September 2024 - Ausgabe 262
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Kreuzberg und ich ![]() von Ernst Volland |
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1967 fuhr ich mit Johann P. Tammen, einem Bruder von Werner Tammen, nach Berlin: eine Stadt, die ich noch nie gesehen hatte. Johann hatte Kontakt zum Künstlerpaar Natascha Ungeheuer und Johannes Schenk, sie Malerin, er Schriftsteller und Matrose. Das ideale Künstlerpaar lebte in Kreuzberg in der Nähe des Kottbusser Tors. Ungeheuer und Schenk wiederum führten mich in die künstlerischen Kreise Ostberlins ein, ich lernte den Lyriker Erich Arendt und den Liedermacher Wolf Biermann kennen. Ich verbrachte lange Abende in freundlichen Runden und verstand nichts, hörte nur zu. Meine Zeichnungen aber kamen an und wurden in der Galerie am Abend in Friedenau gezeigt. Die Kunstmappe, die ich an der Hochschule der Künste einreichte, hingegen wurde abgelehnt. Nach einer 50-tägigen Hitchhikingreise durch Europa und Marokko - mit 200 Mark in der Tasche - kehrte ich auch ohne Studienplatz zurück nach Berlin. Eine meiner besten Ideen überhaupt. Mit Freunden gründeten wir die Kommune 23. Die Ziffern 1 und 2 waren ja durch die Kommunen 1 und 2 bereits besetzt. Die 23 war noch frei, das war die Hausnummer der Fabriketage in der Kottbusser Straße, 100 Meter vom Kotti. Die Etage bestand aus einem einzigen großen Raum. Das Experiment konnte beginnen. Kein persönliches Eigentum, offene Tür zur Toilette, Shit und Alkohol wurde geteilt. Marx, Kerouac und Wilhelm Reich im Regal. Helmut stellte sein Schlagzeug mitten in den Raum und trommelte. Es wurde geduldet. Die meistgespielten Vinylplatten waren von den Doors und Frank Zappa. Helmut brachte seine Freundin mit, die auf der Potsdamer Strasse auf den Strich ging. Erste Unstimmigkeiten. Morgen wieder Demo am Amerikahaus, ich warf den einen oder anderen Stein in diese Richtung. Mittlerweile war ein Professor der HdK auf mich aufmerksam geworden und bugsierte mich ohne Prüfung ins erste Semester. Irgendwann kam der Professor mit einem Kasten Bier in die Fabriketage, um meine Kunst zu begutachten. Ich begann Karikaturen zu zeichnen und kritische Plakate, avancierte zum »Meisterschüler« und bestand zwei Staatsexamen. Das zweite mit Müh und Not. »Ihre Art mögen die Berliner nicht so...«, war einer von vielen negativen Kommentaren seitens der sogenannten Autoritäten. Am Tag meines letzten Examens, dem 15. Mai, setzte ich mich in meinen VW und fuhr in einem Rutsch so weit, wie das Benzin reichte. Bei Bielefeld rannte ich auf einen Acker, legte mich unter einen Baum und schrie so laut ich konnte Hurra!- Dann fuhr ich geradewegs zurück. Seitdem arbeite ich freiberuflich. 1975 wollte auch Johann P.s Bruder Werner nach Berlin. Also packte ich 20 Dosen Mockturtle, eine Köstlichkeit ähnlich einer Solianka, auf den Rücksitz meines klapprigen VWs, aufs Dach banden wir Werners Matratze. Werner Tammen eröffnete dann mit Achim Schade die Galerie am Chamissoplatz, inzwischen legendär. Boheme, aber zum anfassen. Es war wunderbar! |