Kreuzberger Chronik
November 2023 - Ausgabe 254

Reportagen, Gespräche, Interviews

Geschäfte in der Bergmannstraße


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von Michael Unfried

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Nichts bleibt, wie es war. Auch nicht in der Bergmannstraße. Von den Antiquariaten, Kneipen und Cafés, die die Straße einst berühmt gemacht haben, sind nur wenige geblieben. Grund sind steigende Gewerbemieten.













Die Bergmannstraße Nr. 5-7 2010 / Michael Hughes



Der größte Klotz in der Bergmannstraße ist die Nummer 5-7, das so genannte Ärztehaus. Es befindet sich in Privatbesitz, sorgte zunächst für viel Unmut in der Nachbarschaft, weil der lauschige Biergarten im Innenhof unter den alten Kastanien und der geniale Plattenladen für immer verschwanden, ebenso wie die historische Deckenbemalung der Habels Brauerei-Ausschank. Inzwischen haben sich die Gemüter beruhigt, die Kreuzberger Nächte unter den Kastanien sind vergessen, im Ärztehaus und den beiden Supermärkten florieren die Geschäfte und mit der Browse Gallery hat im Erdgeschoss sogar die Kultur eine Notunterkunft gefunden.

Der größte Immobilienbesitzer in der Bergmannstraße ist die Gewobag. Sie besitzt die meisten Geschäftsräume in der international bestens vermarkteten Straße. Sie hat nach Monopoly-Manier zwischen Tempelhofer Berg und Schenkendorfstraße beinahe die gesamte Südseite der Bergmannstraße aufgekauft, ausgenommen sind lediglich das Eckhaus am Tempelhofer Berg und das Ärztehaus.

Damit prägt die Gewobag wesentlich das Straßenbild, denn sie entscheidet, wer kommt und wer geht, welche Geschäfte bleiben und welche nicht. Sie entscheidet über die Zukunft des Männergeschenkgeschäfts Herrlich in der Nummer 2, des Modeladens nebenan, der Frau Behrends und des Optikzentrums, des Strickwarenladens Breitenbach, sie lenkt die Geschicke von Luccico und Jacques´ Weindepot und des Pralinenladens Sawade bis hin zur Bilderrahmenwerkstatt Weilensee in der Nummer 9. Und jenseits der Nostitzstraße auch über die Zukunft des Indienladens von Aga und des Rucksackspezialisten Bagage, über das Weing´schäft, den Fotoladen und den Schmuckladen gegenüber der Markthalle. Die Gewobag spielt für die Entwicklung der Bergmannstraße keine kleine Rolle. Und sie verfolgt vornehmlich keine sozialen Interessen mehr, sondern rein geschäftliche.

Dabei war der Zweck der 1919 gegründeten und 1931 in Gemeinnützige Wohnungsbau AG Groß Berlin umbenannten Gesellschaft ausschließlich »die Beschaffung gesunder Wohnungen zu angemessenen Preisen für minderbemittelte Familien und Einzelpersonen.«

Auch in den alles bewegenden Jahren nach der Wende verfolgte das senatseigene Unternehmen noch sozialverträgliche Ziele wie eine behutsame Sanierung der Altbauten mit Rücksicht auf die hier lebende Bevölkerung und deren Einkommen. Zahlreiche Mitarbeiter der Gewobag wohnten selbst im Stadtviertel und standen in direkter Verbindung zu den Bewohnern, was einer gewissen Vetternwirtschaft Vorschub leistete, andererseits aber auch die Rücksichtnahme auf die wesentlichen Bedürfnisse der Kreuzberger garantierte: stabile Mieten und ein buntes Angebot Gewerbetreibender. Buchhändler, Antiquitätenhändler oder

Kulturschaffende auf der Suche nach einem Laden erhielten den Vorzug vor den aus aller Welt anreisenden Gastronomieketten, die in der Bergmannstraße Geschäfte machen wollten.

Doch die 90er waren einmal. In den letzten Jahren verschwanden viele der Kreuzberg-typischen Ladenbesitzer ebenso aus den Häusern der Gewobag wie aus denen der Spekulanten. Auch die freundlichen Mitarbeiter des Unternehmens, das 2014 sein gläsernes Headquarter am Spreebogen bezog, verschwanden aus der Gegend. Der Ton, den heutige Mitarbeiter der Gewobag anschlagen, unterscheidet sich nicht mehr von dem fremder Investoren und klingt eher juristisch und feindselig als freundlich und nachbarschaftlich. Und unter den obligaten Grüßen, wo sonst das Kleingedruckte steht, steht hier ganz fett: »Dieses Schreiben enthält vertrauliche und rechtlich geschützte Informationen. Das unerlaubte Kopieren sowie die unbefugte Weitergabe dieser E-Mail sind nicht gestattet.« Es sieht aus, als habe die Gewobag etwas zu verbergen.

