe wegen eines falschen Trinkschälchens zum Wahnsinn gebracht hatte. Andreas und Christian haben sich alles geduldig angehört und ihm auf die Schultern geklopft. Am Abend lachten sie Tränen, als Phil die Geschichte im Abendprogramm erzählte. »Bei Phil weiß man nie, was passiert.« Die Übergänge zwischen Performance, Improvisation und einstudierten Nummern sind fließend. »Deshalb muss er auch immer auf die Uhr schauen. Das läuft nie nach Plan, der weiß gar nicht, wo im Programm er gerade ist.« Phil ist das Gegenteil von jenen Fernseh-Langweilern, die vor der Kamera die Texte vom Bildschirm ablesen. 32 Jahre ist es her, dass Luschtinetz & Wahl in der Scheinbar in der Monumentenstraße saßen, wo Phil Taegert, der Zeichner des Comicpärchens Diddi und Stulle aus der zitty, sich gerade mit der Gitarre ausprobierte. Ein paar Tage später spielte er im Mehringhof-Theater. Er wird beim Jubiläum nicht fehlen, und er wird wahrscheinlich so lange weitermachen wie Wahl & Luschtinetz. Und die sagten schon anlässlich des 20. Geburtstages, was sie eigentlich auch nach der Aufgabe ihres Studiums hätten sagen können: »Wir machen weiter Theater. Was sollen wir denn sonst machen?« Und es macht ja immer noch Spaß. »Der einzige Abend, den ich bereue, ist der mit Joseph Hader. Weil ich nicht dabei war!« Christian Luschtinetz war im Urlaub, die ganze Woche über. Die schmerzverzerrte Miene macht deutlich, dass er das ernst meint. Das war 1992, Haders Programm hieß »Bunter Abend«. Er spielte einen abgefuckten Entertainer, der keine Lust mehr hat »und mit einer jämmerlichen Orgel und einer Lichterkette, die immer ausfällt, auf der Bühne steht. Das war genial!« Andreas Wahl kommt heute noch ins Schwärmen. Also müssen sie weitermachen. Mit ihren handverlesenen Künstlern, mit Phil und Kling, Maurenbrecher und Evers, ohne Rücksicht auf Algorithmen. Zahlen sind langweilig, die roten wie die schwarzen. Zahlen können ihnen keine Emotionen entlocken. Doch wenn sie von ihren Künstlern sprechen, dann werden sie wach. Dann reden sie plötzlich wie die Niagarafälle. Auch nach vierzig Jahren noch. ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |