Kreuzberger Chronik
Juli 2024 - Ausgabe 261

Helmut

Flug über die Anden


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von Hans Korfmann

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Helmut war nicht nur ein virtuoser Klavierspieler, sondern auch Erzähler. Die Geschichte von seinem Flug über die Anden hat er im Heidelberger Krug auf Wunsch seiner Zuhörer oft erzählen müssen, jedesmal etwas anders, aber ungefähr folgendermaßen:

1973 flog er mit Gisela, einer schönen Journalistin, von Bolivien nach Brasilien. Helmut, von Flugangst geplagt, hatte sich Mut antrinken müssen. La Paz war der höchst gelegene Flughafen der Welt, die Luft so dünn, dass ein Flugzeug kaum abheben konnte. Skeptisch musterte er die Fluggeräte der Bolivian Airlines, die endlos lange Sandpiste und den Steward mit den goldenen Knöpfen am weißen Revers, der jedem Fahrgast die Hand reichte: Den zwei Missionaren, der Nonne, den Bauern und diesen beiden Europäern.

Das Flugzeug war eine Dakota mit Tischen zwischen den Sitzen. Als die Motoren aufheulten, machte es sich Gisela in den Polstern gemütlich, während Helmut nur noch einen Gedanken hatte: »Wann hebt die endlich ab?« Als sich das Flugzeug vom Boden löste, gab es lauten Beifall. Wirklich erleichtert aber schienen die Passagiere nicht, es war seltsam still – bis sie die hohe Bergkette überquert hatten, an der schon viele Flugzeuge gescheitert waren. Wieder wurde applaudiert.

Der Steward ging von Tisch zu Tisch und fragte in perfektem Englisch nach ihren Wünschen. Helmut bestellte vorsichtshalber Cognac. Der Steward kam mit der ganzen Flasche, stellte das Schnapsglas auf den Tisch und goss ein, bis Helmut Stopp sagte. Das Glas war randvoll. Es dauerte nicht lange, da saß ihm der Steward gegenüber, trank mit und erzählte Anekdoten aus seinem Leben, während sich unter ihnen der Amazonas durch den Urwald schlängelte. »Der Ärmste musste ständig aufstehen und zum Piloten in die Kanzel, um die Gläser zu füllen. Er erzählte, dass er Bomberpilot gewesen war, aber wegen Trinkens unehrenhaft aus der Armee entlassen wurde. »Der war Profi und konnte die Gläser blind bis zum Rand füllen, ohne dass ein Tropfen überlief. Und immer ein Arm auf dem Rücken.«

Helmut hatte jetzt grenzenloses Vertrauen in die bolivianische Airline. Erst, als der Steward meinte, sie wären gleich da und er müsse jetzt nach vorne, und als Helmut die rote Schlammpiste inmitten dieser grünen Unendlichkeit sah, wurde ihm noch einmal flau im Magen. Doch alles ging gut und wenig später saßen Gisela und Helmut an der Bar einer wackeligen Bretterbude, dem so genannten Terminal, und tranken noch ein Glas. Als der Steward sich zu ihnen gesellte, um ein letztes Mal anzustoßen, fragte Helmut: »Wo bleibt denn der Pilot? Will der gar nichts trinken?« – »Was für ein Pilot?«, amüsierte sich der Steward. »Die einzige Besatzung an Bord bin ich!«


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