Kreuzberger Chronik
Februar 2022 - Ausgabe 236

Geschäfte

Strickmoden zum Verlieben


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von Sybille Matuschek

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Corona-Ausverkauf bei Finkelmanns! So steht es an der Scheibe. »Vom 17.-29. Februar. 50% auf alle Winter-T-Shirts, Winter-Blazer und Winterjacken.« Über dem Fenster im Schriftzug der Sechzigerjahre: »Damen-Moden«. Und darunter, im Tonfall der Erstausgaben von Burda oder Brigitte: »Strickmoden zum Verlieben.« Der Krieg war gerade erst vorüber, da erfand Großvater Finkelmann diesen Slogan: »Strickmoden zum Verlieben!« Auch ein Blick ins Schaufenster mit den Leopardenmustern, den Damenblazern, dem Altrosa und dem blassen Sommerhimmelblau vermittelt den Eindruck, als wäre die Zeit stehengeblieben. Als wäre alles noch wie damals, 1948, als der Großvater in die einstöckige Geschäftszeile neben das Café Carisch einzog, gegenüber des vom Krieg zerstörten Warenkaufhauses Karstadt am Hermannplatz.

Doch nicht alles ist, wie es einmal war. Im Jahr 2022 steht Arno, der Enkel, hinter dem Tresen, und jedes Jahr im Februar schreibt er es dick ins Fenster: »Räumungsverkauf!« Weil er Platz braucht für die neue Ware. Auch wenn die beinahe genau so aussieht wie die des Vorjahres: Leopardenmuster, Blümchendekors, Steppjacken, Damenpullover mit dezenten Glitzerapplikationen. Man muss genauer hinschauen, um zu verstehen, dass auch die Mode für die ältere Generation noch wandlungsfähig ist. Es sind nur Nuancen, die die neueste Kollektion von der vorjährigen unterscheidet.

»Alle wollen immer nur jung sein. Wir nicht. Wir sprechen die Frauen ab 60 an. Und damit sind wir so ziemlich einmalig in der Stadt. Es gibt nichts Vergleichbares!« , sagt der Enkel. Sein Kundenstamm im Computer umfasst 12.000 Adressen weltweit. Die Hälfte des Geschäftes macht auch Finkelmann längst via Internet. »Ich dachte zuerst, das funktioniert nicht bei dieser Generation, doch die Damen suchen sich ihre Pullover aus dem Katalog aus, den wir ihnen zuschicken, und die Kinder bestellen dann online.«

1961, als Arnos Vater den Laden vom Großvater übernahm, kannten die Finkelmanns ihre Kundschaft noch persönlich. Da kam sie noch nicht aus Spandau oder aus Zürich, sondern aus der Nachbarschaft, aus dem Restaurant Hammer zum Beispiel. »Das war ein beliebtes Lokal schräg gegenüber, da wo heute der Matratzenladen ist. Die Wirtin war eine der besten Kundinnen meines Vaters, aber sie kam immer heimlich, wenn der alte Hammer nicht da war. Der war nämlich furchtbar geizig, und unser Geschäft war ja schon immer etwas teurer.«

Gleich nach dem Krieg tauschte der Großvater noch die eine oder andere Jacke oder Hose gegen Naturalien. Einer soll einmal ein halbes Schwein angeboten haben für die Garderobe seiner Frau, und
Arno Finkelmann und Frau Irgang, seit Jahrzehnten gemeinsam im Geschäft immer wieder lag Erbschmuck auf der Ladentheke. Aber irgendwann ging es bergauf, die Leute kauften wieder. »Jeder wollte sich neu einkleiden.« Da herrschte ein reger Betrieb in dem Damenmode-Geschäft am Hermannplatz. Heute kommen vielleicht zwanzig, dreißig Kundinnen zu Finkelmann mit den zwei Umkleidekabinen. Die meisten kommen gezielt, aus Spandau, Zehlendorf, Wilmersdorf. »Die wissen: Wir haben hier 7000 verschiedene Sommerpullover in den Regalen!« Das ist wahrscheinlich deutscher Rekord.

Arno Finkelmann ist stolz auf sein Geschäft. Zu Recht. Man sieht es dem Laden mit der altmodischen Reklame nicht an, aber er hat echte Highlights in seinem Sortiment. Das Modell Susan zum Beispiel, die berühmte Hose aus dem Hause Finn Karelia, in immer gleichem Schnitt, aber in verschiedensten Farben und Designs. Lewis, Wrangler, Lee - alles Schnee von gestern! Nur Susan ist unsterblich. »Das ist die meistverkaufte Hose Europas für die Frau über 60. Die ist teflonbeschichtet und sieht immer aus wie frisch gebügelt! Einfach genial!«

Die Hose aus Finnland ist eine Ausnahmeerscheinung, alles andere bei Finkelmann ist »Made in Germany«. Finkelmann hat etwas gegen Kinderarbeit, und auch wenn er seine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann gegenüber bei Karstadt in der Damenoberbekleidungsabteilung und das Studium der Betriebswirtschaft im Ausland absolviert hat, so hat er die traditionellen Geschäftsverbindungen seiner Großeltern zu den Produzenten nie aufgegeben. »Da fahre ich jedes Jahr hin und suche Ware aus. Ich kenne da jeden Mitarbeiter, das sind lauter kleine mittelständische Unternehmen. Wenn die irgendwann aufhören sollten, dann höre ich auch auf. Meine Kinder wollen das hier sowieso nicht weitermachen.«

Das versteht der Vater von drei Söhnen. Dass es Spannenderes gibt als mit Leopardenmustern bedruckte Pullover für Frauen über 60. Aber ein bisschen traurig ist es schon, wenn ein Laden mit so viel Tradition verschwindet. Für immer. Und dann breitet der Enkel, der seit vier Jahrzehnten hinter der Theke steht, einen Pullover nach dem anderen auf der Theke aus, schwärmt von der Wendejacke, -»so was können die Chinesen nicht«, erklärt ein »ganz spezielles Verfahren«, lobt das Twin-Set, die Kombination von Bluse und Jacke.

Was für Laien gewöhnlich aussieht, ist für Arno Finkelmann »einmalig«, und was gewöhnliche Leute in jedem Supermarkt zu sehen glauben, gibt es für ihn »garantiert in keinem Warenhaus.« Finkelmann ist begeistert. Das waren wahrscheinlich schon seine Vorfahren. Sonst wäre die Geschichte dieses Geschäftes keine Erfolgsgeschichte. »Ohne ein bisschen Leidenschaft wird das nichts - vollkommen egal, ob Sie Saxophon spielen oder Damenblusen verkaufen.«

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