Kreuzberger Chronik
September 2024 - Ausgabe 262

Strassen, Häuser, Höfe

Kommandantenstraße 57


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von Klaus Wichmann

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Das Herrnfeld-Theater • 1907 - 1920



Die ehemalige Luisenstadt zwischen Oranienstraße, Alexandrinenstraße und Heinestraße wurde im Krieg fast komplett zerstört. Erst in den 60er Jahren wurden die Ruinen abgeräumt, an der Sektorengrenze entstand eine der ersten großen Wohnbausiedlungen West-Berlins. Sie war die politische Antwort des Westens auf die sozialistischen Neubauviertel an der Weberwiese und der Stalin-allee, ebenfalls an der Sektorengrenze. Monumentale Manifestationen einer Grenze aus Beton und Zement.

Inmitten dieses Betonviertels steht eine steinerne Stele. Sie erinnert an ein Theater, das sich zu Zeiten der alten Luisenstadt in der Kommandantenstraße Nummer 57 befand. 1907 hatten die Gebrüder Herrnfeld, zwei Theatermacher aus Ungarn, das dortige Restaurant mit Tanzsaal zu einem stattlichen Theater mit Plätzen für 800 Zuschauer in Parkett und Rang umbauen lassen. Die Bühne war beinahe 20 Meter breit, die Schnürbodenhöhe betrug 15 Meter und war dazu angetan, die Schauspieler geradewegs in den Himmel entschweben zu lassen.

Die Hausherren, die beiden Komiker und Theaterautoren Donat und Anton Herrnfeld, hatten 1884 in Ungarn die Erste Original- Budapester Orpheum-Gesellschaft gegründet, mit der sie seit 1890 auch in Berlin gastierten. Mit wachsendem Erfolg füllte die ungarische Schauspieltruppe immer größere Säle, darunter das Parodie-Theater am Moritzplatz, das Vaudeville-Theater im Grand Hotel am Alexanderplatz und das Kaufmanns–Varieté in den Königskolonnaden. 1896 übernahmen sie auch dessen Direktion, um es zwei Jahre später zum Gebrüder Herrnfeld´s Budapester Theater zu machen. 1907 kauften die erfolgreichen Ungarn ein Restaurant mit Tanzsaal in der Luisenstadt und bauten es zum »Theater an der Kommandantenstraße 57 zu Berlin« um, nicht ohne in der Unterzeile ihren berühmten Namen zu erwähnen: »Früher Herrnfeld-Theater, oder kurz Gebrüder Herrnfeld Theater

In der Kommandantenstraße erlebten die Herrnfeld-Brüder ihre Blütezeit. Obwohl sie ihre Glossen und Possen gerne in jüdischer Mundart verfassten, kam das Publikum in Massen und aus allen Schichten und Stadtvierteln, aus dem Bildungsbürgertum ebenso wie aus den Arbeitervierteln, Juden ebenso wie Nichtjuden. Das Theater war, wie Till van Rahden schreibt, »eine Schnittstelle zwischen bürgerlicher Theaterwelt und volkstümlichem Schaustellermillieu«, weshalb auch die Meinungen der Theaterkritiker weit auseinandergingen. Während jüdische Zeitungen den Herrnfelds vorwarfen, sie unterstützten mit ihren Karikaturen jüdischer Lebensart die »antisemitischen Schweinereien«, sind Schriftsteller wie Kafka oder Alfred Döblin begeistert. Selbst der stets wachsame Tucholsky schrieb, er habe sich hier »krank und wieder gesund gelacht.« Die preußische Zensurstelle allerdings attestierte dem Theater kein »höheres künstlerisches Niveau.«

Dessen ungeachtet hielten die Luisenstädter dem Theater die Treue, schon der familiären Atmosphäre wegen. Man kannte die Herrnfelds: An der Kasse saßen die Ehefrauen, »Schwestern und Kinder standen auf der Bühne und die Mutter kochte in der Theaterküche.« Doch mit Donats Tod 1916 kam das Ende. 1920 gehörte das Haus in der Kommandantenstraße bereits der Metropol-Theater-AG, die es zunächst ans Jüdische Künstlertheater verpachtete. Immer öfter wechselten nun die Besitzer, und der Ton wurde antisemitischer. Gustaf Gründgens hatte sein erstes Berliner Engagement in der Kommandantenstraße, Döblin vermerkte, es rieche nach »Heimatkunst und Teutschtum«, und nach den Vorstellungen ertöne das Deutschlandlied.

Auch der Theaterbau verfiel zunehmend. 1935 versuchte der jüdische Kulturbund einen Neustart, doch 1941 kam das Verbot durch die Nationalsozialisten, 1944 fielen die Bomben, und 1953 wurde die Theaterruine von den Christdemokraten gesprengt.



Sämtliche Bilder: Abraham Pisarek / © Archiv der Akademie der Künste


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