Kreuzberger Chronik
Juli 2022 - Ausgabe 241

Kreuzberger
Gert Bertram

Wenn ich Mucke mache, ist die Welt in Ordnung


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von Hans W. Korfmann

Titelfoto: Holger Groß

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Es war eine Flucht: »1973 bin ich vor der Bundeswehr und vor meinen Eltern geflohen!« Zur Schwester nach Berlin. Und schon im Flugzeug begann alles besser zu werden. »Da stand so ein Typ in Schlaghosen und mit Pop-Frisur. Ich dachte mir schon, das muss ein Musiker sein!« Ein paar Tage später stand der Typ auf der Berliner Waldbühne. Es war Jeff Beck.

Bitterfeld war kein Zuckerschlecken. Sie hänselten ihn, verspotteten ihn wegen seines Aussehens. »Natürlich hatte ich zwei, drei gute Freunde, die zu mir hielten, aber….« - eine glückliche Kindheit war das nicht. Auch wenn es einen Garten hinter dem Haus der Großeltern gab und eine alte Villa nebenan, vor der sie spielten. Auch wenn Gert, so wie alle anderen Kinder auch, davon träumte, einmal Lokomotivführer zu werden. Irgendwann in den Sechzigern, als die Grenze immer undurchlässiger wurde, floh der Vater mit Gerts Schwester nach Neumünster. Gert folgte mit der Mutter einige Tage später. »Man musste schon ein bisschen aufpassen damals, und wenn man mit fünf Koffern und zwei Kindern an der Grenze stand, wurde man in Bebra gleich beiseite genommen.«

In Neumünster musste sich Gert dann wieder neue Freunde suchen. Er fand welche, aber leicht war es nicht. Die Schule empfand er als Tortur, nur das Singen machte Spaß, »da hatte ich immer eine Eins!« Später saß er hinter dem Plattenspieler im Jugendclub, eine Position, die er nur erreicht hatte, weil er sich bei Karstadt eine stattliche Plattensammlung zusammengeklaut hatte.

Am wohlsten fühlte er sich zuhause am Klavier. Stundenlang saß er da und spielte. Es hätte ein klassischer Pianist aus ihm werden können, »aber da war dieser Blues zuhause«, die ständigen Auseinandersetzungen mit dem Vater, wegen der Schule, der Bundeswehr, wegen der pubertären Selbstmordgedanken, und natürlich wegen der langen Haare, denen Gert Bertram bis ins 21. Jahrhundert treu blieb. 1973 gab es keine andere Alternative für Leute wie ihn außer Berlin.

Es fing auch alles ganz gut an in dieser großen Stadt voller Individualisten, in der es für jeden Platz gab, in der jeder willkommen war, wenn er nur ein bisschen anders aussah als der Rest der Deutschen. Trotzdem stand er auch in Berlin eines Tages im vierten Stock am Fenster und dachte daran, zu springen. »Aber ich traute mich nicht. Wie das eben so ist im Leben!«

Es war gut, dass er sich nicht traute. Sonst gäbe es das Allzeit Musik Studio heute nicht. Auch nicht die Roots Of Rock, die noch heute die Stücke aus Gerts alter Plattensammlung spielen: Beatles, Stones, Creedence Clearwater Revival, Spooky Tooth. Oder dieses fast schon vergessene »Something in the Air« von Thunderclap Newman. Mit Gert am Mischpult, Gert an der Gitarre, Gert am Mikrophon. Mit Gert, der so wunderbar singen kann. Berlin und Musik, das war die Rettung. »Wenn ich Mucke machen kann, ist die Welt in Ordnung.«

Sein erster Berliner Wohnsitz war eine leerstehende Wohnung in der Manteuffelstraße, »ohne Mietvertrag, vierter Stock unterm Dach.« Der erste Proberaum befand sich in einem Gebäude der Reichsbahn an der Möckernbrücke. Auch der war umsonst: »Unser Trommler arbeitete ja bei denen!«

Auch Gert ging zur Reichsbahn, zuerst als Maschinenschlosser, »aber das war nicht wirklich was für mich«. Und eigentlich hatte er ja eh schon immer Lokomotivführer werden wollen. Also ließ er sich zum S-Bahnführer ausbilden und kurvte ein Jahr lang zwischen Ost und West hin und her, vier Mal am Tag von Gesundbrunnen bis Sonnenallee und wieder zurück. »Für zwei Mille im Monat.« Jeder Ossi hätte sich gefreut über so einen Job, aber »die stellten nur Wessis ein. Die hatten Schiss, dass ihre eigenen Leute irgendwo im Westen aussteigen und nicht mehr wiederkommen.«

