Kreuzberger Chronik
September 2022 - Ausgabe 242

Geschäfte

Minigolf in der Hasenheide


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von Horst Unsold

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Es gibt Bälle, mit denen man viel Geld verdienen kann: Fußbälle, Tennisbälle, Basketbälle, Golfbälle... Mit Minigolfbällen kann man nur kleines Geld verdienen. Aber die Minigolfbahnen hatten ihre große Zeit: Seit am Lago Maggiore ein Gartenbauarchitekt 1954 die erste Minigolfbahn entwarf und seit in der Lombardei der erste Europameister gekürt wurde, kam das Minigolfspiel auch in Deutschland groß in Mode.


Da kamen sie zu der Golfbahn an der Hasenheide noch mit eigenen Schlägern in den Köchern und mit einem ganzen Sortiment von Bällen. Sie maßen die Temperatur des Belags, um die richtigen Bälle auszuwählen, und säuberten die Betonbahnen zuvor mit einem nassen Mopp. Sie hatten Vereinswimpel und Statuten. Wie bei den Kegelclubs war aus dem harmlosen Zeitvertreib eine ernstzunehmende Angelegenheit geworden. Als die Spieler Mitte der Achtziger von Nikos verlangten, er möge einen Looping einbauen, schüttelte der Grieche den Kopf. Für ihn blieb Minigolf immer ein Spiel.

1980 hatte der Tischlermeister Nikos die Bahn an der Hasenheide gepachtet. Nikos war in den Sechzigerjahren von den Deutschen angeworben worben, um das zerstörte Nachkriegsdeutschland wieder aufzubauen und arbeitete im Akkord, bis ihn sein Freund Takis eines Tages fragte, ob er nicht lieber eine Golfbahn übernehmen wolle. Takis war mit dem Berliner Minigolf-Großunternehmer bekannt, der sieben Anlagen in der Stadt besaß. Als der Pächter von der Hasenheide aufhören wollte, fragte er Takis, ob er ihm nicht einen Nachfolger empfehlen könne. Da fiel ihm der Tischlermeister ein.

Nikos stellte eine Holzhütte auf, baute aus massiven Balken einen sturmsicheren Sonnen- oder Regenschirm, pflanzte Rosenstöcke, Blumen und Sträucher und natürlich Tomaten. Ohne Tomaten können Griechen nicht sein. Inzwischen pflegen seine Tochter Alexa und Maarten, sein Schwiegersohn, die alten Rosen auf der Anlage, die längst nicht mehr nur eine Minigolfbahn, sondern längst eine Oase, ein blühender Garten geworden ist zwischen den hohen Kiefern, die schon hier gestanden haben müssen, als Turnvater Jahn weiter oben noch am Reck herumturnte. Die Minigolfbahn ist ein Park im Park und ein Relikt aus den Sechzigerjahren mit ihren roten, blauen und gelben pilzförmigen Kappen der Bahnbeleuchtung, mit ihren kleinen Hügeln und Brücken, den Nadelöhren und Hindernissen, die sich den Kugeln in den Weg stellen. Die Bahnen haben sich kaum geändert.

Allerdings hat Alexa angesichts der griechischen Temperaturen kürzlich einen Zitronenbaum mitgebracht. Noch ist er im Topf, aber vielleicht werden eines Tages über der Bahn mit der Nummer 7 gelbe Zitronen hängen.

Natürlich kann Alexa nicht nur gärtnern, natürlich kann sie auch Minigolf spielen. Maarten hebt die Augen zum Himmel und zieht die Mundwinkel herunter. »Keine Chance gegen sie!« Er hat Alexa kennengelernt, da wohnte er noch gegenüber auf der anderen Straßenseite. Eines Tages kam sein Schulfreund und sagte: »Komm, wir spielen mal.« Und da stand plötzlich Alexa. Jetzt haben sie drei Kinder.

Alexa war beeindruckend. Braungebrannt, lange Haare und eine tolle Golfspielerin. Sie ging im Sommer nach der Schule nicht nachhause, um Hausaufgaben zu machen, sondern zur Minigolfbahn. Wenn es nicht regnete, spielte sich das Leben der Familie unter freiem Himmel ab, und es gab Tage, da blieb für die Schulbücher nur wenig Zeit. Sie musste hier ein bisschen putzen, da ein bisschen gießen, Eis essen und natürlich Minigolf spielen. Für die Kids, die in der Hasenheide Fußball spielten, war das Mädchen vom Golfplatz eine Instution. Wenn Sie Geld hatten, kauften sie hier ihr Eis. Und wenn sie kein Geld, aber Durst hatten, dann »standen sie Schlange am Wasserhahn mit dem Gartenschlauch, daran erinnere ich mich noch genau. Und ich musste immer den Hahn aufdrehen.« Alexa muss die heimliche Liebe aller Kinder der Hasenheide gewesen sein.

Den Bahnrekord von 23 Schlägen hält allerdings nicht die Chefin von der Hasenheide, sondern ein Mann, der nur ein einziges Mal hier auftauchte. »Er schaffte die 18 Löcher in 23 Schlägen. 2008 war das.«, daran erinnert sich Maarten noch genau. »Das muss ein Profi gewesen sein!« Da kommen auch die Stammspieler nicht mit. Auch nicht die, die seit vierzig Jahren kommen.

»Kürzlich«, erzählt Maarten, »war hier ein Pärchen, das sah sich die ganze Zeit auffällig neugierig um. Irgendwann meinten sie, das habe sich aber sehr verändert seit damals, die Rosen seien gewachsen und alles noch ein bisschen schöner als früher. Und dann stellte sich heraus, dass sie gerade Goldene Hochzeit gefeiert hatten. Und wissen Sie, wo wir uns kennengelernt haben? Da drüben, auf der Bahn 13! Vor über 50 Jahren

So entstehen auch auf kurzen Minigolfbahnen manchmal lange Geschichten. Auch die von Carlo könnte so eine Geschichte werden. »Carlo ist vielleicht zwölf oder dreizehn Jahre alt und kommt nur ab und zu mal am Nachmittag vorbei. Aber kürzlich hat er den Parcour mit 29 Schlägen geschafft!«

Vielleicht werden sich die Golfer in Augusta eines Tages die Geschichte über einen Berliner erzählen, einem aus den Slums von Neukölln, der nach der Schule auf einer alten Minigolfbahn in Kreuzberg zu spielen begann, die man nach dem Krieg in einem Hasengehege zwischen den Ruinen eingerichtet hat.





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