Kreuzberger Chronik
April 2025 - Ausgabe 268

Kreuzberger
Naim Akca

Ich war immer unsichtbar


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von Horst Unsold

Titelfoto: Sönke Tollkühn

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Dieser Mann macht keine halben Sachen. Als Fußballer zum Beispiel wollte er Tore schießen. Nur mit Toren kann man gewinnen. Also spielte er ganz vorne, rechtsaußen, im Sturm von Eintracht Südring, und wird 1984 mit der Jugendmannschaft Kreuzberger Meister. »Wir waren immer gut, wir haben gegen die Kreuzberger Amateure gewonnen und gegen Hansa 07, lauter gute Mannschaften.« Noch nach dreißig Jahren erinnerten sich die Sportkollegen an ihre ehemalige Nummer 7 und riefen an und fragten, ob er der Naim sei, der damals bei der Eintracht im Sturm stand und 1988 in der Türkei das entscheidende Tor gegen die Jugendmannschaft von Konya Spor - »die waren damals in der 1. Liga!« - geschossen hatte. Und der in diesem bekannten griechischen Restaurant arbeitet.


Naim in der ersten Reihe, der zweite von links, mit Mannschaft und Trainer Michael Schrader - Foto: Privat
Genau der ist er. Und auch im Restaurant arbeitet dieser Mann mit der gleichen Gewissenhaftigkeit und Leidenschaft wie auf dem Fußballplatz. Allerdings nicht in der ersten Reihe. Eher ganz hinten, in der Küche. Naim Akca hat sein halbes Leben am Herd verbracht, und wenn ein Gast daran zweifelt, dass er ein Meister seines Metiers ist, dann zieht er die Stirn in Falten. Kürzlich zum Beispiel: Der Kellner kam in die Küche und sagte: »Ein Duroc-Schweinekotelett. Aber bitte darauf aufpassen, dass es nicht trocken wird. Sonst isst er das nicht.«

Die Falten auf Akcas Stirn waren abgrundtief: »Hat der dir das wortwörtlich so gesagt?« – »Ja, genau so.« - Der Koch drehte sich schweigend um, briet das Kotelett so, wie er es immer briet, und schickte es mit dem Kellner hinaus. Doch fünf Minuten später verließ Akca die Anonymität seiner Küche. »Da saßen so etwa zehn Leute am Tisch. Ich gehe hin und sage: »Schönen Guten Tag, willkommen bei uns im Restaurant, ich hoffe, es schmeckt Euch auch allen, meine Lieben…« – Und dann schaue ich, wer das Kotelett auf dem Teller hat und stelle mich neben ihn. Ich brauchte gar nicht zu fragen, der wusste genau, warum ich da war. Und dann sagte er: Das Fleisch ist perfekt, ganz toll!« Das war ein Volltreffer! Mindestens so gut wie das Tor gegen Konya Spor.

Naim Akca ist der geborene Koch. Ihm stieg das Aroma gebratenen Fleisches schon als Säugling in die Nase. Saim, der Vater, einer der ersten türkischen Einwanderer in Berlin, war der Wirt des Restaurants Antalya in der Friesenstraße. Seine Familie wohnte, wie damals üblich, in der Wohnung darüber, in 5 Zimmern auf 130 Quadratmetern. »Wenn wir Verstecken spielten, musstest du ne Stunde suchen, bis du jemanden gefunden hast.« Wenn das Wetter schön war, spielten die Kinder auf dem Chamissoplatz oder bei den Gärten an der Schwiebusser Straße, hinter den Autowerkstätten, »da, wo heute die neuen Häuser stehen. Oder wir waren auf dem Hof mit den Nachbarkindern, auf unserer Etage wohnte noch eine türkische Familie. Sonst waren nur Deutsche im Haus.«

Auch die Gäste im Antalya waren fast alle deutsch. Vor den Kneipen - »damals war an jeder Ecke eine« - hingen die üblichen Schilder von Schultheiss oder Engelhardt. »Paulaner und Budweiser gabs noch nicht. Und mittwochs, wenn im Antalya Ruhetag war, dann zog Papa los, von mittags bis abends, erst die Kneipe gegenüber, dann die schräg gegenüber, dann die an der Kopischstraße… - von einer Kneipe zur nächsten. Weil die ja auch zu Papa gekommen sind, wenn sie Ruhetag hatten, der eine am Montag, der nächste am Dienstag, einer am Donnerstag…. und Saim Akca eben am Mittwoch. Die hatten das so mit-einander abgesprochen.«

