Kreuzberger Chronik
November 2024 - Ausgabe 264

Geschichten, Geschichte, Gerüchte

Die alten Kreuzberger Volksfeste (2):
Vom Kreuzberg in die Hasenheide



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von Werner von Westhafen

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Die Drahtseilbahn der Neuen Welt in der Hasenheide

Nicht nur auf dem Kreuzberg im Westen, auch am östlichen Ende der Tempelhofer Berge wurde gefeiert. Schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts zogen die Brauereien in der Nähe des Restaurants Neue Welt mit ihren Konzertgärten Berliner aus der ganzen Stadt an, insbesondere die Bergbrauerei Hasenhaide, das seinerzeit größte Gartenlokal Berlins. Die Gegend war ein Ausflugsziel geworden, ganz in der Nähe und doch schon mitten im Grünen.

Es wurde getanzt und Karussell gefahren, gegessen und getrunken, und da die »Saison« von März bis November andauerte und der Besucherstrom nie endete, verzichteten viele Schausteller und Zirkusdirektoren auf die Reisetätigkeit und etablierten feste Einrichtungen. Eine besondere Attraktion jener ersten Jahre waren die Galeerensträflinge und eine Sudanesenkarawane, deren Kameltreiber, wie ein Augenzeuge es für die Nachwelt festhielt, Kampftänze aufführten und mit Schwertern und Messern und einem »fürchterlichen Wutgeheul« aufeinander losstürmten, neben dem das dunkle Grollen der Geisterbahn ein Schlaflied war. Der Hasen-Fritze führte in der Hasenheide seine Hasendressur vor und die als besondere Attraktion hervorgehobene »Pfaudame« war über und über mit schillernden Federn bekleidet.

Trotz dieser Verführungen und einer Eisbahn, die im Scheinwerferlicht glitzerte, trotz der Teststrecke einer Seilbahn, die über der bunten Szene ins Tal schwebte, trotz des indischen Pavillons mit Springbrunnen und dem Hippodrom, trotz der Heißluftballone und der Seiltänzer, die das Gelände in schwindelnder Höhe überquerten: die gerade fertiggestellte Berliner Ringbahn bereitete all diesen Sensationen Sorge. Denn die Bahn ermöglichte den Berlinern für 10 Pfennige Ausflüge aufs echte Land mit seinen Gartenlokalen.

Die »Bergbrauerei« wurde an eine Aktiengesellschaft verkauft, die das Bier derart verdünnte, bis die Berliner es als »Dividendenjauche« verspotteten, womit sie die Firma in den Konkurs trieben. Bauspekulanten witterten gute Geschäfte und rückten der Heide auf den Leib. Es wurde allmählich eng in der Gegend um die Hasenheide.

Doch noch war Platz für einen Rummel: Die Veranstalter Schnegelsberg & Heinemann lockten über die Osterfeiertage des Jahres 1885 noch einmal 50.000 Besucher in die Hasenheide. Der Jahrmarkt bot ein »Wachsfigurenkabinett« und ein »Automatenkabinett«, in dem sich eine sprechende Maschine befand und eine »Wunderuhr«, die 25 Jahre lang laufen sollte, ohne aufgezogen werden zu müssen. Was schwer zu überprüfen war. Die Kron´sche große Menagerie war gekommen und die Amerikaner bauten eine »Riesenrutschbahn« auf. Doch auch das »Riesen-Kunst-Feuerwerk« mit dem poetischen Namen Ausbruch des Vesuvs konnte den Festplatz nicht mehr retten.

Ohnehin kam der Krieg, das Feiern fiel aus. Doch nachdem 1949 auf dem Kreuzberg der erste große Nachkriegsrummel an den Start gegangen war, eröffneten in den Folgejahren das Zehlendorfer Zickzack, die Reinickendorfer Welle, die Neuköllner Wolke und der Moabiter Wirbel mit »Raketenbahnen«, »Fahrten zum Mont Blanc«, einem »Nürburgring« mit Go-Karts und einer »Russenschaukel«, die weit ins All vorzudringen schien. Immer neue Budenstädte sprossen aus den Brachen zwischen den Ruinen, sogar im Zoo am Ku´damm eröffnete in Erinnerung an den abgebrannten Vergnügungspark am Kreuzberg der Tivoli am Zoo. Es gab das »Maienfest« und das »Blütenfest«, das »Spargelfest« und den »Heiratsmarkt«.

1959 war es auch an der Hasenheide wieder lebendiger geworden: Zum »Frühlingsfest« kamen neben den üblichen Buden sieben Fahrgeschäfte, die noch wie die alten waren, auch wenn sie sich jetzt »Super Scooter«, »Hurricans« und »Elektroflieger« nannten.

1966 fanden die ersten Neuköllner Maientage in der Hasenheide statt, auch der Vesuv durfte wieder Feuer spucken. 55 Jahre lang drehten sich auf der grünen Wiese des alten Hasenjagdreviers Riesenräder und Kettenkarussells. Vor drei Jahren schlug auch dieser Rummel zum letzten Mal seine Zelte auf. Mit zwei Autoscootern, einer Wildwasserbahn und dem Freefall-Tower zog er noch einmal Menschen aus allen Teilen der Stadt an.

Nirgendwo sonst trafen so viele Einheimische und Zugereiste, so viele Alte und Junge aufeinander wie während der Maiwochen zwischen Columbiadamm und Hasenheide. Es stimmte viele, die dabei waren, nachdenklich, als sich abends um zehn zum letzten Mal der bunte Sternenregen am Himmel über der Neuen Welt verteilte und noch einmal an die Anfänge erinnerte: An den Vesuv, der 1885 zum ersten Mal in der Hasenheide Feuer spuckte. An diesem Abend im Mai 2022 erlosch auch dieses Feuer für immer.







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