Kreuzberger Chronik
Juli 2021 - Ausgabe 231

Geschichten & Geschichte

O ewich ist so lanck! (20):
Christiana Bethmann-Unzelmann



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von Eckhard Siepmann

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Sie war ein kleines Persönchen – zart, schmal, fragil – und überaus attraktiv. Umbraust von Beifall, gepriesen in Sonetten, bestaunt in Korrespondenzen von Schelling bis Goethe. Ihr Charme, ihre geistreiche Art, ihre Lebhaftigkeit machten sie zur Zierde der Berliner Salons um 1800. Jetzt liegt ihr Leichnam reglos nahe dem ihres Kollegen Iffland nur ein paar Schritte von der Baruther Straße entfernt auf dem Friedhof II der Jerusalems- und Neuen Kirche – dem Friedhof der Schauspieler.

Zur Welt kam Friederike Flittner, wenn man ihr glauben möchte, 1771. Vertraut man dagegen dem Grabstein, war es das Jahr 1768.Andere Quellen gehen sogar bis auf das Jahr 1760 zurück. Ihr Stiefvater - Schauspieler und Sänger - wollte auch aus dem Kind eine Sängerin und Schauspielerin machen – und das war ihm vergönnt! Schon 1777 hatte sie ihr Bühnendebüt. Kaum aus der Pubertät, reüssierte sie in Mozart-Opern, deren Partiturtinten noch kaum trocken waren. Was ihrer Stimme an Kraft fehlte, das ersetzte sie durch Ausstrahlung, Liebreiz und Temperament.

1786 bescherte ihr das Schicksal in Mainz den ungebärdigen Kollegen Karl Wilhelm Ferdinand Unzelmann – Friederike war hingerisssen. Harmonie war nicht grade die Signatur der Ehe dieser beiden höchst ausgelassenen Geister.

Als »närrischer Wildfang« charakterisierte die Sängerin später ihren Ehemann, »der flatterte und flunkerte überall umher, war alltäglich verliebt und allwöchentlich in eine andere«. Gar Goethes Mutter Catharina Elisabeth, verwitwet und bedeutend älter, sei in Frankfurt nicht sicher vor ihm gewesen.

Zwei Jahre später zog es das furiose Paar nach Berlin. Königliches Hoftheater, Intendant Iffland! Friederike debütierte in dem Singspiel Nina oder der Wahnsinn aus Liebe des Franzosen Nicolas Dalayrac. Nina ist geistesgestört, und oh Wunder, sie wird durch den Kuss ihres Geliebten geheilt – dabei hatte sie ihn schon tot geglaubt! Das Publikum der Hauptstadt lag ihr zu Füßen.

Friederike und Karl sangen und schauspielerten um die Wette - und zeugten nebenher drei Kinder. Um 1800 fiel der Blick der Berliner Romantiker auf die zierliche Aktrice. Der heftigste erotische Coup traf August Wilhelm Schlegel. Einen wahren Sturzregen von Gedichten ließ er auf die Bühnendame niederprasseln.

Drum hüte sich, wer sie nur sieht!

Mit einem Blicke bloß

Weiß er nicht mehr wie ihm geschieht.

Und kommt wohl nimmer los.

Letzteres ahnte auch Schlegels Ehefrau Caroline – sie war aber selbst von der kleinen Frau Unzelmann entzückt, nannte sie verliebt Unzelinchen, Unzilinette - und vergab ihrem Heißsporn.

Unzelinchens zarte Lippe tönte oft ein wildes Lied. Die aufgeputzte Mutter des Komponisten Meyerbeer empfing sie mit dem Gruße: »Madame Beer, Sie sehen ja aus wie ein Pfingstochse!«. Und ein Zeitgenosse berichtete: »Es genierte sie nicht, einen Räucherwarenhändler auf offener Straße abzuohrfeigen, als sie hatte zusehen müssen, wie er seine Fische verunreinigte.« Als Friederike Liman, ein Mitglied der Singakademie, den Unzelmann-Kindern ranzige Butter vorgesetzt hatte, bekam sie zu hören: »Liman, Sie ist eine Sau«.

Und als sie hinter den Kulissen gespannt einem der ersten Auftritte ihrer Tochter folgte und von den billigen Plätzen her abschätzig gejohlt wurde, fegte sie auf die Bühne, beschimpfte das Publikum und schwor mit erhobener Faust, samt ihrer Tochter nie wieder eine Bühne Berlins zu betreten. Es bedurfte der geduldigen Überredungskunst des Theaterdirektors Ifflands, die erzürnte Mimin zum Bleiben zu bewegen. Iffland wusste, was er an ihr hatte: »Es ist ein geniales Weib, sie greift immer in den Glückstopf.«

Die Ehe indessen erwies sich nicht als Glückstopf. Den flatterhaften Karl verdross es schon bald, dass nicht er, sondern seine Gattin zum Liebling der Berliner wurde. Zwei Jahre nach der Scheidung heiratete die Umschwärmte 1805 den wesentlich jüngeren Schauspieler Heinrich Eduard Bethmann. Es entspann sich eine Ehe in ruhigerem Fahrwasser. Unzelinchen aber blieb unruhig, der Sturm wehte woanders: Ihr Herz gehörte in Wahrheit dem Gendarmerieoffizier Wolf Friedrich Ludwig von Quast. Wegen seiner tollkühnen Streiche wurde er der »tolle Quast« genannt - aber die Wagemutigsten straucheln ja nicht selten über eine Bagatelle. »In der Wilhelmstraße«, berichtet Theodor Fontane, »war das Pflaster behufs einer Röhrenlegung aufgenommen und bei Einbruch der Dunkelheit für die vorschriftsmäßige Einzäunung nicht Sorge getragen worden. Quasts Pferd stürzte, er selbst fiel so unglücklich, daß er bald danach starb, am 2. Mai 1812.«

Als Christiana Friederike Augustine Conradine Bethmann-Unzelmann 1815 einem Gehirnschlag erliegt und Berlin über den Verlust in Schmerz badet, glaubt Dichterfreund Schlegel unbeirrt an die Zauberkraft ihres Charmes. Mag sie ihr Leben auch ausgehaucht haben:

…doch ist umsonst mit Feenmacht

Die Holde nicht begabt:

In frischer Jugend morgen lacht,

Die eben ihr begrabt.


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