Das Restaurant gehörte zu Naims Leben dazu wie der Fußballplatz, die Schule und der Bäcker um die Ecke. Im Antalya machten sie ihre Hausaufgaben, im Antalya sahen sie dem Vater zu, wenn er Fleisch schnitt, Gemüse putzte oder Messer schärfte. Vor allem Naim, der Zweitälteste, sah ihm aufmerksam zu. Was hätte anderes aus ihm werden sollen als ein Koch?

Als er mit der Schule fertig war, absolvierte er die Ausbildung im Mövenpick am Ku´damm. »Da gabs Leute, die brauchten zwei Monate, um eine Zwiebel von einer Kartoffel zu unterscheiden. Aber ich wusste schon, wie man Gulasch schneidet, wie man Zwiebelringe für den Salat und Zwiebelstückchen für die Soßen macht und in welcher Hand ich das Messer und in welcher ich den Schärfer halten muss.« Naim war den anderen um Monate voraus.

Und dann fiel die Mauer, Touristen aus aller Welt kamen in die Stadt, Reisebusse steuerten das Schloss von Sanssouci und Potsdam an. Ein Lokal nach dem anderen eröffnete, und Naim Akca kochte jetzt in der Persius Mühle in Potsdam, einem Restaurant mit 150 Plätzen an der Havel.

Er stand in der Küche, schrieb die Speisekarte, kümmerte sich um das Personal und die Buchhaltung. Akca war nicht nur ein leidenschaftlicher Koch, sondern auch ein leidenschaftlicher Geschäftsführer. Doch während er schwitzte, fuhren die Besitzer des Lokals in den Urlaub. »Ich meine, die können mit ihrem Geld anfangen, was sie wollen. Aber sie müssen genug übriglassen, damit ich die Mitarbeiter bezahlen kann.« Akca macht keine halben Sachen. Er ging.

Einige Wochen später besuchte er seine Eltern, die noch in der gleichen Wohnung in der Friesenstraße wohnten. Aus dem türkischen Restaurant war inzwischen ein griechisches geworden. Der neue Wirt hieß Jorgos. »Wie geht es dir?«, fragte er, als er Naim sah. »Was machst du jetzt eigentlich?« Naim berichtete von seiner Ausbildung und den acht Jahren in Potsdam. Jorgos, der befürchtete, sein Restaurant würde allmählich zu einem Kafenion mit lauter trinkenden Stammgästen werden, fragte, wieviel er denn so verdienen wolle. Naim sagte: »Lass mich mal ein paar Tage kochen, dann siehst du, wie ich arbeite. Danach reden wir über Geld.« Doch nach zwei Tagen kam der Grieche in die Küche und sagte: »Ich muss mit Dir reden! Jetzt!« –

Naim Akca legte die Stirn in Falten, aber dann sagte Jorgos: »Mein Zug ist entgleist, ich brauche jetzt einen Lokführer, der ihn wieder auf die Spur bringt. Du bist der richtige Mann dafür!« So kam es, dass Naim nach den Jahren am Ku´damm, in Tempelhof und in Potsdam wieder zurück nach Kreuzberg kam, in jenes Haus, in dem er aufgewachsen war, in das Lokal, in dem er Hausaufgaben gemacht und schon dem Vater beim Kochen zugesehen hatte.

