Dezember 2024 - Ausgabe 265
Helmut
Mehr Gefüüühl ![]() von Horst Zimmermann |
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Kennengelernt hatte ich Helmut im Tabularasa, einem Lokal am Tempelhofer Berg, das der Vergangenheit angehört. Das war kurz nach der Wende in den 90ern. Er hielt nicht viel von Klavierlehrern und ich nicht viel von Klavierstimmern. Doch ich merkte bald, dass er kein Scharlatan war, er wiederum, dass ich Klavier spielen konnte. Und das bezweifelte er bei Klavierlehrern eigentlich generell. Klavierstimmen aber hatte mich schon immer interessiert. Als Jugendlicher versuchte ich, mein Klavier mit Schraubenschlüsseln in temperierte Schwingung zu bringen. Der Stimmer, der danach gerufen werden musste, meinte jedoch, ich hätte es gar nicht schlecht gemacht. Ich bat also Helmut, mir ein paar Kniffe zu zeigen, ich wollte es unbedingt richtig lernen. »Das dauert aber länger als man braucht, um eine Beethoven-Sonate gut zu spielen«, meinte er. Doch er brachte es mir bei, und ich übte – sowohl Beethoven als auch das Stimmen. Normalerweise schleppte Helmut die Instrumente allein. Und oft wurde er gefragt, wie er das denn schafft. Seine Antwort: »Ganz einfach. Mit Pythagoras!«. Einmal transportierten wir gemeinsam ein Klavier nach Bielefeld, das er mit viel zu schmalen Zurrgurten auf dem Hänger festgezurrt hatte. Im Regen auf der Autobahn sah ich, wie sich alles löste und das Klavier in Schieflage geriet. Unter einer Brücke brachten wir alles wieder ins Lot. Helmut beschäftigte ein Heer von Schutzengeln, denn passiert ist ihm nie etwas, obwohl er oft betrunken Auto fuhr und dabei gleichzeitig Zigaretten drehte. »Nüchtern kann ich nicht, da habe ich Angst«, scherzte er. Helmut spielte auch Bandoneon. Bach-Inventionen und kleine Stücke in U-Bahn-Stationen. Die Plätze wurden von der BVG ausgelost. Zur Jahrtausend-Wendefeier bekam er den begehrten U-Bahnhof Mitte. Nach einer Stunde rief er an, er könne den Kasten mit dem vielen Geld nicht tragen. Wir zählten mehrere hundert Mark Kleingeld. Später durfte ich ihn bei Kunden als Stimmer zu vertreten, und wir traten gemeinsam auf Veranstaltungen auf. Helmut und ich waren ein Duo geworden. Wenn der eine auftauchte, fragten die Leute, wo der andere bleibt. So spielten wir auch bei den Kreuzberger Festlichen Tagen oben am Denkmal. Allerdings zog Helmut der »Weinbrunnen« dort mehr an als die Musik. Da wir die klassische Musik liebten, lag es auf der Hand, vierhändig zu spielen. Leider konnte Helmut nicht gut Noten lesen, und so kamen wir über Diabellis »Melodische Übungsstücke« nicht hinaus, wobei er den Schülerpart spielte. Aber diese Stücke waren trotzdem für das Publikum immer ein Hit, wohl auch, weil wir zwei zusammen am Klavier äußerst kurios aussahen. Unterlief Helmut dabei einmal ein Fehler, lenkte er geschickt davon ab, indem er mich ansah, als hätte ich mich verspielt und rief empört: »Mehr Gefüüüühl!« |