Kreuzberger Chronik
Februar 2022 - Ausgabe 236

Briefwechsel

Wir verschwenden nur unsere Zeit


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von Hans Rombach

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Hans Rombach und R. Cörtlen zu »Kanzlei Hilfreich«, Nr 235

Sehr geehrte Redaktion
In der Dezemberausgabe habe ich bei »Hilfreich« gelesen, dass die Postfiliale in der Bergmannstraße geschlossen wird. Ich habe am Schalter nachgefragt, da sprach man vom Frühjahr. Näheres wusste man jedoch nicht, was weiter geschehen soll, bleibt ungewiss! Ersetzt werden soll das alte Postamt anscheinend durch die zwei bereits bestehenden Gemischtwarenläden mit Postannahme und Paketauslieferung: Den Tabakladen in der Bergmannstraße 10 und den Copyshop in der Gneisenaustraße 40. Kürzlich verbrachte ich 20 Minuten mit 13 anderen Postgängern und einem unschuldigen Hund draußen in der Kälte vor der Gemischtwarenpostfiliale in der Gneisenaustraße, um ein Päckchen in Empfang zu nehmen. Nicht besser sieht es in der anderen Filiale aus. Noch ist die amtliche Filiale am Marheinekeplatz geöffnet, und diese ist ebenfalls stark frequentiert. Die Schlangen vor den beiden Gemischtwarenläden werden also künftig noch länger werden. Ich erinnere mich gut, wie der Westen über die langen Schlangen vor den Geschäften im Osten witzelte. Die Zustände im Kapitalismus allerdings scheinen mir auch nicht besser. Ich habe diesen Brief an diverse Parteien im Rathaus geschickt. Geantwortet hat mir bisher nur eine einzige!
Mit freundlichen Grüßen - Hans Rombach

Guten Tag Herr Rombach,
Danke für Ihr Interesse an unserem Bezirk. Wie Sie sicher wissen, kritisiert die PARTEI in der BVV regelmäßig die Umwandlung des Bezirks in einen Touristenmagneten durch die grünen Bürgermeisterinnen. Langfristig soll geplant sein, jedes zweite Ladengeschäft in einen Spätkauf umzuwandeln. Da ist es nur folgerichtig, wenn die Postfiliale geschlossen und durch einen Spätkauf mit Paketannahme ersetzt wird. Unsere Möglichkeiten für Interventionen sind jedoch eher bescheiden, da die PARTEI seit der letzten Wahl nicht mehr in Fraktionsstärke in der BVV sitzt. Anders ausgedrückt: Kreuzberg ist ein »failed« Bezirk, der nicht mehr zu retten ist. Die Bewohner, die Kreuzberg in den 80er Jahren weltweit als Hort der Toleranz, des Aufbruchs und des Fortschritts bekannt machten, leben hier kaum noch. Im Zuge der Gentrifizierung haben wir hier mittlerweile eine Bevölkerungsstruktur, die mit Tübingen vergleichbar ist. Der einzige Unterschied zu Tübingen ist der Ehrentitel »Spätkauf Deutschlands«, mit dem die trinkfreudige Jugend der ersten Welt hierher gelockt wird, um den ansässigen Hostelbetreibern die Taschen zu füllen. Bitte melden Sie sich im Frühjahr 2022 noch einmal. Wenn das Wetter besser ist, können wir über eine Aktion vor Ort nachdenken, in der BVV verschwenden wir nur unsere Zeit.
Mit freundlichen Grüßen, R. Cörtlen, Bezirksverordneter Die PARTEI


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