Kreuzberger Chronik
November 2024 - Ausgabe 264

Helmut

Das finnische Konzert


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von Vladimir Stoupel

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Sein Lachen, das bleibt mir für immer in Erinnerung. Ebenso wie seine physische Stärke. Wie dieser kleine, schmale Mann solche Ungetüme, die von der Allgemeinheit gerne als »Flügel« bezeichnet werden, alleine die Treppen hinaufschleppen konnte, war mir immer ein Rätsel gewesen.

So stand ich an einem Herbsttag in Finnland und schaute zu, wie Helmut einen Estonia-Flügel aus seinem Häuschen nach draußen beförderte. Helmut hatte den Auftrag, das Instrument, das dem nahegelegenen Städtchen gehörte, wieder konzertreif zu machen.

Ein paar Tage später wurde der Flügel – wie immer von Helmut ganz alleine – zurück in den lichtdurchfluteten Saal geschoben, der eigentlich als Gerichtssaal diente. An der Stirnwand standen beeindruckende Stühle, hoch wie Zarenthrone. Die Atmosphäre vieler vergangener Gerichtsverhandlungen schwebte in der Luft. Mir wurde ein wenig unwohl.

»Hier jetzt bloß keine Fehler machen...«, dachte ich, während Helmut sich daran machte, schnell noch die Oberfläche des Flügels mit einigen alkoholgetränkten Lappen aufzupolieren. Der Flügel sah fast wieder wie neu aus, da stellte Helmut, um sich nicht ständig bücken zu müssen, die Flasche mit dem Alkohol auf dem Instrumentendeckel ab. Das war keine gute Entscheidung, weil die frisch polierte Fläche noch nicht trocken war. Die Flasche rutschte aus und fiel auf den Boden. Der kostbare Alkohol verschwand in den Ritzen zwischen den Holzdielen schneller, als wir schauen konnten.

»Mist«, brummte Helmut. Aber so schlimm war es nicht, denn der Flügel glänzte prächtig. Schon sammelten sich die ersten Zuhörer vor dem Saal und ich ging mich umziehen. Helmut stimmte noch ein wenig den Flügel, und schon begann das Konzert. Der Saal war voll, ich wurde freundlich empfangen und begann.

Das Programm war virtuos, ich spielte gerade eine Brahms-Paganini Variation, da bemerkte ich, dass sich in meinem Kopf alles zu drehen begann. Die Ausdünstungen des verschütteten Alkohols, die aus dem Boden aufstiegen, machten mich beinahe kampfunfähig. Aber ich kam durch und der Applaus war groß – wie immer nach so einem schnellen Stück.

Dann kam die Pause und ich sagte zu Helmut: »Du, wir müssen unbedingt den Flügel verschieben. Sonst garantiere ich für nichts!« Er verstand nicht. Ich erklärte es ihm. Und da war es wieder, dieses Lachen, das ich nicht mehr vergessen kann. Er konnte lachen wie ein kleines Kind. Wir verschoben den Flügel und ich ging hinaus, um den zweiten Teil des Konzerts zu spielen. Lächelnd.


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