Kreuzberger Chronik
Juli 2024 - Ausgabe 261

Geschichten & Geschichte

Sophie Louise Fleck


linie

von Ina Winkler

1pixgif
Eine Frau im Schatten ihres Mannes

Als Sophie Louise Fleck starb, ließ sie sich neben ihrem berühmten Gatten auf dem Friedhof vor dem Halleschen Tor beisetzten, der bereits 1801 gestorben war. Die junge Witwe und Schauspielerin hatte da noch ein halbes Leben vor sich. Ihr Mann, der berühmte Mime Johann Friedrich Ferdinand Fleck, war zwanzig Jahre älter gewesen als sie. Sie selbst verließ die Bühne der Welt erst ein halbes Jahrhundert später im Oktober 1846. Acht Jahre danach ließ sich auch Louises zweiter Mann, der Flötist und Kammermusiker August Gottlieb Schröck, den sie nach angemessener Trauerabstinenz geheiratet hatte, neben dem Pärchen begraben. Was die Öffentlichkeit über diese Konstellation auf dem Friedhof tuschelte und witzelte, ist nicht überliefert.

Überliefert ist, dass die junge Witwe bereits drei Sprösslinge aus erster Ehe in die zweite Verbindung mitbrachte, dass sie jedoch auch mit ihrem Flötenspieler nicht untätig war und noch sieben weitere Kinder in die Welt setzte, drei Söhne und vier Töchter. Von den vielen Nachfahren Sophie Louises, deren Schönheit schon an der Seite ihres Gatten Ferdinand die Phantasien der Theaterwelt beflügelt hatte, haben sich wiederum zwei erfolgreich der Bühne zugewandt.

Die inzwischen verwitterten und kaum noch lesbaren Worte auf dem Grabstein des Mimen, die August Wilhelm Iffland - seinerseits ein berühmter Schauspieler und Direktor des Königlichen Nationaltheaters am Berliner Gendarmenmarkt (vgl. Kreuzberger Chronik Nr. 229) - eingravieren ließ, sind voller Pathos und gleichen einer Hymne. Es heißt, Fleck habe dem Volke den Spiegel vorgehalten und die Törichten zum Erröten gebracht. »Wahr, edel und groß« soll er gewesen sein, »auf der Bühne und im Leben«, ein »Freund, ein zärtlicher Gatte und Vater«, der nun leider gegangen sei um »droben Großes zu schauen - was er hienieden ahnend empfand.«

Der Autor Gerold Ducke nannte ihn in seinem Text über den Friedhof der Schauspieler sogar »das erste Genie, das die Berliner Bühne betrat. Er spielte auf einsamer Höhe, von keinem im Ensemble auch nur annähernd erreicht.« Er habe eine unvergleichliche Stimme besessen, den Hamlet, den Lear, den Othello und Macbeth gespielt, und er sei allen diesen anspruchsvollen Rollen gewachsen gewesen. Goethe und Schiller zogen ihre Hüte, Ludwig Tieck schrieb, keiner habe »als Wallenstein auch nur entfernt an Fleck herangereicht«, und Friedrich Schlegel hielt ihn für den »ersten tragischen Heros der deutschen Bühne.«

Auch Iffland, der rührende Theaterdirekor, der unter den Allüren Ferdinand Flecks oft und viel hatte leiden müssen und der dessen Alkoholexzesse verabscheute, schrieb, dieser »Mensch spiele zuweilen, daß man ihn mit Hunden vom Theater hetzen sollte«, doch am nächsten Tag sei er wieder so grandios, »daß ich vor dem verfluchten Kerl auf die Knie hätte stürzen mögen.« Niemand, so urteilten die Theaterkritiker, habe Widersprüchlichkeit und innere Zerrissenheit Wallensteins so deutlich gemacht wie dieser Schauspieler.

Fleck habe sich Charaktere nicht erst anlesen müssen, sondern sie intuitiv erfasst. Man müsse ihn gesehen haben, »diesen jungen schönen Mann«, und man müsse es selbst gehört haben, dieses »unvergleichliche Organ«, das sich schon auf dem Gymnasium in Breslau gezeigt hatte, wo er sich bei Aufführungen »mehrfach durch sein wohlklingendes Organ und die Würde des Vortrags« auszeichnete. Die von ihm verfasste Abschiedsrede am Gymnasium wurde bejubelt, und als er 1781 in Berlin auftauchte, war er schon ein bekannter Schauspieler. Wenig später wurde er vom preußischen König Friedrich Wilhelm II. zum Regisseur des königlichen Nationaltheaters berufen, die Ankunft Ferdinands an der Seite seiner schönen Sophie in der Heimatstadt Breslau während einer Gastspielreise war ein Triumph.

Zwei Jahre später klangen die Schlussworte im Wallenstein, die Fleck mit lauter Stimme vortrug, besonders dramatisch: »Ich denke, einen langen Schlaf zu tun«, denn Schauspieler und Publikum wussten, dass er sich einer komplizierten Operation unterziehen musste. Die bald folgende Nachricht vom Tod des Schauspielers, der in wenigen Jahren »202 verschiedene Rollen« einstudiert und in ihnen »2627 mal auf der Bühne gestanden« hatte, verbreitete sich schnell und weit über die Preußischen Grenzen hinaus bis nach Frankreich und England.

Sophie Louise aber startete nach dem Tod des Mannes, der zu groß war, um nicht auch seine Sophie in den Schatten zu stellen, eine erfolgreiche Karriere. Trotz ihrer zehn Kinder blieb sie auf den Bühnen Berlins präsent und trat nicht mehr nur in Lustspielen und Volkstheatern auf, sondern in Goethes Iphigenie und Lessings Emilia Galotti, und wenn sie an der Seite ihres Ehegatten, der den Wallenstein spielte, noch dessen Tochter verkörperte, tauchte sie nun als gereifte und charaktervolle Frau ins Rampenlicht. Am 25. Oktober 1842, genau 50 Jahre nach ihrem ersten Auftritt, gab sie ihre bejubelte Abschiedsvorstellung. Vier Jahre später, fast 70 Jahre alt, starb sie.

Inzwischen sind beide fast vergessen, die Inschriften auf dem Grabmal, das der Bildhauer Schadow, Schöpfer der Quadriga auf dem Brandenburger Tor, im Auftrag Ifflands errichtete, kaum noch lesbar. Hin und wieder aber stößt man im Feuilleton auf die Namen Ferdinand Fleck und Sophie Louise Fleck, manchmal sogar auf Sophie Louise Fleck-Schröck. Für sich allein taucht der Name Schröck nur sehr selten auf. Über den Flötenspieler, der sich neben dem Paar bestatten ließ, ist nicht viel mehr bekannt als sein Name.



zurück zum Inhalt
© Außenseiter-Verlag 2025, Berlin-Kreuzberg