Kreuzberger Chronik
September 2024 - Ausgabe 262

Geschichten & Geschichte

Vom Schlupfloch in die Falle


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von Klaus Wichmann

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Das Theater des Jüdischen Kulturbundes • 1935 -1941

Seit 1933 litten die Juden Berlins unter den von den National-sozialisten verhängten Berufsverboten. Davon betroffen waren auch die Kulturschaffenden und deren Einrichtungen. Theater, Konzert- und Tanzsäle wurden geschlossen, jüdische Kompositionen und Theaterstücke aus den Spielplänen gestrichen, woraufhin der Dirigent Kurt Singer 1933 in Berlin den »Kulturbund Deutscher Juden« gründete, der innerhalb kürzester Zeit 70.000 Mitglieder zählte. Zwar musste der Verein das »Deutsche« bald wieder aus seinem Namen streichen, doch durfte der nun »Jüdische Kulturbund«, wenn auch unter den Argusaugen der neuen Machthaber, ein Theater in der Charlottenstraße bespielen, ausschließlich vor jüdischem Publikum. Doch der Erfolg des Hauses, das zwei Jahre lang die Werke bekannter jüdischer Autoren, Kabarettisten und Komponisten aufführte, blieb nicht aus. Auch Monica Herrnfeld, die Tochter des verstorbenen Intendanten aus der Kommandantenstraße, trat nun hier als Variétékünstlerin auf.

Zwei Jahre später wurde das Haus wegen angeblicher Baumängel geschlossen und abgerissen. Als Ausweichquartier wurde dem Kulturbund von den Nationalsozialisten das inzwischen leerstehende und desolate ehemalige Gebrüder-Herrnfeld-Theater in der Kommandantenstraße angeboten. Es wurde in kurzer Zeit saniert und war 1935 das letzte Theater Berlins, in dem jüdische Künstlerinnen und Künstler, Bühnenarbeiter und Angestellte arbeiten konnten. Das Haus bot 100 Mitarbeitern und über 100 festangestellten Künstlerinnen und Künstlern ein Asyl und rettete einige von ihnen vor der Verfolgung und Deportation durch die Nazis.

Viele, die in den Werkstätten oder den Büros arbeiteten, waren zuvor in führenden Positionen an Opernhäusern, Theatern oder bei der Ufa gewesen. Nun nahmen sie die einfachsten Arbeiten an, nur um mit dem Leben davon zu kommen. Einige schafften es, unter ihnen Camilla Spira, der Filmstar der Ufa, oder Hans Sondheimer, der Technische Leiter und sein Freund Heinz Condell, der Bühnenbildner. Ihnen gelang die Flucht nach Amerika, wo sie Erwin Piscator trafen und an der New York City Opera arbeiteten. Auch Margot Friedländer aus der Skalitzer Straße überlebte. Sie trat in der Widerspenstigen Zähmung als Komparsin auf und arbeitete in der Kostümschneiderei, wo sie eines Tages auch ihren Mann, Adolf Friedländer kennenlernte, mit dem sie das KZ in Theresienstadt überlebte. Sie ist heute 102 Jahre alt und die letzte Zeitzeugin des Theaters. Auch Monica Herrnfeld, der Tochter des Theatergründers, gelang mit dem Kulissenmaler John Isaack und seiner Frau Harriet die Flucht ins ferne Shanghai, von wo aus sie eine Postkarte an ihre Freunde und Kollegen in der Kommandantenstraße schickten: »Vergesst uns nicht!« Doch vielen der Namenlosen, die im Hintergrund des Theaters wirkten, gelang die Flucht nicht: Bühnenarbeiter, Kassierer, Garderobenfrauen, Buchhalter, Platzanweiserinnen...

Denn das Theater des Jüdischen Kulturbundes diente den Nationalsozialisten nicht nur als Alibi für Toleranz, sie hatten damit die feindliche Kulturgemeinde auf engstem Raum zusammengepfercht und besaßen sämtliche Adressen der dortigen Theaterschaffenden. So wurde das Theater, das für viele die Rettung zu sein schien, am Ende zu einer tödlichen Falle.


















sämtliche Bilder: A. Pisarek © Archiv der Akademie der Künste


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