Stefan Neitzel, der in der Bergmannstraße 20 Jahre lang einen der ältesten Fahrradläden Berlins betrieb, kündigte die Gewobag wegen einer lächerlichen Verspätung der Mietzahlung. »Die 20 Jahre waren rum. Das ist System bei denen. Es gibt kaum Gewerbemieter bei der Gewobag, die länger als 20 Jahre in ihrem Laden bleiben.« Am Anfang bieten sie fünf oder zehn Jahre an, am Ende gibt es nur noch Verträge über ein Jahr. »Die stellen sich immer dar als die Beschützer der Witwen und Waisen, aber wenn man da mal näher ranzoomt, dann merkt man: das sind die Schlimmsten. Gegen deren Anwälte hast du keine Chance. Die machen dich fertig.«

2500 Euro Miete zahlte Neitzel, als er 2018 vor Gericht verlor. Heute steht da, wo einst Mechaniker mit schwarzen Fingern Räder reparierten, eine Schokoladenhändlerin mit lackierten Fingernägeln hinter glänzenden Vitrinen. Viel Kundschaft ist in dem feinen Geschäft mit dem feinen Namen nicht zu sehen. Im Fahrradladen standen die Leute manchmal Schlange. Und sie kauften nicht Schokolade für fünf Euro, sondern Fahrräder für 500. »Da darf man schon einmal die Frage stellen: Wie soll das weitergehen mit der Bergmannstraße?«

Seit 2018 haben mehrere Ladenbesitzer in der Bergmannstraße aufgeben müssen, unter anderem schloss die Filiale von Shoeting. Die letzte, die die Straße verließ, war Gunhild Propawka, die mit Luccico und eigens in Italien angefertigten Schuhen zu fairen Preisen im Verlauf von 20 Jahren zu einem der Lieblinge in der Bergmannstraße geworden war. Der Name und die schönen Schuhe sind die gleichen geblieben, nur die Besitzerin hat gewechselt. »Ich hatte gerade einen neuen Vertrag unterschrieben, nach langem Überlegen.« Die Gewobag näherte sich bereits der 30-Euromarke für den Quadratmeter, auch für die hinteren Lagerräume. »Und dann kam Corona!«

Da die Politik Immobilienbesitzer eindringlich darum bat, sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst zu werden und Gewerbemietern in der Krise entgegenzukommen, wandte sie sich optimis-tisch an ihren städtischen Vermieter und bat um Mietnachlass. Den erhielt sie - »minimal und nur für die kurze Zeit, in der der Laden geschlossen war. Und richtig schwierig wurde es ja erst danach.« Also schrieb sie an die Chefetage:

»Auch nach mehreren Versuchen ist keiner Ihrer Mitarbeitenden bereit, mit mir ein Gespräch über eine gütliche, für alle Seiten sinnvolle Lösung zu führen. Daher habe ich keinen anderen Weg gesehen, als mich an Sie zu wenden. Es sollte doch möglich sein, auch unter Berücksichtigung Ihrer wirtschaftlichen Interessen, eine Einigung zu finden. Sie werben auf Ihrer Homepage mit einer attraktiven und vielfältigen Gestaltung des Kiezes. Durch Ihr Vorgehen machen Sie es einer Unternehmerin allerdings unmöglich, weiter Teil des Kiezes zu sein. Es wäre schade, wenn Luccico nach so vielen Jahren die Bergmannstraße verlassen müsste. Ich freue mich auf einen Lösungsvorschlag.«

Die Gewobag antwortete, man könne auch »nach nochmaliger Prüfung des Sachverhalts leider kein anderes Angebot machen.« Man sei der Auffassung, »mit den Mietpreisvorstellungen nicht zu hoch zu liegen.« Vielmehr läge man »mit dem Angebot in Höhe von 30,- EUR pro Quadratmeter noch unterhalb der Marktmiete.« Am Ende unterbreiteten sie der Ladenbesitzerin noch die Möglichkeit, sie für »sechs Netto-Kalt-Mieten vorzeitig aus dem Vertrag zu entlassen.«

Trotz der überhöhten Miete konnte die Schuhhändlerin den Laden noch durch die Krise steuern, doch nach dem unerfreulichen Briefwechsel sah sie keine Perspektive mehr und suchte einen Nachfolger. Abermals erhöhte die Gewobag die Miete und offerierte einen Staffelvertrag, der sich im Jahr 2033 bereits der 7000er-Marke näherte.

Bei Wikipedia steht, dass das Unternehmen seit 2015 »eine offensive Wachstumsstrategie verfolgt« und bis 2026 »durch Neubau und Ankauf seinen Bestand an Mietwohnungen von 74.591 Einheiten auf 79.300 erhöhen« möchte. »Zur Finanzierung ihrer Wachstumsstrategie emittierte die Gewobag im November 2017 ein Schuldscheindarlehen in Höhe von 300 Millionen Euro. Es war die größte Transaktion eines Immobilienunternehmens im deutschen Schuldscheinmarkt.«

Das erklärt, weshalb die Firma jetzt mehr Miete von den kleinen Ladenbesitzern der Bergmannstraße verlangen muss. Sie muss, wie alle Aktiengesellschaften, weiter wachsen. Und ihren Kredit abbezahlen.

Die Bergmannstraße Nr. 5-7 1907 / Sammlung Peter Plewka






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