September 2024 - Ausgabe 262
Reportagen, Gespräche, Interviews
Kreuzberger Haushaltshilfen ![]() von Achim Fried |
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![]() Nicht alle können hier in der Abendsonne sitzen, Kaffee trinken und Kuchen essen. Alex muss arbeiten. Am Wochenende, wenn die hippen Büros von Architekten, Designern, Werbefirmen und IT-Spezialisten am Engelbecken leer sind, kommt Alex, zieht den dicken Schlüsselbund aus der Tasche und schließt auf. Es ist Samstag, »halb nach sechs«, sagtAlex, ausgerüstet mit dem Bachelor für Kunst und Biologie, ist 2019 von der Ostküste Amerikas nach Berlin gekommen. »Ich liebe Berlin!«, sagt Alex, beinahe akzentfrei. Die Eltern haben deutsche Wurzeln und der Großvater sprach meistens deutsch. Alex kam über den Ozean, weil Berlin queerer ist als Maryland. Seitdem kämpft Alex um das Bleiberecht. Aber es ist noch immer wie im Hauptmann von Köpenick: »Wenn Du keine Arbeit hast, bekommst du keine Aufenthaltsgenehmigung, und wenn du keine Aufenthaltsgenehmigung hast, bekommst du keine Arbeit!« Deshalb muss sich Alex mit kleineren Jobs durchs Berliner Leben schlagen. Mit Putzen zum Beispiel. Am Wochenende die leeren Büros, unter der Woche die Privatwohnungen. Zwei Zimmer eines minima- listisch eingerichteten Büros hat er an diesem Samstag noch vor sich, das große Konferenzzimmer mit dem langen Tisch und der Glasfront zur Straße hin und das kleinere Zimmer mit der Küchenzeile. Viele Staubfänger gibt es zwischen den nackten Zementwänden nicht. Zwei Laptops, drei Telefone, fünf Zimmerpflanzen auf dem Boden und auf dem langen Tisch hinter der Glasfront hübsch verteilt kleine Bücherstapel mit Bildbänden und Katalogen: so sieht eine moderne Büroeinrichtung aus. Alex fährt mit einem dicken, lilafarbenen Staubwedel über Tische, Schränke, Stühle und über den schmalen Rahmen eines großen Schwarzweißfotos an der Wand. Alex ist gerade mit dem ersten Arbeitsgang fertig, da klingelt das Handy. »Auf den Punkt genau!« Das Mobiltelefon hat für jeden seiner Arbeitsgänge die vorgegebene Zeit gespeichert. Wenn die abgelaufen ist, meldet es sich. Alex ist glücklich, schneller zu sein als das Handy. Zuerst kommt der lila Staubwedel, dann ein feuchtes Tuch, das über Tische, Stühle, Schränke gleitet. Dann wird der Boden gesaugt und gewischt, ganz zuletzt kommen Bad und Toilette. Alex wischt nach dem Vier-Lappen-System: Der pinkfarbene Lappen ist für die Toilette, der blaue fürs Badezimmer, der grüne für die Küche und gelb ist für die Bürotische mit der Technik. Alex ist schnell, jeder Handgriff sitzt, nur einmal ist das Handy schneller. Es ist »halb nach sechs«. Jetzt noch den Müll entsorgen, die Terrasse zum Hof fegen, dann ist Zeit für ein Feierabendbier am Engelbecken. Auch wenn das dort etwas teurer ist als beim Späti. »Das ist schon ein bisschen merkwürdig, wenn man immer in diesen großen Wohnungen unterwegs ist und selbst nur auf dreißig Quadratmetern lebt. Wenn man so sieht, wie der reiche Teil der Stadt lebt.« Da stoßen Welten aufeinander, Menschen, die Millionen verdienen auf Menschen, die so wenig verdienen, dass die deutschen Behörden ihnen kein Arbeitsvisum ausstellen: »Sie verdienen nicht genug.«, sagte der zuständige Sachbearbeiter und hob die Schultern. »Sie sind ganz einfach zu wertlos für unsere Gesellschaft!« Da musste Alex schlucken. So wenig Sprachgefühl trauen Amerikaner den Deutschen eigentlich gar nicht zu. Alex wird trotzdem bleiben. Mit seinen Nebenjobs in der Galerie oder eben bei Marius und der »Queeren Haushaltshilfe«. Marius Baumgärtel hat 2020 die Firma seines Vaters übernommen, in der er schon als kleiner Junge den Putzlappen schwingen lernte. Damals war das eine ganz normale Reinigungsfirma. Jetzt ist die Baumgärtel GmbH etwas besonderes. Sogar der Spiegel schrieb über sie. Aber die Zeiten ändern sich. »Wenn die Kunden ok sind, ist das ein Superjob!