Kreuzberger Chronik
Februar 2022 - Ausgabe 236

Mühlenhaupts Erinnerungen

Zweiter Bildermarkt


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von Kurt Mühlenhaupt

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Wie wir schon wissen, fand der erste Bildermarkt vor meinem Trödel statt. Damals war unser Leitmotiv, die Kunst ins Volk zu tragen. Weil die Menschen nicht zu uns kamen, gingen wir auf die Straße. Mit dem Leierkasten trugen wir die Kunst in die Kneipe. Es wurde nur noch getrunken. Nun bildete sich in Kreuzberg der zweite Bildermarkt. Die alten Künstler wie Robert Wolfgang Schnell, Günter Bruno Fuchs, Friedrich Schröder Sonnenstern blieben weg. Dafür wimmelte es von jungen Glücksrittern, die mit allem möglichen Schnickschnack Geld verdienen wollten. Auch ich war nicht abgeneigt und machte anfangs mit. Es war ein großer Markt, der den ganzen Bürgersteig unterhalb vom Kreuzberg füllte. Die Buden waren gemietet und wurden jeden Sonnabend und Sonntag aufgebaut. Meine Nachbarn zur Linken waren die Oldenburgs mit ihren Pföteltieren, die Barbara bis über den Rand hinaus auf den Rahmen tanzen ließ. Zur Rechten stand ein junger Künstler namens Jürgen Zeidler. Das Schicksal wollte es, daß wir später in Bergsdorf wieder Nachbarn wurden. Aber damals wußten wir das noch nicht.

Für den ordentlichen Ablauf sorgte das zuständige Polizeirevier. In der Tat, sie patrouillierten ständig über den Markt. Der Wochenenddienst ärgerte sie. Da schikanierten sie uns auf ihre Weise. Sie sperrten Märchen ein, weil er mit einer Arschbacke auf dem Kreuzberger Rasen saß. Aber Märchen ließ sich nicht so ohne weiteres einsperren. Er schlug wild um sich, als wehrte er sich gegen einen Schwarm Wespen. Das reichte dem Wachtmeister. Märchen wurde abgeführt und kam in eine Zelle.

Am Tag der Gerichtsverhandlung war ich als Zeuge geladen. Ich versuchte dem Richter klarzumachen, daß man doch die Straße an Markttagen hätte sperren können. Aber es kam alles anders. Immer, wenn ich was sagen wollte, unterbrach mich der Richter und herrschte mich an: »Wie ist Ihr Name?« »Mühlenhaupt«, sagte ich. Das ging einige Male so. Dann erwiderte ich: »Manche nennen mich auch Mühlenhäuptchen, oder Flügelhaupt, andere sagen Mühlenflügel. Reicht es Ihnen, Herr Suppenintendant?« Da blieb ihm die Spucke weg. Er drohte mit einer Ordnungsstrafe wegen ungebührlichen Benehmens und wußte plötzlich, wie ich heiße. Dann wandte er sich wieder an Märchen und wollte von ihm wissen, ob es sich denn gelohnt hätte, in so einem finsteren Loch zu schmoren. »Durchaus«, sagte Märchen. »Ich habe mit den Spinnen und den Fliegen Freundschaft geschlossen.« Der Richter brach die Befragung ab. Märchen wurde zu dreißig Mark Geldstrafe verurteilt.

Weil er nicht so viel Geld hatte, übernahmen wir das. Damit war der Friede wieder hergestellt. Die Wachtmeister fühlten sich in ihrem Verhalten vom Gericht bestätigt. Aber weil ich den Bürgermeister kannte und mich bei ihm beschwerte, wurden sie woandershin versetzt. Wir sahen sie nie wieder.

Entnommen aus Kurt Mühlenhaupt, „Rund um den Chamissoplatz“

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