Kreuzberger Chronik
Juli 2023 - Ausgabe 251

Hausverbot

Der Sektkühler


linie

von Michael Unfried

1pixgif
Unter Trinkern gibt es bekanntlich zwei Sorten: Die einen werden immer freundlicher und neigen dazu, die ganze Welt zu umarmen, und die anderen werden immer übellauniger. Herbert war einer von der friedlichen Sorte. Einer von denen, die kaum auffielen, weil sie nie laut wurden, sondern immer freundlich lächelnd am Tisch saßen und zuhörten, während die anderen Geschichten erzählten. Er gehörte zu jenen Stammgästen, die man beim Betreten des Lokals nicht jubelnd begrüßte, sondern denen man kurz zunickte und schweigend einen freien Stuhl zuschob.

Herbert saß am liebsten vorne beim Tresen in der Ecke bei der Heizung. Dort saßen alle, die sich auskannten. Im Winter war dieser Tisch der beste, weil es dort am Wärmsten war, und im Sommer war er der beste, weil man dem Kellner nur kurz zunicken musste, und schon stand das Bier neben einem auf dem Tresen. Tisch Eins war eben die Nummer Eins, wer hier saß, gehörte zur Elite des Schlösschens.

Auch der stille Herbert zählte zu den Privilegierten und hatte einen Platz an Tisch Eins. Es gab allerdings Tage – Tage, an denen etwas Besonderes passiert war oder an denen er besonders viel getrunken hatte - , da geriet auch Herbert in Plauderlaune. Wenn er dann das Wort ergriff und zu seinen etwas umständlichen und meist weit in die Vergangenheit zurückreichenden Erzählungen ausholte, dauerte es nicht lange, bis ihm kein Mensch am Tisch mehr zuhörte. Dann sah man ihn da sitzen und monologisieren, während die anderen schallend über die Pointe einer Geschichte lachten, die gerade ein anderer erzählte. An solchen Abenden sah man Herbert, ein Glas Bier in der Hand, auf der Suche nach Zuhörern von Tisch zu Tisch durch das Lokal ziehen.

Auch wenn Herbert kein begnadeter Erzähler war, so gibt es doch eine Geschichte von ihm, die bis heute unvergessen ist. Zum ersten Mal wurde sie erzählt, als jemand an Tisch Eins plötzlich fragte: »Wo ist denn eigentlich der Herbert?«

»Siehst Du den Sektkühler da?«, fragte einer und deutete auf einen silbernen Blechkübel, in dem der Wirt ein kleines Blumensträußchen frisch hielt. Der wohlgeformte Sektkühler hatte eine tiefe Delle.

»Das war Herbert. Jetzt hat er Hausverbot!«

Es war einer dieser Abende gewesen, an denen Herbert in Erzähllaune gewesen war. Zum einen, weil er genügend getrunken hatte, zum anderen, weil etwas Besonderes vorgefallen war.

»Seine Freundin hat mit einem anderen gevögelt. Und das hat ihm natürlich gar nicht gefallen. Irgendwann hat er sich ein paar Bierkrüge genommen und damit nach den Gästen geworfen...«, erzählten die Männer von Tisch Eins und schlugen sich vor Vergnügen über den gelungenen Vorabend auf die Schenkel.


zurück zum Inhalt
© Außenseiter-Verlag 2024, Berlin-Kreuzberg