Dezember 2024 - Ausgabe 265
Geschäfte
Elli und Anna ![]() von Ina Winkler |
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![]() Pünktchen und Anton, Susi und Strolch, Hanni und Nanni, Rico und Oskar…, lauter kleine Berühmtheiten aus großen Kinderbüchern. Und Elli und Anna? Anna ist eine, die Kinderbücher schreibt, und Elli eine, die immer noch Kinderbücher liest. Obwohl sie längst selbst Kinder hat. Aber Elli liebt Kinderbücher seit der Geschichte vom Roten Blitz. So hieß ihr erstes Buch. Es muss in den Sechzigerjahren gewesen sein, denn der Rote Blitz war ein benzinschluckender Porsche! Heute undenkbar: Ein Sportwagen im Kinderbuch! Deshalb steht vor Ellis und Annas Laden kein Sportwagen, sondern ein Lastenfahrrad. »Wir sind ja für die Verkehrswende«, sagt Elli. Anna sagt: »Die von der fLotte haben gefragt, ob sie zwei Räder vor´m Laden abstellen könnten. Die könnten wir verleihen, kostenlos.« Die Welt muss ja besser werden. Anna und Elli sitzen in der Sonne vor ihrem Laden an dem kleinen Tisch, auf dem vorher die bunten Bilderbücher und die bunten Postkarten lagen. Jetzt steht das Mittagessen darauf. »Vom Inder!«, sagt Anna. »Schmeckt gut«, sagt Elli. Elli und Anna sind Buchverkäuferinnen. Verkäuferinnen wie aus dem Bilderbuch. Sie sehen aus wie alte Freundinnen und reden wie aus einem Mund, mal die eine, mal die andere. Dabei ist Anna erst seit kurzem dabei. Aber kennen tun sie sich schon lange. Da schrieb Anna noch Bücher über Eltern, nicht über Kinder. Anna ist für Brigitte eingesprungen, die noch krank ist. Brigitte arbeitet schon seit fast dreißig Jahren im Bilder-Buch-Laden. Sie kann die Geschichte mit den Studenten am Besten erzählen, die 1985 die Starthilfe 85 gründeten und gleich vier Läden zwischen Gneisenau-straße und Kanal mieteten, um Kindern aus fremden Ländern Nachhilfeunterricht zu erteilen und Spielenachmittage zu arrangieren oder Deutschunterricht für die Mütter. In der Zossener Straße 6 eröffneten sie einen Buchladen und in der Nummer 5 eine Fahrradwerkstatt, die Kindern und Jugendlichen beim Reparieren ihrer Räder half. Die meisten von ihnen waren Sozialpädagogen. So wie Elli, Anna und Brigitte. »Aber ein paar Künstler waren natürlich auch dabei.«, sagt Elli. »Die waren immer dabei in den Achtzigern.«, sagt Anna. »Und die wollten ihre Bilder natürlich auch zeigen.«, sagt Elli. Also gab es in der Nummer 6 Bilder und Bücher. Und also schrieb man Bilder-Buch-Laden darüber. »Das steht da heute noch.«, sagt Anna. »Aber es gibt nur noch Bücher.«, sagt Elli. »Irgendwann war 1985 vorbei und dem Verein wurde das alles zu viel!« Doch die Projekte haben überlebt, 2007 wurden sie von der Berliner Stadtmission übernommen. Missionarische Bücher wanderten ein. Zehn Jahre später aber wollte die Mission den Laden nicht mehr. Elli hatte zwei kleine Kinder, Brigitte zwei pflegebedürftige Eltern. Keine der beiden Frauen wäre auf die Idee gekommen, ausgerechnet jetzt einen Buchladen aufzumachen. »Niemals! Aber der Buchladen war schon da. Wir mussten ja nicht bei Null anfangen.«, sagt Elli. Um viel zu verändern, blieb keine Zeit. Die Bücher, die darauf hinwiesen, dass Gott uns liebt, blieben im Regal. Das war kein Fehler: »Es gibt nur noch eine Handvoll christlicher Buchhandlungen in Berlin. Und wenn eine Mutter eine Kinderbibel sucht: Bei den Dussmanns und den Thalias und Hugendubels findet man vielleicht noch zwei oder drei. Wir haben 30!« Sagt Elli. Also kommen die Leute aus der ganzen Stadt. Aber auch die Nachbarn von nebenan. Elli und Anna haben ja nicht nur Kinderbücher und Bibeln, und besorgen können sie ohnehin alles Mögliche. »Heute bestellt, morgen da!«, steht auf dem Fahrradständer. Sie finden auch alles. Sogar, wenn die Mutter das Buch kaum beschreiben kann und sagt, es sei gelb und darauf sei ein Pferd. »Das Buch war blau und das Pferd ein Einhorn«, aber Elli wusste sofort, wonach sie suchen musste. »Wir sind der einzige Buchladen zwischen Gneisenaustraße und Landwehrkanal«, sagt Anna. Damit auch die, die selten in die Zossener Straße kommen, sie nicht vergessen, veranstalten sie einmal im Jahr ein Fest vor der Tür. Aber wie sollte man dieses Schaufenster vergessen? »Alle drei Wochen gestalte ich das neu!«, kichert Elli. Anna sagt. »Vier Wochen wäre viel zu lang. Sie hat immer so viele Ideen!« Wenn Elli nicht gerade das Schaufenster gestaltet, dann liest sie vielleicht gerade ein Kinderbuch. Es gibt da so eine Reihe, die hat es ihr angetan: Little People, Big Dreams. Das sind kurze, bunte Bilderbuchgeschichten über Menschen wie Albert Einstein, Stevie Wonder, Andy Warhol, Stephen Hawkin... Elli hat sie fast alle gelesen. Sogar den Jürgen Klopp, den sie eigentlich nicht mag. »Die Geschichten beginnen alle gleich, und sie machen alle Mut: Ein Kind hat einen Traum, möchte Musiker oder Rennfahrer oder Wissenschaftler werden, aber das Kind sitzt im Rollstuhl oder ist zu arm für eine gute Schule. Es sieht so aus, als müsse der Traum für immer ein Traum bleiben. Aber dann….« Dann beginnt das Märchen. Ellis Lieblingsbuch heißt »Zwei für dich, einer für mich«. Da geht es um zwei Freunde, die drei Pilze gefunden haben und sich streiten, wer zwei und wer nur einen essen darf. »Ich habe sie gefunden.« - »Und ich habe sie gekocht!« Dann kommt der Fuchs, der lachende Dritte, und nimmt sich einen von den Pilzen. Elli schlägt die Seite mit einem großen Bild auf und amüsiert sich. »Das ist wunderbar gesetzt!«, sagt Elli, nur Bilder und Dialoge, kaum Text. Ein richtiges Bilderbuch für einen Kinder-Bilder-Buch-Laden. |