Aber dann wollten Gerts Arbeitgeber, dass er der Sozialistischen Einheitspartei Westdeutschlands beitritt. Das wiederum wollte Kollege Bertram nicht. Also stieg er aus aus der S-Bahn, arbeitete fortan als Totengräber, Roadie, Dachdecker oder Komparse. Er stand mit Katarina Witt für die Eiskönigin als staubiger Köhler auf dem Glatteis und gemeinsam mit Omar Sharif und dem Rock´n´Roller Kalle Kalkowski in Katharina die Große als russischer General vor der Kamera. Unterhaltsame Jobs gab es genug, aber sie spielten keine wichtigen Rollen im Leben Gert Bertrams, »wir waren nur Beiwerk.« Die Hauptrolle spielte immer die Musik.

Die erste Band mit Gert Bertram hinter dem Mikrophon hieß Shot Gun. Die Bandmitglieder probten nicht nur gemeinsam, sie verbrachten auch viel Freizeit miteinander. Eines Abends saßen sie in einer Kneipe in der Pichelsdorfer Straße, und da sie so viel tranken, reichte das Geld am Ende nicht mehr ganz für die Rechnung. Da drehte sich der Typ neben ihnen um und sagte: »Hier hast du ´n Hunni. Den will ich aber morgen wiederhaben!«


Gratulationskarte der Schwester zum 60. Geburtstag










Am nächsten Abend waren sie alle wieder da. »So war das eben in Berlin: Man hatte das Gefühl, zusammenzugehören«. Joe und die Musiker wurden Freunde, und als Joe dann das alte Ballhaus in Spandau mieten und zur Kneipe umbauen wollte, heuerte er die Truppe an. Als alles fertig war, saß Gert Bertram als DJ hinterm Plattenspieler. »Da kam so ein Typ vorbei und sagte: Ey, das ist ein cooler Job! So was möcht´ ich auch mal machen!« Sie plauderten eine Weile, später wurde der Typ einer der berühmtesten Plattenaufleger der Welt und beschallte in den 90ern Millionen von Ravern auf der Straße des 17. Juni: Dr. Motte.

Im Sommer 1976 stand dann im Ballhaus Spandau erstmals diese vierköpfige Rock-Blues-Boogie-Band namens Shot Gun auf der Bühne. Die Truppe wurde so etwas wie die Hausband. »Wir hatten ein bisschen Erfolg, immerhin haben wir die Hütte voll bekommen, und das waren 500 Leute!« Das Ballhaus war eine angesagte Adresse, hier lernten sich Die Ärzte kennen, die ihnen dann irgendwann beim Berliner Rockwettbewerb die Show stahlen und Gert und seine Mitspieler auf Platz Zwei verwiesen. Frank Zander war hier, und die Wacholder Band, die irgendwann diesen Song spielte, der zur Erkennungsmelodie der Fernsehserie Gute Zeiten - Schlechte Zeiten wurde, die dem Gitarristen der Band so viele Tantiemen einbrachte, dass er »bis heute davon leben kann«. Auch City aus Ostberlin spielte im Ballhaus. Und immer dabei: Gert Betram, hinter dem Plattenspieler, hinter oder auf der Bühne.

Doch wie bei allen guten Bands ging die Sache nicht lange gut. Nach drei Jahren verkrachten sich die Musiker. Die nächsten Formationen nannten sich Outlaws, Aderlass oder Die Neuen Modelle. »Mit den Modellen standen wir schon kurz vor dem Plattenvertrag«, als es wieder krachte. Geblieben ist nur noch eine Fernsehaufnahme vom Auftritt im Quartier an der Potsdamer Straße.

Die Bands kamen und gingen, aber als viele Jahre später Kalle Kalkowski im Heimathafen den Neuköllner Songcontest gewann, traf Gert im Publikum Jay Be wieder, den ehemaligen Bassisten von Shot Gun. Das war der Grundstein für die Roots Of Rock Band, die seit 2012 wieder die Klassiker von Kinks, Stones, Steppenwolf oder Golden Earring spielt. Ständig mit dabei ist der ehemalige Karthago- und Spooky Tooth- Gitarrist Joe Albrecht, und manchmal auch sein alter Freund vom Film, »der rockende Malermeister« Kalle Kalkowski, der ihm kürzlich die Wohnung strich. Im Gegenzug mischte Gert für Kalle in seinem Tonstudio am Kotti eine CD zusammen.

