Dez. 2023/ 2024 - Ausgabe 255
Geschäfte
Koks aus der Körte von Edith Siepmann |
Einer der letzten seiner Art: Kohlenhändler Kögler Bild: Edith Siepmann Es wird Winter, die Kälte zieht in die Knochen, die Menschen verkriechen sich in dicke Mäntel oder vergraben sich in ihren Kemenaten. Die Gasuhren drehen sich rasant. Wohl dem, in dessen Haushalt noch ein Kachelofen die Sanierung überlebt hat, der jetzt behagliche, preisgünstige Wärme ausstrahlt! Mag es auch sehr nach 20. Jahrhundert klingen – es gibt sie noch in Kreuzberg, die guten alten Kohleöfen. Und zwar in ein oder zwei Häusern in fast jeder Straße. Niemand außer den Schornsteinfegerinnen weiß das besser als Dirk Kögler, Inhaber der letzten Kohlenhandlung in Kreuzberg und Neukölln. Man könnte annehmen, dass die Aufschrift Fuhrunternehmen Kohlenhandlung Holz nur noch aus Nostalgiegründen auf seinem Haussockel in der Körtestraße steht. Denn vorbei sind die Zeiten, als in allen Straßen mehrere Souterrain-Läden voller Kohlen auf Kunden warteten, die Bestellungen für Keller oder Wohnung aufgeben wollten oder gleich selbst eine kleine Packung Briketts mitnahmen. »In den 70ern gab es noch mehr als 900 Händler in Berlin, doch mein Großvater sagte schon damals: Ist ja gar nix mehr los mit Kohle! Er hatte die florierenden Geschäfte der Nachkriegszeit im Kopf.« Da gab es noch Tausende von Kohlenhändlern in Berlin. Heute sind es gerade mal zehn. »Die hören alle uff, Machule ooch, finden keene Arbeiter mehr, die die Kohle schleppen wollen.« Aber gibt es überhaupt noch Nachfrage? »Die Kohle nimmt immer mehr ab, aber das Kaminholz zu. Die Ära Kohle wird zu Ende gehen. Hat keine Zukunft mehr, wenn man´s genau nimmt.« Wie zum Beweis kommt eine junge Frau in den Laden und bestellt Holzbriketts, 80 mal zehn Kilo zu 513 Euro, inklusive Treppengeld. Das reicht dann für den Winter. Dirk Kögler setzt sich an das alte Eichenbüfett und schreibt die Bestellung per Hand auf seine lange Liste, die er Zeile für Zeile abarbeitet. Sein Onkel aus der Nostitzstraße, wie er selbst aus einer Fuhrunternehmen- und Kohlehändlerdynastie stammend und Kreuzberger seit vielen Generationen, hilft ihm dabei, seit er sein eigenes Geschäft geschlossen hat. Aus einem großen, hundert Jahre alten Röhrenradio tönt die Musik von heute. Fotos an der Wand aus der frühen Geschäftshistorie zeigen, wie die Handwagen durch Zug-Pferde und dann durch Trecker und Lkws abgelöst wurden. »Früher musste noch in den Bahnwaggon gekrabbelt werden, mit dem die Kohle aus der Lausitz im Görlitzer oder Anhalter ankam, und dann bei Regen und Schnee jede einzelne Kohle mit Hand in den Kasten gepackt werden. Jetzt geht das mit dem Stapler. Ein Kasten mit Briketts wiegt 83 Kilo. Und das dann mit dem Gurt in den vierten Stock! Acht Stunden lang Schwerstarbeit. Die Leute sind alle mit 50 fertig.« Auch wenn das Lager von Kögler in Britz ist, stapeln sich neben dem Büroraum Brennholz, Briketts, Koks – fast ein kleines Brennstoff-Museum. »Steinkohle kam in die alten Kochmaschinen, zu heiß fürn Kachelofen. Da kommen Braunkohle-Briketts rein. Die Briketts, die so nach Schwefel stanken, waren aus Borna bei Leipzig, aber die wurden im Westen schon in den 70ern verboten. Im Osten nicht. Die Rekord aus der Lausitz, da gab´s mal ein Interzonen-Abkommen mit der DDR, jetzt ist das Werk an die Tschechen verkauft und die liefern nur noch teuer oder gar nicht, weil sie sich rächen für die 90er, wo die Deutschen bei ihnen alles aufgekauft haben. Und die gute Union aus Köln gibts nicht mehr. Die hat dicht gemacht!« Die Eierkohlen kommen jetzt aus England, die Anthrazit aus Vietnam und das heizstarke, verhüttete Koks aus Polen. »Koks wird gebrochen, Brech 1 ist so groß wie Fußbälle und was für Fabriken, Brech 3 ist für Hausbrand. An der Kohle hingen viele Arbeitsplätze dran, wenn man so denkt.« Aber die Ära geht zu Ende. Eine ausgestopfte, rabenschwarze Krähe und ein kohlenstaubiger Iltis beobachten stumm die Szenerie. »Letztens kam einer rein und sagt zu mir: Alta, du sitzt ja hier inner Zeitkapsel! Recht hat er. Muss aufpassen, dass nicht alles vollgestopft wird, aber wie sollste sowat wie den Vogel da wegschmeißen!« Dirk und sein Onkel sind beide in die Familienbetriebe ihrer Eltern hineingewachsen. »Die wollten eigentlich, dass wir was anderes lernen, man wusste ja damals schon, dass das keine Zukunft hat und auf die Knochen geht, aber dann sind wir beide bei den Kohlen gelandet, weil es sonst keiner weiter gemacht hätte. Und als die Mauer fiel, sah es so aus, als würde das mit der Kohle noch 50 Jahre so weiter gehen, aber ratzfatz war alles saniert und die Ostkohlenfritzen nach 5 Jahren zack auf einmal alle weg.« Das Telefon klingelt. »10 Zentner Eier und 20 Bündel Holz.« Dirk Kögler muss schnell Kohlenarbeiter finden. Keiner will mehr. Ob der Zettel an der Tür hilft? »Wir haben viel zu tun, weil wir mit die Letzten sind. Kommt ja noch dazu, dass wir viel mehr Fahrtzeit vom Lager zum Kunden brauchen durch die Verkehrsberuhigung. Und dann kannst du kaum mehr abladen, alles mit Paketautos zugeparkt, die Poller und Parkraumbewirtschaftung, alles dicht, wie soll man da liefern? Man wird dann auch noch angeschrien: Pass auf, du Penner! Du brauchst dreimal soviel Zeit wie früher bis zum Abladen. Es macht keinen Spaß mehr.« Draußen vor dem Fenster hasten im Regen bestiefelte Beine vorbei. Dirk Kögler sitzt in seinem gemütlichen Zeitkapsel-Büro inmitten der feinen Körtestraße und sinniert: »Ich würd` es nicht mehr machen. Oder am liebsten so ein, zwei Tage die Woche. Wenn hier der Ofen an ist, alles schön warm, was brauchste mehr?« |