Oktober 2024 - Ausgabe 263
![]() |
Kreuzberger
Dietmar Heddram Ich war nur Feierabendpunker. ![]()
von Waltraud Schwab
|
![]() |
Echte Berliner sind in der Haupstadt rar. Dietmar Heddram, 1958 unweit des Mariannenplatzes, seinem «zweiten Wohnzimmer«, geboren, ist einer. »Genauso ein Berliner wie mein Hund, der vor 20 Jahren starb.« Heddram beherrscht das schnoddrige Idiom und wenn er erzählt, wird klar, er ist von der Sorte, die nicht bereit ist, zu Kreuze zu kriechen. »Man muss darüber hinwegkommen, wie man von außen wahrgenommen wird«, sagt er. »Ich bin hier jetzt ja auch nicht beim Casting, möchte keine Arbeit, keinen Kredit.« Rauf und runter ging es in Heddrams Leben. »Bei mir war viel Liebe und viel Tod.« Gerade gebe es wieder »eine Kontinuität nach unten«, sagt er. Unten hat es auch angefangen. Seine schwangere Mutter wurde verlassen, und das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn sei schwierig gewesen. Respekt zollt er ihr trotzdem: »Sie war alleinerziehend, das muss ich anerkennen. Sie hat es geschafft, hat 50 Jahre am Fließband bei Reemtsma geschuftet.« Er wächst bei der Oma auf – »the bravest woman of the world«. Warum? »Wegen ihrer Offenheit, ihrer Frechheit, ihrem Witz und Optimismus.« So eine Art Claire Waldoff in Kleinformat. »Nach dem Motto: Wir stecken in der Scheiße, aber wir machen das Beste draus.« Er habe sie geliebt. Als sie starb, war er 25. »Ich dachte, jetzt fängt mein Leben an.« Aber so weit ist es noch nicht. Seine Mutter findet, da ist er im Grundschulalter, einen neuen Partner, »den fiesesten Typen von Berlin. So einer im Doppelrippunterhemd, der am Küchentisch sitzt mit Bier. Für den war ich Luft«. Heddram war acht, als er mit der Mutter und »dem Mann meiner Mutter«, anders nennt er ihn nicht, nach Gropiusstadt ziehen muss, in eine der neuen Hochhaussiedlungen, die Berlin bald schon eine Menge Probleme bereiten. »Das war ein Kulturschock. Plötzlich hatte ich ein eigenes Zimmer, Warmwasser, Klo in der Wohnung, Badewanne.« Er wäre trotzdem lieber bei der Oma geblieben. Die Mutter arbeitete in zwei Schichten, deren Mann in drei, »die waren nie zuhause und wenn doch, haben sie gepennt.« Er, Schlüsselkind, zog mit seinen Kumpels über die Felder hinter der Siedlung, die es damals noch gab. In der Fantasie waren die Äcker eine Wüste, von Indianern bevölkert. Es sei ausgemacht gewesen, dass er aufs Gymnasium gehe. Den geforderten Notendurchschnitt verpasste er knapp. Sein Freund Frank hatte das gleiche Problem, war aber Kind betuchterer Eltern. Die hätten bei seiner Mutter angerufen und gesagt: »Der Frank geht auf eine Privatschule und der Dietmar muss mit.« Seine Mutter, zu stolz für die Wahrheit, sagte »ja jut, wird schon jehn«. Einen Tag, bevor die Schule anfängt, wieder ein Anruf: »Der Frank ist tot.« Autounfall. »Musste ich alleine zur Schule. War nicht mein Ding. Ich habe eineinhalb Jahre geschwänzt. Kind, was soll aus dir werden, hat meine Mutter gesagt. Fang doch bei Reemtsma an!« Darauf hatte er auch keine Lust. Er wollte Künstler werden. Dichter. Gottfried Benn war sein Vorbild. In den Jahren, die folgten, gab es immerhin Klaus, einen älteren Cousin, der sich seiner annahm. »Cooler Typ. Der hatte die besten Platten. Stones, Hendrix. Der hat mir Geld zugesteckt.« Er schleuste ihn, obwohl noch zu jung, in die Discos. Und dann, an Neujahr 1978, der Anruf: Klaus ist tot. Besoffen sei er mit einem Freund »und zwei Bräuten« die Sonnenallee runter gebrettert an Silvester und gegen einen Baum geknallt. »Idiot, der war doch verheiratet mit Sabine«, sagt Heddram. »Wenn ich an die Beerdigung denke, Sabine, Wiebke und ich hinterm Pfaffen in der ersten Reihe. Wiebke im Minirock und Sabine, meine Königin.« Jetzt nimmt sich Sabine Seiner an. Sie fragt ihn, was das werden soll so ohne Schulabschluss, Ausbildung, Arbeit. Künstler, was soll das sein? Und Heddram: »Ist authentisch.« Sie besorgt ihm eine Boutique mit Klamotten, die soll er führen. »Ich habe das Geld verjubelt.« Pferderennen werden seine Leidenschaft. Sabine zieht die Reißleine. Heddram hält an seinem Lebenswandel fest, sorgt sich allerdings auch weiter um die Oma. »Nach dem Tod vom Opa 1982 war ich jeden Tag bei ihr.