Kreuzberger Chronik
Oktober 2023 - Ausgabe 253

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Der Pokerabend


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von Bernd Schulz

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Ich kam so gegen 15 Uhr am Schlösschen vorbei und dachte mir, du könntest ja mal einen Kaffee trinken. Und schon rief einer: »Na, wie siehts aus Bernd? Woll´n wa nicht ein Bierchen trinken?« Ich sagte: »Ich trinke eigentlich nie vor vier.« Aber der ließ nicht locker: »Na, so´n kleines Bierchen vielleicht? Ich hab grad Geburtstag und alleine bechern macht doch keen Spaß.«

»Also, wenn du unbedingt willst, dann würde ich nen Kaffee trinken, verstehste? Ich hab danach noch ein paar Sachen zu erledigen.« - »Wie’s dir gefällt!« Ich trink also den Kaffee und fahr dann zur Versicherung, wo man mir schlappe fünf Mille aushändigen will. Das mit dem Geld klappte auch, und mit den dicken Scheinen in der Tasche fühlte ich mich auch sofort viel besser.

Es muss so 17 Uhr gewesen sein, da war ich zurück im Yorckschlösschen und die saßen natürlich immer noch da mit mächtig Durst und tranken. Man bestellte zwei, brauchte aber nur eins bezahlen. Da machte das Bechern Spaß.

So richtig nüchtern waren die meisten ja nicht mehr, bis auf den Brathahn-Günter. Und der fragte gleich: »Na Bernd, was machste so?« - »Ach, eigentlich nichts so richtig!«, sagte ich. »Na, dann könnten wir doch ein kleines Spielchen machen?« Ein kleines Spielchen, das hörte sich ziemlich harmlos an. Also setzte ich mich.

Irgendwann hatte auch ich schon das eine oder andere kleine Bierchen getrunken und vollkommen vergessen, dass eigentlich meine Freundin auf mich wartete, weil wir heute die Wohnung streichen wollten. Außerdem wollten wir in den nächsten Wochen nach Griechenland zu fahren, um die Surfschule auszubauen. Aber das alles rückte mit dem langsamen Einbrechen der Nacht in weite Ferne.

Wir saßen also ein bisschen abseits und legten uns die Karten. Es ging die ganze Zeit hin und her, mal gewann er und ich verlor, dann war es wieder umgekehrt. Und die Zeit verging. Es wurde zehn, es wurde elf, es wurde zwölf und wurde eins. Irgendwann lag ich vorn und dachte: Läuft ja alles wie gewünscht! Günter sah das anders. Er stand irgendwann auf, zahlte und ging, und ich saß da und freute mich über die fünf Mille und den Spielgewinnn in meiner Tasche.

Da kam Zobel rein und erklärte, wir müssten unbedingt mal wieder ein kleines Spielchen machen. Eine Stunde oder so, er habe ja morgen Frühschicht im Schlösschen, da müsse er ausschlafen. Ich dachte, ein Stündchen, das ist doch kein Problem! Wir spielten und ich gewann ein Spiel nach dem anderen, ein paar Hunderter lagen da jetzt schon. Und Zobel kam ins Schwitzen. Die Zeit spielte schon lange keine große Rolle mehr, wir waren viel zu tief ins Spiel versunken. Und weil das Schlösschen zumachte, spielten wir im VW-Bus weiter.

Und dann begann die Knete zu wandern: Kaum hatte ich gewonnen, wanderte sie wieder zurück auf die andere Seite. Zobel gewann immer öfter, während es bei mir immer dünner wurde. Ich fragte Zobel: »Sag mal, musst Du nicht zur Frühschicht?«

Aber Zobel meinte, er suche sich eine Vertretung für die Schicht morgen früh. Aber er fand niemanden mehr, es war ja schon vier oder fünf Uhr Morgens.

Wir spielten trotzdem weiter. Irgendwann war von meinen fünf Mille nicht mehr viel übrig. Und die Zeit drängte! Zobel musste ja um neun den Laden aufmachen! Da kam meine Siggi, riss die Tür zum VW-Bus auf und meinte, ein größeres Arschloch wie mich sei ihr im ganzen Leben noch nicht untergekommen. Wir hätten doch die Wohnung streichen wollen! Sie schlug die Tür zu und ging.

Jetzt verabschiedete sich auch noch Zobel, es war ja gleich neun, er musste zur Arbeit. Und ich saß allein im Bus wie ein bepisster Pudel und resümierte: Ich hatte die fünf Mille verspielt, den Gewinn vom Nachmittag und zum Schluss auch noch den VW-Bus, mit dem wir nach Griechenland wollten.

Während ich da so sitze und übers Leben nachdenke, kommt der Zobel wieder zurück und sagt, der Olaf hätte ihn gerade rausgeschmissen. Der möge keine besoffenen Zapfer in der Morgenschicht. Und dann meinte Zobel: »Wir können weiterspielen!«

Ich konnte es kaum glauben und meinte etwas kleinlaut: »Ich hab doch gar kein Geld mehr auf Tasche!« Zobel nickte und sagte nur: »Ich leih´dir einen Tausender. Das bist du mir wert!« Also spielten wir weiter.

Und dann kam Franky von der Taxischicht nachhause, sah uns im VW-Bus Karten spielen und fragte, ob er noch einsteigen könne. Zobel nickte. »Aber dann spielen wir bei mir oben!« meinte Franky, der gleich über dem Schlösschen wohnte. »Da ist es gemütlicher und wir sind geschützter vor den neugierigen Blicken.« - »Und was sagt deine Frau dazu?« fragte Zobel. »Wenn wir nett sind, macht sie uns vielleicht sogar einen Kaffee.«

Die Zeit verging, es wurde Mittag, und das Geld wanderte hin und her und entschied sich immer öfter für Franky. Und dann wendete sich das Blatt. Ich merkte, dass ich nur noch gute Karten auf die Hand bekam. Ich konnte kaufen, was ich wollte, es passte immer. Ich bekam ein Fullhouse auf die Hand, einen Flash, sogar nen Poker. Und die Einsätze wurden immer höher, es gab Spiele, da lagen 1000 Mark in der Mitte, noch bevor das Spiel richtig losging.

Ich konnte es kaum fassen, aber ich gewann ein Spiel nach dem anderen, und so gegen sechzehn Uhr hatte ich den Bus und die 5 Mille wieder zurückgewonnen und noch 5000 Mark obendrauf. Zobel meinte, er könne mir jetzt nur 2500 geben, den Rest bekäme ich, wenn wir von Paros zurückkämen. Ob das ok wäre. Na klar war das ok!

Und dann bin ich zurück ins Schlösschen gegangen, Siggi stand jetzt hinterm Tresen und ich bestellte erst mal Champagner. Sie meinte, ich sei wohl endlich total übergeschnappt, und außerdem hätte sie nur noch eine Flasche kalt, und die koste 89 Mark. »Dann stell noch vier Flaschen ins Eis fürs gesamte Lokal. Hier sind Fünfhundert. Und nächste Woche gehts ab mit dem Bus nach Griechenland.«

Es muss so 17 Uhr gewesen sein.


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