Kreuzberger Chronik
Juli 2024 - Ausgabe 261

Geschäfte

Loveco


linie

von Horst Unsold

1pixgif
Dieses Kleidergeschäft hat etwas anziehendes. Es zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Alles in diesem Geschäft beweist Geschmack, Sorgfalt und Professionalität. Nicht nur die Kleider in den Regalen und an den Ständern, auch die Auswahl des Standortes in dieser ruhigen Ecke Kreuzbergs, die Gestaltung der vier Schaufenster, die Werbespots im Netz und das Auftreten der auserwählten Verkäuferinnen.... - alles sorgt für ein perfektes Erscheinungsbild. Sogar die Wortwahl in den wenigen Textzeilen an den Schaufenstern passt. Die Gründerin des Geschäftes sagt: »Etwas so Schönes wie Mode sollte keine so schmutzige Vergangenheit haben!« Und ihr Partner ergänzt ein Schaufenster weiter: »Amazon hat 2019 nur 1,2 Prozent seines Gewinns versteuert. Wir versteuern 30 %«.

Doch Kreuzberg wäre nicht immer noch ein bisschen Kreuzberg, wenn nicht ab und zu jemand von der Straße hereinkäme, sich vor die Kasse stellen und fragen würde: »Was soll denn das heißen? Ihr versteuert 30%! Ihr müsstet 100 % versteuern!« Alte Kreuzberger trauen den weißen Westen in den Schaufenstern nicht, der Versprechung, wer »fair und vegan« kaufe, schütze »Umwelt, Mensch und Tier.«

Doch all das macht den Verkäuferinnen von Loveco wenig aus. »Der Spruch mit Amazon spaltet die Leute. Die sind kritisch, die fragen nach. Aber das wollen wir sogar! Wir halten schließlich jeder kritischen Bewertung stand...«, sagt sie und lächelt. Aber nicht dieses antrainierte Stewardessenlächeln, sondern ein faires und biologisches Lächeln, gesund, ungeschminkt, natürlich. Die beste Reklame. Doch das Misstrauen der Kreuzberger am neuen Modetrend ist nicht unberechtigt, den bei jedem erfolgreichen Trend gibt es Trittbrettfahrer und schwarze Schafe. Auch in der rasant wachsenden Öko-Textil-Branche.

Die junge Frau hinter der Ladentheke aber scheint stolz darauf zu sein, hier arbeiten und zum Erfolg des Konzeptes beitragen zu können. Sie erzählt, dass sie bereits 25 Mitarbeiter seien, die im Geschäft oder im Onlineshop arbeiten, im Lager oder im Versand. Und dass Loveco jetzt drei »Stores« hat, alle bestens platziert im Modemonopoli: Einen in Schöneberg, einen in Friedrichshain und diesen hier in der Körtestraße. »Das hier ist sozusagen unser Flaggschiff!«, lächelt die junge Frau so nett, dass niemand mehr an eine Fregatte an der Spitze einer kriegerischen Armada denkt. Sondern so nett, dass man sich glatt mit ihr freuen könnte über den Erfolg von »Loveco«. Dieser anglophilen Symbiose aus Love und eco.

Natürlich hätten Christina und Moritz ihren Laden auch »Ökoliebe« nennen können – aber das hätte zu altmodisch für die potentielle Käuferschaft der neuen Kreuzberger Generation geklungen. Die ist internationaler als vor dem Mauerfall, spricht meistens Englisch und die wohnt auch nicht mehr in günstigen Mietwohnungen.

So wie die junge Frau an der Kasse scheinen auch Christina Wille und Moritz Marker eher Kommunikationswissenschaften studiert zu haben als Betriebswirtschaft. Sie beherrschen die Raffinessen der Rhetorik und wissen, wie sie die Kundschaft ansprechen müssen. Im filmischen Selbstporträt auf der Website des trendigen Kleiderladens hört der Zuschauer die nun zehnjährige Geschichte von Liebe & Öko und hört der ehemaligen Studentin gerne zu, wenn sie erzählt, wie sie auf die Idee kam, nicht nur die Modewelt, sondern sogar die Welt als solche ein ganz kleines bisschen zu verbessen. »Ich bin im Studium auf das Thema aufmerksam geworden. Ich habe Kulturwissenschaften mit ´nem Schwerpunkt auf Textilien studiert und mich im Lauf der Zeit mit dem Bereich nachhaltige Textilproduktion auseinandergesetzt.« Die Stichworte Öko, Fair, Vegan waren schon da und füllten die Webseiten, aber Läden, in denen es das alles unter einem Dach gab, die fehlten. Sogar in Berlin!

Die Idee war also ein Laden, »wo man Dinge findet, die einem den Alltag verschönern und die biologisch und fair produziert werden. Ich kann genau sagen, wo die Sachen, die wir verkaufen, produziert werden und was für Materialien da drin sind.« Man versuche »in allen Bereichen so nachhaltig wie möglich zu agieren«, Möbel aus Secondhand-Läden und regional zu kaufen. »Wir sind bei der GLS Bank und beziehen den Strom von einem Ökoanbieter.« Mit einem Wort: Loveco sei eher eine Lebensphilosophie als Geschäftsphilosophie.

All diese Beteuerungen der politischen Korrektheit sind bestens geeignet, bei alten Kreuzbergern die Alarmglocken läuten zu lassen. Doch wer im Laden steht und ihnen zuhört, wie sie überzeugt sind von dieser Sache, der wird das Gefühl nicht los, dass sie es ernst meinen.

»Naja«, sagt die junge Verkäuferin, die das mit Amazon schon so oft erklären musste. » Wenn die zum Beispiel fragen, was unsere Jeans denn so kosten, dann sage ich: Das geht bei 100 Euro los. Aber die halten auch ein paar Jahre, das verspreche ich. Und bei unserer Jeans von Nudie– die kostet allerdings 180 - haben Sie lebenslange Garantie!«

»Lebenslang?«, lächelt der alte Mann. Aber sie lächelt zurück und sagt: »Nicht lebenslang für Sie, sondern für die Hose.« Und dann erklärt sie, dass diese Hose kostenlos geflickt und repariert wird, solange sie lebt. »Und wenn es irgendwann wirklich nicht mehr geht, wird sie weiterverarbeitet zu Flicken und Täschchen oder Accessoires, aber der Kunde erhält dann 20% Rabatt beim Kauf der nächsten Jeans.«

Der alte Mann nickt: »Das macht Sinn.« Die Hose kauft er trotzdem nicht. Wahrscheinlich fehlen 180 Euro.


zurück zum Inhalt
© Außenseiter-Verlag 2025, Berlin-Kreuzberg