« 1983 stirbt sie. Erst als es ums Erben ging, tauchte der Rest der Familie auf. »Ich hab mich geschämt für die Pfeifen.« 10.000 Mark hatte die Oma. »Ich wusste, wo sie versteckt waren.« Nach dem Tod der Großmutter sucht er sich die erste eigene Wohnung und findet eine mit Blick auf den Checkpoint Charlie. Er findet auch eine Freundin. Die sagt ihm, dass er »Stütze« beantragen könne. »Ich wusste das nicht, bin, bis ich 25 war, meiner Mutter auf der Tasche gelegen. Jeden Tag ein Sixpack im Kühlschrank.« Nebenbei malt er Bilder. Wildes Zeug. Auf der Trabrennbahn in Mariendorf ist er ein oft gesehener Gast. Hinter der Kasse sitzt Ute. Sie gefällt ihm. »Scharfe Braut.« Unter einer Bedingung lässt sie sich auf ihn ein: Er muss aufhören zu wetten, sie habe zu viele Leute vor die Hunde gehen sehen. Heddram tut‘s. Nach ein paar Monaten wird Ute schwanger. »Was soll bloß aus uns werden? Das Kind wird verhungern. Such endlich einen Job«, habe sie geschimpft. Heddram nimmt das ernst und findet einen bei der Post am Gleisdreieck. Sortiert fortan nachts Briefe und ist tagsüber im Atelier. Ute verliert das Kind, wird wieder schwanger, verliert auch das zweite Kind. »Das hat unsere Beziehung gekillt. Fortan hat sie sich nicht mehr von mir anfassen lassen.« Sie trennen sich. »Ich habe sie nie mehr wiedergesehen.« Bei der Post hat Heddram mittlerweile die Aufsicht in der Nachtschicht. »Fehlten Leute, kamen Aushilfen. Eine davon war Nänzi. »Wenn ich die schon gesehen habe, war die Nacht gelaufen.« Statt Briefe sortieren, macht Nänzi anderes. Träumen, vor sich hin starren, Nägel feilen, erzählt er. Wird die Maschine nicht regelmäßig bestückt, stockt sie, der Mechaniker muss sie wieder anwerfen: »Sorg endlich dafür, dass deine Weiber spuren«, schimpft der. »Ich war so froh, als die nicht mehr auftauchte.« Bei einem Johnny Cash-Konzert im Tempodrom sieht er Nänzi wieder. Die kennt er doch! Er spricht sie an, »ah, du bist das, haste Lust, ein Bier zu trinken?« Und sie: »Wer mich nach nem Bier fragt, hat keine Ahnung.« Da erfährt er von ihrer Drogenkarriere. Sie war mit 16 aus ihrem Heimatdorf weg, lebte mit ihrem Freund schnorrend am Hauptbahnhof in Nürnberg, zog mit ihm nach Berlin. In Berlin stirbt ihr Freund an einer Überdosis. Das rüttelt Nänzi auf, sie macht einen Entzug, kriegt die Kurve und wird nach vielen vergeblichen Anläufen an der Hochschule der Künste angenommen. Ihre Arbeiten sind ganz und gar unangepasst, Skulpturen, die das Ganz-unten zeigen, Büsten, die jeden Augenblick zerfallen könnten, Engel ohne Köpfe. »Nänzi lebte den Punk. Ich war nur Feierabendpunker.« Die beiden wurden ein Paar. Ein polyamoröses, eins mit viel Freiheit. »18 Jahre waren wir zusammen. Wir haben uns nie gedemütigt.« Mit Nänzi kam auch eine neue berufliche Wendung. Heddram hatte bei der Post aufgehört, die Atmosphäre passte ihm nicht mehr, kein Alkohol mehr, keine Zigaretten und alles durchgetaktet. Nänzi animiert ihn, zu einem Komparsencasting zu gehen. Eine Woche später hat er einen Job. Und als ein Schauspieler ausfällt, soll er einspringen. Ab dann hat er kleinere Rollen; meistens Ganoven. »Als Komparse krieg ich 100 Mark, als Darsteller 1200, werd abgeholt und fahr mit dem Taxi nach Hause.« Nänzi und er haben getrennte Wohnungen, sehen sich aber regelmäßig. Am Donnerstagabend, dem 15. November 2013 wollen sie in die Urania zu einem Vortrag von Alice Schwarzer. Morgens rief Nänzi an: »Du musst kommen.« Es ging ihr nicht gut. Gesundheitlich sei sie sowieso angeschlagen gewesen, hatte oft Migräne. Als er bei ihr ankam, habe sie elend ausgesehen, »redete komisches Zeug«. Ruhe, das wusste er aus Erfahrung, wird helfen. Sie geht irgendwann ins Bett, er guckt noch Fernsehen und legt sich später neben sie. Um 3 Uhr nachts wacht er auf, weil ihn Eiseskälte umhüllt. Es ist der Moment, in dem Nänzi stirbt. Auch jetzt, zehn Jahre nach ihrem Tod, weint er beim Erzählen. Seit Nänzi tot ist, kümmert Heddram sich um ihren Nachlass. Es sei mühevoll. »Die Künstler, die halbberühmt sind, die kämpfen halt.« ![]() Foto: Privat
![]() Foto: Privat
|