Kreuzberger Chronik
Juni 2022 - Ausgabe 240

Strassen, Häuser, Höfe

Tauts Klause


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von Werner von Westhafen

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Kurz vor dem Kottbusser Damm, da, wo die Böckhstraße und die Dieffenbachstraße aufeinandertreffen, ist ein kleiner, namenloser Platz entstanden mit drei oder vier Bäumen, zwei Bänken und einem historischen Kandelaber. Von hier aus fällt der Blick auf ein Eckhaus auf der anderen Seite des Kottbusser Damms, das nur mit einem schmalen Seitenflügel am großen Boulevard steht. Die langgestreckte und imposante Front des Hauses, die bis zur nächsten Querstraße reicht, ist der bedeutungslosen Bürknerstraße zugewandt. Touristen verirren sich nur selten hierher, kein Reiseführer verweist auf das Gebäude mit der Nummer 90, das ebenso aus der Feder des Stararchitekten Bruno Taut stammt wie die Nummer 2/3, das Gegenstück am nördlichen Ende des Kottbusser Dammes, das etwa zur gleichen Zeit entstand.

Es gibt auch keine Gedenktafel an den Wänden des Erdgeschosses, in dem sich ein rosafarbener Geschenkeladen eingerichtet hat und ein ebenso glitzernder Textilsupermarkt, der bereits seit vielen Jahren »Restposten aus London« verkauft. Um die Ecke, in der bescheidenen und etwas preisgünstigen Bürknerstraße, haben kleine Kiezläden eine Bleibe gefunden, da gibt es das Reisebüro Karakus, einen Secondhandladen namens Yummi und ein Künstlercafé mit dem rätselhaften Namen Klötze & Schinken. Das unscheinbare Erdgeschoss sieht so alltäglich aus wie das jedes anderen »Kreuzköllner« Hauses in dieser Gegend.

Um so auffälliger ist alles, was über dem Erdgeschoss folgt. Schlank und hoch sind die Fenster der drei Etagen, logenartig erscheinen die integrierten Balkone und Loggien zwischen den runden Erkern, beeindruckend ist in luftiger Höhe der zweifarbige Zierfries mit seinen Terrakottareliefs, der sich einst in eleganten Schwüngen wie eine Banderole um das gesamte Gebäude herumwand. Heute ist das wellenartige Band nur noch an der Bürknerstraße zu sehen – am Kottbusser Damm hat man die Fassade nach dem Krieg nur notdürftig restauriert. Dennoch benötigt man kein Studium der Architektur um auf einen Blick zu verstehen: Dieses Haus sollte etwas Besonderes sein.

Nicht nur der Architekt der Nummer 90 ist derselbe wie bei der Nummer 2/3, sondern auch der Bauherr: Arthur Vogth. Dass das Gebäude mit seiner Front nicht am Kottbusser Damm, sondern an der Seitenstraße steht, dürfte daran liegen, dass die anderen Grundstücke an der Hauptstraße bereits vergeben waren. Dennoch hatte das Haus »einen hohen Wohnstandard mit bis zu Sechszimmerwohnungen, und alle Wohnungen waren von Anfang an zentralbeheizt und bis auf wenige Ausnahmen mit Bädern und warmem Wasser ausgestattet.« Anfang des 20 Jahrhunderts war ein solches Bad Luxus.

Wie auch am Kottbusser Damm 2/3, wo Taut & Hofmann den Kinosaal gleich mitplanten, hatte man auch in der Nummer 90 die Räume im Erdgeschoss den Bedürfnissen der künftigen Mieter angepasst. Für eine große Restauration hatte man offensichtlich bereits einen Pächter gefunden, denn schon kurz nach der Fertigstellung des Hauses eröffnete die »Kottbusser Klause«, die bis in die Siebzigerjahre hinein von sich reden machte.

Der Eingang »befand sich am Kottbusser Damm direkt neben dem Treppenhaus, das auch die Toiletten des Gastraums (im Treppenunterzug) beherbergte. Vom Eingang gelangte man zum Restaurant-Bereich, dem über einige Stufen der Vorsaal und im Anschluss der eigentliche Ballsaal folgten. Weitere Zugänge mit Garderobe existierten an der Bürknerstraße (unten) durch die dortigen Bogen-Portale«, rekonstruiert Lutz Röhrig bei seinen Recherchen für Zeit für Berlin.

Insbesondere der mit Eichenparkett belegte große Tanzsaal mit der Bühne für die Tanzorchester wurde heiß geliebt. Es fehlte an nichts: Es gab ein Buffet, mehrere Vereinszimmer und im Souterrain eine Kegelbahn. 1912 kam noch ein Billardzimmer hinzu und 1924 ein im Hof gelegener Anbau für Gartenfeste. So ließ es sich am Kottbusser Damm gut leben in den goldenen Zwanzigerjahren.

Dann brachen finstere Zeiten an: Wo zuvor getanzt wurde, richtete Siemens ein Lager für Zwangsarbeiterinnen aus der Rüstungsindustrie ein. Obwohl im Visier der alliierten Truppen überlebte das Taut- haus den Krieg nahezu unbeschadet. Die Adria Orient Bar zog im Eckhaus ein und versuchte ihr Glück, doch 1951 war sie pleite. Es kam Ilse Schier-Weimann, eine gestandene Berliner Gastronomin, und machte aus der Orient Bar wieder eine Kottbusser Klause. Mit ausdauerndem Erfolg.

Zu ihren Gästen zählten Prominente wie Hardy Krüger und Erich Kästner, und auf der Rock´n Roll Bühne des Atelier 13 im Souterrain sang René Kollo »Hello Mary Lou«, Michael Holm trällerte von »Men-docino« und Drafi Deutscher sang von Marmor, Stein und Eisen. Sogar Rolf Eden, Berlins berühmtester Playboy, schaute des öfteren mit seinen Damen bei Ilse am Kottbusser Damm herein.

Doch irgendwann war auch das einmal vorbei. Ilse gab die Klause ab und unterrichtete stattdessen an der Volkshochschule »die Herren der Schöpfung im Hausarbeitskurs für Männer«, während in der alten Klause nun Restposten aus London verkauft wurden. Spuren des Restaurants und des Ballsaals sind heute nicht mehr aufzufinden, lediglich die großen Räume lassen erahnen, dass auch dieses Haus einmal eine glanzvolle Zeiten erlebt hat. •


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