Seit 22 Jahren wohnt Gert Bertram jetzt am Kottbusser Tor, im Zentrum Kreuzbergs. Durch eine schmale Öffnung im schmucklosen Vorderhaus führt hinter einer Glastür ein enger Gang in einen von den hohen Betonwänden des Kottbusser Zentrums umgebenen Hinterhof, in dem noch ein letzter Seitenflügel aus dem Jahre 1889 steht. Dort, am Ende einer schmalen Treppe im vierten Stock, befindet sich eine Eineinhalbzimmerwohnung. Hier, hinter einem Vorhang, schläft Gert Bertram. Vor dem Vorhang ist das Studio. Das Allzeit Musik Studio. »Wenn ich aufstehe, bin ich sofort auf Arbeit!«

Auf Arbeit setzt er sich vor den großen Bildschirm oder ans Master-Keybord, oder er nimmt die Gitarre. Oder er stellt sich an dieses Mikrophon, vor dem auch schon Miko stand. Sie war mit einem Text zu ihm gekommen. Gert schrieb die Musik dazu und produzierte die CD in seinem Tonstudio. Beim Music Award der Academia Los Angeles wurde »Sex Sells« als bester Dance/Pop Song 2016 ausgezeichnet, die Urkunde hängt im Tonstudio hinter Glas.

Siebzig kleine silberne Scheiben sind im Studio am Kotti entstanden. Vor dem Vorhang mit dem Bett. Im vierten Stock mit Blick auf die Betonwände des schmucklosen Hinterhofes, an diesem Mikrophon vor dem Notenständer mit den Texten und den Takten. Hier steht auch Gert Bertram, alias Gerry Bettman, wenn er seine eigene Sache macht. Nach all den Jahren mit verschiedenen Bands und Rock-Klassikern hat er sich selbst zu Wort gemeldet. Texte und Melodien, die ihm schon lange durch den Kopf gingen, aufgeschrieben und aufgenommen, zusammen mit Joe und Jay Be und Ralph Steinmetz am Schlagzeug. Auf dem Cover der Demo-CD steht Bettman. »Batman war der Spitzname, den mir die Berliner gegeben haben, weil mein Gesicht sie an Batman erinnert hat.« Dass aus Batman nun Bettman wurde, liegt an der Welt hinter dem Vorhang. Im Titelsong, dem Bettmanlied, heißt es: »Nur im Bett ist es richtig nett.«

Bettman Band: Joey Albrecht, Ralph Steinmetz, Bettman, Jay Be - Bild: C. Mangler








Am 28. Mai 2022 stand die Bettman-Band anlässlich des SPH- Music-Masters-Contests im Badehaus auf der Bühne und spielte keine Siebzigerjahre-Hits mehr, sondern Gerry Bettman-Hits. Die Band kam in die nächste Runde und wird am 8. Oktober zum Halbfinale in der Kulturbrauerei an der Kastanienallee auftreten.

Es war Zeit für die eigene CD und die eigenen Texte. Bertram ist jetzt 67, er hat viel erlebt, viel zu erzählen. Lauter Musikergeschichten. Frauen kommen darin nur wenige vor. Doch was wäre der Rock´n´Roll ohne Frauen? Also spielt auch Bettman ein Lied, das heißt Meine Süße. Es ist ein schöner, leise beginnender Blues, und da heißt es: Du bist die Träne, die ich seh / mach keine Szene, wenn ich geh / das Leben mit mir ist manchmal schwer...
Berlin war die Rettung gewesen für Gert Bertram. Berlin und die Siebziger-, Achtziger- und Neunzigerjahre. Doch als die Mauer fiel, fuhr er noch einmal zurück in die Vergangenheit, in das Land hinter der Mauer, den Ort der Kindheit. 30 Jahre und ein Leben später stand er wieder in Bitterfeld. »Das Haus meiner Großeltern war dem Bergbau zum Opfer gefallen, wo die Grube war, war nun ein See. Aber das Haus daneben, die alte Villa, vor der wir immer spielten, die war noch da. Ganz nah am Wasser, das ist jetzt ein Hotel oder so. Und da war auch noch ein Stück von dem alten Straßenpflaster, und ich steh da und starre das an, und das berührt mich total. Ich weiß nicht warum. Vielleicht bin ich da mal hingefallen und habe mir das Knie blutig geschlagen... - Ich weiß es nicht. Es alles war plötzlich wieder so nah. •









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