Juli 2024 - Ausgabe 261
Strassen, Häuser, Höfe
Solmsstraße 30 ![]() von Werner von Westhafen |
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![]() Doch auch hier ändern sich die Zeiten, die Mieten steigen, das kleine Büro der charmanten Sprachschule von Deborah Cohen, die über zwanzig Jahre lang hier Englisch unterrichtete, musste ebenso gehen wie das Atelier mit den Puppen von Karl Schlarp. Die Galerie, die in den 90ern Artisan hieß und mit ihrem Namen noch an die Kreuzberger Häuserkämpfe denken ließ, heißt heute derFRANZ.art. Der Häuserkampf scheint verloren, trotz der Gedenktafel an der Hauswand, die an den Verein Berliner Wohnungsmiether erinnert. Denn nachdem sich Anfang der Achtzigerjahre des 19. Jahrhunderts bereits die Mieter Dresdens und Leipzigs in Vereinen formierten, um gegen »Miethwucher und Knebelverträge« anzukämpfen, wurde 1888 auch in Berlin der erste Mieterverein gegründet. Das Vereinsbüro dürfte im Hochparterre des Vorderhauses gelegen haben. Schon nach zwei Jahren kamen über 6000 Berliner regelmäßig in die Solmsstraße, um den vierteljährlichen Vereinsbeitrag von 40 Pfennigen zu bezahlen oder um in den zwei täglichen Sprechstunden des Vorsitzenden Hermann Horn ihre Nöte zu schildern. Zudem war vor dem Büro ein Kummerkasten für Mieter angebracht, in dem schriftlich Fragen eingereicht werden konnten. Für besonders ernste Fälle stand der Syndicus Michaelis, ein kostenloser Rechtsbeistand, zur Verfügung. Eines der Ziele der Mietervertretung war die Formulierung eines allgemein gültigen, gesetzlich vorgeschriebenen Mietvertrags, der der Willkür der Hausbesitzer einen Riegel vorschob. Bis 1894 gab es keinerlei gesetzliche Regelung, die Wirte hatten bei der Gestaltung ihrer Verträge freie Hand. Besonders gefürchtet unter den Berlinern war das so genannte »Kahlpfändungsrecht«, das Hausbesitzer ermächtigte, im Fall von Mietschulden Hab und Gut der Bewohner zu pfänden und diese quasi halbnackt auf die Straße zu setzen. Einige Vermieter schafften es in die Schlagzeilen der Zeitungen, weil sie einer gekündigten Mutter verbaten, noch eine zweite Windel für ihren Säugling einzupacken, oder weil sie ihren Mietern das Rauchen nur noch auf dem Hof gestatteten, ihnen vorschrieben, wann sie abends zuhause sein sollten oder wieviele Kinder sie haben oder zeugen durften. »Und die Fußbekleidung muß bei Regen - jeder vor der dem Haus ablegen... .« Die zunehmenden Proteste und das Engagement des Vereins aus der Solmsstraße »wider Miethswucher und Eigenthümertyrannei« bewegte die preußische Regierung, am 12. Juni 1894 das »unbeschränkte Retentionsrecht der Vermieter« per Gesetz einzuschränken. Künftig sollten Vermieter im Falle einer Zwangsvollstreckung »vor gewissen Gegenständen Halt machen, die dem Schuldner unentbehrlich sind.« Ferner sollte der Vermieter »nur durch gerichtliche Hilfe sein Pfandrecht geltend machen« können. Die Zeiten, in denen der Hausbesitzer seinen »Miether unter Einbehaltung aller Sachen auf die Straße setzen und ihm das letzte Stück nehmen« konnte, schienen vorüber. Doch während sich auf der einen Seite die Mieter zusammenschlossen, versammelten sich auf der anderen die Wohnungseigentümer. In der Folge, so resümierte einige Jahre später die Vereinszeitung aus der Solmsstraße, verstanden es die Vermieter, »das neue Miethsrecht durch geschickte Vertragsformulare wieder in sein Gegentheil zu verkehren.« Hin und wieder aber zollten sogar sie dem Verein Lob und ermunterten ihn, nicht aufzugeben: Nur so könne man »Frieden unter beiden Parteien anbahnen. Krakeeler und Kampfhähne werden immer freilich bleiben, aber wir nehmen mancher Streittrompete die Luft ... Ermüden Sie nicht in Ihrer verdienstvollen Arbeit!« Der Berliner Mieterverein ist längst ausgezogen. Ebenso die Kavallerie, die während des Ersten Weltkrieges das gesamte Haus als Quartier nutzte. Während unter dem Dach über den fünf Pferdeställen im Hof die Knechte schliefen, wohnten im Vorderhaus die Offiziere. Im Zweiten Weltkrieg war die Fachwerkremise Schweinen und Kühen vorbehalten, die Fleisch und Milch lieferten. Heute steht das alte Haus, das bereits in den Siebzigerjahren des 19. Jahrhunderts errichtet wurde, unter Denkmalschutz. Haus, Hof und Remise wurden in den Siebzigern des 20. Jahrhunderts von den Hauseigentümern liebevoll saniert. Sie überspannten den Hof zwischen Haus und Stallgebäude mit einer Pergola aus Knöterich und legten Pflanzbeete an. Künstler und Alternative, die in den Folgejahren in die alten Ställe einzogen, installierten in der Mitte einen plätschernden Brunnen, hängten Laternen und zwei Vogelhäuschen auf, sorgten für Tische und Stühle und platzierten das eine oder andere Kunstobjekt zwischen Stauden, Blumen und Bäumchen. Und seit ein Reiseführer schrieb, der winzige Hof im Herzen Kreuzbergs sei einer der zehn schönsten Berlins, leiten Handys Besucher aus aller Welt direkt zum Hoffriseur i Capelli, zur Kiezgalerie oder zur Kunstwerkstatt derFranz.art, der »vielleicht kleinsten Galerie Berlins mit 200 Bildern auf 20 Quadratmetern.« Eigentlich ist der Erhalt dieses Hauses eine Erfolgsgeschichte. Doch auch die hatte ihren Preis. |