Zwanzig Jahre lang hat er im Z gekocht. Erfolgreiche Jahre. Gemeinsam mit Jorgos hat er aus »einem Griechen« mit Souvlaki, Ouzo und Retsina ein mediterranes Restaurant gemacht, das auf den Gastroseiten von tip, zitty und Tagesspiegel mehrfach ausgezeichnet wurde. Der Zwirn an der Garderobe wurde immer vornehmer. Das Restaurant genoss den Ruf, die griechische Küche aus ihrem Schattendasein neben Frankreich und Italien und Spanien hervorzuholen. Doch obwohl Jorgos, wenn er zu seinen Gästen an den Tisch kam, nie vergaß, ein Loblied auf seinen Koch zu singen, obwohl er den Redakteuren immer Naims Namen buchstabierte, schrieben die Süddeutsche Zeitung und der Spiegel immer nur über den griechischen Wirt aus Kreuzberg. Ihn zitierten sie, ihn fotografierten sie. Naim Akca stand hinten in der Küche. Er sagt: »Ich war immer unsichtbar!«

Der neue und der alte Chef vom Z: links Naim Akca, rechts Jorgos Chrissidis - Foto: Sönke Tollkühn
Doch seit Januar ist alles anders. Jorgos ist zurückgetreten und Naim nach vorne gekommen. »Ich habe gehört, du willst dein Lokal verkaufen!«, fragte Naim. »Warum fragst du? Willst du kaufen?« – »Ja!« – Das war alles. Die beiden Männer kannten sich und brauchten nicht viele Worte. »Ich hab den Laden in zehn Minuten gekauft.«, sagt Naim.

Naim Akca brauchte nicht lange zu überlegen. Dieses Restaurant hatte schon immer zu seinem Leben gehört, wie die Schule und der Bäcker. Deshalb hat er es übernommen, damit es bleibt, wie es ist, »um so weiterzumachen wie bisher. Nicht, um Millionär zu werden oder so was. Mit 53 kann ich keine Berge mehr versetzen. Aber ein kleines bisschen besser leben als ein Angestellter - nicht mehr jeden Euro umdrehen müssen, wenn ich mit meinen Enkeln auf den Rummel gehe.«

Auch Jorgos musste nicht lange überlegen. Es wird andere Interessenten gegeben haben, die mehr boten, aber für Jorgos gab es keinen besseren Erben für sein Restaurant als den Lokführer. Den Mann, der geholfen hat, das Z zu dem zu machen, was es jetzt war. Der Kaninchen und Saltimbocca auf die Speisekarte setzte.

Manchmal rufen Gäste an und möchten reservieren: »Hier ist Detlef, habt ihr einen Tisch frei am Freitag?« Dann sagt Naim, so wie er das schon immer gesagt hat: »Hallo Detlef, lass mich mal schauen...« Auch wenn er gerade gar nicht weiß, welcher Detlef da am Apparat ist. Aber es gibt Leute, die rufen an und fragen, ob Jorgos am Abend da sei, und wenn Naim verneint, dann sagen sie: »Ach, dann gehen wir lieber woanders hin!« Das versteht der Koch nicht. »Die Leute«, sagt er, »kommen doch nicht zum Quatschen hierher, sondern zum Essen. Und das ist genau das gleiche wie früher. Die Speisekarte hat sich nicht verändert, seit Jorgos fort ist.«

Eigentlich ist alles noch wie früher: Die Kellner sind dieselben, jeden Samstag ist Filippos da, Jorgos´ Sohn und serviert. Machmal kommt Ria, Jorgos´ Frau und machmal Jorgos selbst. Vor allem aber ist der Koch der gleiche geblieben. Er hat sich nicht verändert. Er steht wie eh und je hinten in seiner Küche, genau so wie schon die letzten 20 Jahre, von mittags um Eins bis abends um Neun. Zeit, um viel mit Gästen zu plaudern, hat er nicht.

Nur, wenn einer glaubt, Naim Akca könne kein Kotelett braten, oder wenn seine Freunde von Eintracht Südring sich angekündigt haben, dann verlässt er die Küche. Oder wenn Hochzeiten gefeiert werden. Dann zieht er ein weißes Hemd an, ein Gilet oder ein Jackett, und stößt an. Nicht einmal die Stammgäste erkennen ihn jetzt wieder. Naim Akca strahlt eine vornehme Zurückhaltung aus, er könnte ein Staatsmann sein.

Aber sonderlich behaglich ist ihm in seiner neuen Rolle nicht. »Mein Herz«, sagt er ohne die Spur eines Lächelns, sondern mit todernster Miene, »ist in der Küche geblieben.«

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