Kreuzberger Chronik
April 2025 - Ausgabe 268

Helmut

Die Schnapsidee


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von Hans Korfmann

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Eine Zeitlang traf vor dem Brunnenatelier von Thomas Schön an sonnigen Nachmittagen und lauen Sommerabenden eine bunte Gesellschaft aus Künstlern und Lebenskünstlern zusammen. Man saß vor der Bergmannstraße, trank Rotwein, erzählte und grillte, bis im ausgebauten Dachgeschoss ein Politiker einzog, der fortan versuchte, die Glut mit Wassereimern aus dem fünften Stock zu löschen.

Dort lernte Helmut Felix kennen, der ein Bauernhaus hatte, vor dem man sitzen, übers Land schauen und Rotwein trinken konnte. In dem Dorf gab es noch ein anderes, bereits von Heckenrosen, Brombeeren, Waschbären und Wildkatzen zurückerobertes Haus. Helmut kletterte durch´s Fenster, auf dem Tisch standen eine Flasche Schnaps, halbvolle Gläser und ein voller Aschenbecher. Es sah aus, als ob man gerade erst gegangen sei. Dabei stand das Haus seit 21 Jahren leer.

Helmut war begeistert. »Du musst mal mitkommen und dir das ansehen!«, sagte er, »Du ziehst vorne ein und ich richte mir in der Scheune die Werkstatt ein.« Er wiederholte das so oft, bis wir eines Tages im Auto über kleine Straßen durch den Wald fuhren und vor diesem Fachwerkhaus standen. Es war Sommer, im riesigen Kirschbaum hingen riesige Kirschen, daneben war ein ganzer Wald aus Zwetschgenbäumen. Vögel zwitscherten, Grillen zirpten, wir liefen durch mannshohes Gras bis zu einem wackligen, hüfthohen Friedhofszaun. Dahinter waren einige Gräber und eine Bank zu sehen.

Da saßen wir, schauten wie Großgrundbesitzer auf unser zukünftiges Anwesen mit Obstbäumen und einem Pflaumenwald und rechneten aus, wieviel Schnaps wir aus den Zwetschgen herauspressen könnten. Und kauften. Und fingen an zu bauen und zu gärtnern, kletterten herum, gruben um, schlugen uns die Finger blutig und saßen abends beim Sonnenuntergang und der Flasche Wein vor´m Haus am Feuer und grillten und träumten weiter von der Werkstatt und vom Schnapsbrennen. Sommer für Sommer. Jahrelang. Fünf. Zehn. Zwölf.

Das Schild, das wir einmal spaßeshalber an der Einfahrt aufgehängt und auf das wir geschrieben hatten: »Ewige Baustelle. Eltern haften für ihre Kinder!« hing immer noch dort. Helmuts zukünftige Klavierwerkstatt in der alten Scheune war längst in sich zusammengebrochen, und das Wohnhaus war immer noch eine Baustelle.

Als Helmut im Sterben lag, sagte er: »Es tut mir leid, dass ich dich zu dem Kauf von diesem blöden Hof überredet habe.« Er meinte das sehr ernst.

Ich sagte: »Es war eine der besten Entscheidungen meines Lebens.« Auch ich meinte das ernst. Ich meine es heute noch. Aber er lächelte nur. Er glaubte mir nicht.



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