Kreuzberger Chronik
April 2023 - Ausgabe 248

Hausverbot

Der Koch


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von Erwin Tichatschek

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Es gab ein Speiselokal in der Nähe der Yorckbrücken, von dem erzählt wurde, der Koch verstehe sein Handwerk so gut, dass man noch nie einen rebellierenden Gast vor die Tür hätte setzen müssen. Einmal nur, so wurde von Gästen berichtet, sah man einen jungen Mann fluchtartig das Lokal verlassen.

Das Restaurant war ausgezeichnet, aber es führte in dieser verlassenen Ecke Kreuzbergs eine unauffällige Existenz. Das hielt den leidenschaftlichen Koch, der zugleich der Wirt war, nicht davon ab, sich jeden Tag aufs Neue mit all seiner Energie dem Kochen hinzugeben. Er war ein Mensch, für den Kochen ein unersetzlicher Bestandteil des Lebens war. Hätte man ihn auf einer einsamen Insel ausgesetzt, hätte er sich jeden Mittag in der Bambushütte einen Tisch gedeckt.

Der Koch von den Yorckbrücken war keiner, der die Speisekarten mit poetischen Beschreibungen vollkritzelte. Er hielt nichts von phantasievollen Kreationen mir exotischen Titeln, eine Küche war kein Laboratorium. Lobhudeleien der Gäste machten ihn misstrauisch, aber er liebte es nach getaner Arbeit mit einem Glas Rotwein bei einem Stammgast zu sitzen und sich zu erkundigen, wie es ihm geschmeckt hatte. Um dann von den Apfelküchlein seiner Mutter zu schwärmen. Oder von einer Mama in einem italienischen Bergdorf, deren riesige Nudelberge mittags Scharen von Bauarbeitern anzogen, während abends feine Herrschaften viel Geld für ihre Kochkunst daließen.

Jeden Mittag um zwei betrat der Wirt sein Lokal, putzte Gemüse, blanchierte, setzte Teig an. Um vier öffnete er die Lokaltür, seine Frau servierte ihm einen Kaffee, und dann verschwand er in der Küche und ward nicht mehr gesehen. Niemand durfte ihn stören, niemand die Küche betreten. Selbst, wenn ein Freund kam, den er Jahre nicht gesehen hatte, musste die Frau in der Küche eine Audienz beantragen.

Die Einzigen, die sein Reich ohne Sondererlaubnis betreten durften, waren die Lieferanten, die Fisch, Wild, Salat und Gemüse brachten. Aber auch die wurden meist nur unwillig vom Koch empfangen, und seine Stammgäste, die vorne ihren Espresso tranken und Zeitung lasen, grinsten sich zu, wenn sie ihn schimpfen hörten.

Einmal soll es besonders laut gewesen sein: »Wie soll ich denn mit solchen Tomaten kochen?« rief der Koch. »Ich habe Tomaten bestellt, ausgereifte, rote Tomaten! Nicht so ein blasses, unreifes Gemüse.« - Wenig später sah man den jungen Mann mit seiner Kiste voller Tomaten zum Ausgang stürmen. Kurz darauf erschien der Chef in der Küchentür und rief: »Hier, die hast du vergessen.« Und dann sah man, wie eine dunkelrote Tomate durch die Tür flog und draußen an der Litfaßsäule einen gewaltigen, roten Fleck hinterließ.

»Ah – die war vielleicht schon reif!«, murmelte der Koch und zog sich wieder in seine Küche zurück.

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