Kreuzberger Chronik
November 2024 - Ausgabe 264

Geschäfte

Donalds Erben


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von Ina Winkler

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Es gab eine Zeit, da trugen Schulkinder einen Großteil ihres kleinen Taschengeldes nicht mehr zum Eisladen oder zum Bäcker, sondern zum Kiosk, wo sich zwischen die großen schwarzweißen Blätter von FAZ und ZEIT die bunten Heftchen von Donald Duck, Micky Maus und Fix & Foxy eingeschlichen hatten. Die Eltern runzelten die Stirn, da die Jugend eigentlich Bücher lesen und sich nicht wie die Erstklässler bunte Bildchen anschauen sollte. Die »Schundheftchen« landeten im heimischen Kinderzimmer in denselben Geheimverstecken, in denen wenige Jahre später die Schmuddelhefte der Pubertierenden mit den barbusigen Blondinen verschwanden.

Der Siegeszug der Comics war nicht aufzuhalten, als der Ehapa Verlag in den Fünfzigerjahren die Rechte für die Comicfiguren aus dem Hause Disney erwarb und sich der bunten Welt gezeichneter Bilder zuwandte. Heute sind alle großen Verlage dabei: Rowohlt, Aufbau, Eichborn, Luchterhand… . Allerdings handelt es sich bei den Comics des 21. Jahrhunderts nicht mehr um dünne Heftchen aus knittrigem Papier für ein paar gesammelte Kupfermünzen, sondern um kunstvolle Ausgaben, deren Preise denen bibliophiler Literatur um Nichts nach-stehen. Im Gegenteil: Manche erreichen Sammlerpreise.

Auch ihr Label haben die bunten Bildergeschichten zu Beginn des 21. Jahrhunderts gewechselt: Man spricht in der Branche nicht mehr von »Comics«, sondern von »Graphic Novels«. Nicht zu unrecht, denn während in den Walt-Disney-Heftchen nur zwei- oder dreizeilige Sprechblasen das Bild ergänzten, so dient bei den Graphic Novels umgekehrt das Bild nun als Ergänzung zum Text. Selbst Klassiker der Weltliteratur wie Edgar Alan Poes Untergang des Hauses Usher werden heute nicht mehr nur durch Literaturwissenschaftler, sondern durch bunte, oft auch finstere Bilderwelten interpretiert.

All das finden Comicfans nicht nur auf digitalen Plattformen, sondern auch ganz real in einem kleinen Laden nicht weit von der berühmten Bergmannstraße in der unbekannten Baruther Straße Nr. 10. In einem unscheinbaren Souterrain, an dessen Tür jeder der wenigen Spaziergänger achtlos vorüberlaufen würde, wenn die Wände nicht mit überdimensionalen Comicfiguren bevölkert wären, sitzt Herr Frase-Gerhold hinter dem Computer und durchforstet Bücherlisten nach Neuheiten. Dabei gehört er nicht zu jenen, die einst ihr Taschengeld in Comicheftchen investierten. Er hat in der Baruther Straße Fernseher und Radios repariert. Er wäre nie auf die Idee gekommen, Comics zu verkaufen. »Aber irgendwann lohnte sich das Geschäft nicht mehr. Ein neuer Fernseher war günstiger als die Reparatur!«

Aufgeben wollte der Techniker das vertraute Souterrain jedoch auch nicht. Weshalb dann aber aus der Reparaturwerkstatt »Berlins artenreichster Comicladen« und keine Boutique und kein Plattenladen wurde, »das ist eine lange Geschichte«. Herr Frase-Gerhold winkt ab, wendet sich seinen Listen zu und rauft sich die Haare: »Die Verlage werden ständig teurer. Ich habe Stammkunden, die regelmäßig bestellen. Wie soll ich denen sagen, dass es jetzt schon wieder teurer wird?«

Drei schmale Räume hat die Comicbase in der Baruther Straße und an jeder Wand Regale voller Pappkartons, die aus der Milchabteilung des Supermarktes zu stammen scheinen: Das gleiche, schmale Format mit dem niedrigen Rand an der Stirnseite, um die Tetrapaks besser greifen zu können. »Damit die Kartons länger halten, wenn die Leute darin herumkramen, haben wir sie mit Klebeband verstärkt. Die Kartons sind beliebt. Die kann man jetzt sogar bei uns bestellen.«

Etiketten auf den Kartons weisen den Weg durch die Bilderwelt, sortieren das Sortiment nach Verlagen, Genres wie Western, Flieger und Radfahrer, Detektive, Berlin... - oder nach erfolgreichen inter- galaktischen Serientiteln wie Star Wars oder Star Trek. Männliche Helden füllen gleich reihenweise Pappkartons, Batman, Spiderman und Superman sind die absoluten Renner, aber um den Artenreichtum nicht aussterben zu lassen, haben sie Gesellschaft bekommen vom gestiefelten Batgirl, von der Spiderwoman und den Superheldinnen.

Nur noch wie Witzfiguren sehen neben diesen katzengestaltigen Heldinnen und muskulösen Helden der Neuzeit die Figuren von Goofy, Obelix und Donald aus. Natürlich sind alle noch da: Das ewig müde Marsupilami, Spirou und Fantasio, Tom und Jerry, Lucky Luke, Popeye, und Alfred E. Neumann mit seiner unvergesslichen Zahnlücke und den Sommersprossen auf den Titelbildern von Mad. Auch die lustigen Taschenbücher von Walt Disney sind noch im Regal, »ab 50 Cent das Stück«. Und natürlich die Schlümpfe. Die stehen sogar leibhaftig in der Vitrine, die kleinen blauen Plastikgestalten mit den weißen Zipfelmützen. Auch sie haben schon Nachwuchs bekommen, in einem Glasschrank neben dem Eingang erheben die »Super Heroes« der Sternenkriege ihre Waffen, zeigen Supergirls ihre superlangen Beine.

Das unterirdische Reich der Fantasie ist eben grenzenlos. Genauso wie Walter Moers Stadt der Träumenden Bücher. Auch das fehlt natürlich nicht im exquisiten Sortiment des Herrn Frase-Gerhold.



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