«, sagt Alex. Und die meisten sind tatsächlich ok. Aber nicht alle, nicht einmal in Kreuzberg. Es wohnen ja auch keine studentischen Wohngemeinschaften mehr in den riesigen Altbauwohnungen, sondern zum Beispiel Regisseure aus München. »Den Regisseur selbst hab ich nie gesehen, immer nur die Sekretärin. Als ich fertig war, meinte die: Drei Stunden, das ist aber ganz schön lang! – Dann sag ich: Aber das sind ja auch acht Zimmer! Und dann gibt die mir 45 Cent Trinkgeld!« Alex hätte am liebsten abgelehnt, aber die queere Haushaltshilfe ist höflich. Und eine Spur von Unterwürfigkeit war schon bei den Hausmädchen des 19. Jahrhunderts Bedingung. Ebenso wie ein gepflegtes Aussehen und eine vornehme Zurückhaltung. ![]() Ein anderes Mal, - eine riesige Wohnung in Kreuzberg, alle Wände voller Hundefotos - drängten die kläffenden Terrier eines schwulen Pärchens die nette Haushaltshilfe derart in die Ecke, dass Alex den Chef anrufen musste. Der kündigte den Hundeliebhabern stante pede. »Marius ist super!«, sagt Alex. Und das sagt Alex nicht einfach so. Marius Baumgärtel kümmert sich nicht nur väterlich um seine Crew, er bezahlt auch allen im Team denselben überdurchschnittlichen Lohn, dazu 27 Tage bezahlten Urlaub im Jahr. »Wir haben oft zusammen geputzt, einmal so eine Zehn-Zimmer-Wohnung in Mitte. Alles aus Marmor, ein Palast mit goldenen Armaturen und zwei riesige Motorräder in der Wohnung!« So etwas hatte selbst Marius noch nicht gesehen. Und Marius hat viel gesehen, seit er als kleiner Junge mit dem Vater durch die Wohnsitze der besseren Berliner Gesellschaft zog. Etwas merkwürdig war auch das schwule Pärchen, das immer auf dem Sofa saß und der Putzhilfe aufmerksam zusah, wenn sie mit dem lilafarbenen Staubwedel durchs Zimmer lief. Alex beschlich das Gefühl, dass sie die Putzkraft lieber nackt vor ihnen kriechen gesehen hätten als mit diesem kindischen Staubwedel. Manchmal filmten sie die Haushaltshilfe bei der Arbeit und schickten anschließende Beweisaufnahmen für die mangelhafte Ausführung der Putzarbeiten an den Chef. Die beiden hatten sich die Dienste der alternativen Putzteufel offensichtlich anders vorgestellt. Doch Putzsklaven in Strapsen oder Lederklamotten und gestiefelte Ladys, wie sie die potentielle Kundschaft der Queeren Haushaltshilfe gerne halluziniert, wenn sie in der Siegessäule auf eine Anzeige oder im Handy auf den Internetauftritt der Haushaltshilfe etwas anderer Art stößt, hat Alex unter den fünfzehn Kolleginnen und Kollegen noch keine gesehen. Es geht eben im Leben nicht immer nur um Sex. Es geht manchmal um so Gewöhnliches wie Ordnung und Sauberkeit. Der größte Teil der Kundschaft ist sich dessen auch bewusst, denn sowohl die queere Haushaltshilfe als auch ihre Kundschaft ist nicht immer queer. Man pflegt auch Wohnungen ganz durchschnittlicher Normalos, putzt für geschäftige Geschäftsfrauen, denen die Zeit zum Putzen fehlt, oder hilft alten Menschen, die es alleine nicht mehr schaffen. Doch auch wenn die Kundschaft nicht nur aus Andersdenkenden und Anderslebenden, Schwulen und Lesben, Transvestiten und Transsexuellen besteht: Die queere Haushaltshilfe ist anders als die anderen. Wenn Alex morgens unter dem Sofa des Architekten einen Cockring findet oder nach nächtlichen Sexparties noch das Spielzeug herumsteht oder erotische Bildbände auf dem Bürotisch der Werbeagentur liegen: Es ist die natürlichste Sache der Welt! Alex und seine Kundschaft sind unter sich und gemeinsamer Teil einer eingeschworenen Gemeinschaft! »Da muss man nicht erst die ganze Wohnung aufräumen, nur weil am Dienstag die Putzfrau kommt.« |