Kreuzberger Chronik
September 2020 - Ausgabe 222

Geschäfte

Der Holzbär


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von Hans W. Korfmann

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Eigentlich wollte er nur Klettern. Und mit Holz arbeiten.

Aus Liebe zur Natur. Aber dann kam die Karriere.


Es gibt Holzwürmer, winzige Nager, die sich unermüdlich durch Schränke, Tische, Betten fressen und bis zu fünf Zentimeter hohe Sägemehlkegel um ihre Schlupflöcher auftürmen. Es gibt große Holzböcke, die sich tief in den Kiefernstämmen der Dachstühle einnisten, wo man sie die ganze Nacht über tiefe Stollen bohren hört. In der Antike galt ihr Klopfen als böses Omen, bis heute haben sie wenig an Sympathie gewonnen, da sie ganze Dachstühle zum Einsturz bringen. Am gefräßigsten aber ist der Holzbär. Am wohlsten fühlt er sich in den endlosen Weiten Kanadas. Er drang bis Alaska vor, bezwang Gipfel und vereiste Bergwände, die Höhe übte eine magische Anziehung auf ihn aus. Wenn »morgens über den Gipfeln die Sonne aufgeht, das ist das Größte. Dieses zarte Rosa auf den Bergspitzen, lange bevor die Sonne kommt...« Dirk Schünemann deutet auf die Fotografie an der Wand gegenüber seinem Schreibtisch: Der Mount Athabasca, kurz vor Sonnenaufgang. Da hat er gestanden: Dirk Schünemann, der Holzbär.

Dass er aus Alalska nach Kreuzberg zurückkam, wo er seitdem auf Häusern herumklettert, war nur Zufall. Bei einem Heimatbesuch traf er einen Freund, mit dem er vor Jahren in sommerlichen Ferienlagern als Betreuer zusammengearbeitet hatte. »Schöne Jahre! Viel Spaß, viel Geld, selbst das Schlafen wurde angerechnet!« - Am Ende war die pädagogische Honorarkraft Schünemann so etwas wie der inoffizielle Leiter einer Jugendfreizeitstätte in Reinickendorf. Er hatte die Bande gut im Griff, die Jugendlichen hörten auf Schünemann, der ihre Sprache sprach. Doch irgendwann war er »dann nur noch so was wie ein Buchhalter. Das machte keinen Spaß mehr. Den ganzen Tag im Büro sitzen und Akten wälzen...«

Also beschloss er, Zimmermann zu werden. Und ging zur Zimmerei Heins, »das war ´ne richtig große Nummer damals.« Aber die Firma stand in dem Ruf, keine Berliner einzustellen. Schünemann sagte: »Ick will ´ne Lehre machen!«, und der alte Heins fragte: »Ham´ Se denn überhaupt schon mal jearbeitet?« – »Ich arbeite sogar jetzt noch. Ich bin im Öffentlichen Dienst.« – »Und jetzt woll´n Sie bei mir Nägel zählen?« – »Genau!« Das schien den Alten zu beeindrucken, und so wurde Schünemann der erste Berliner in der Firma. »Zuerst«, meinte der Meister, »musst du dir merken, wo ich gerade meine Zigarre abgelegt habe.« Sonst brennts gleich irgendwo! Dann lernte Schünemann Zapfen, Sägen, baute Dachstühle, Fachwerke, Unterkonstruktionen. Und als Heins die Nebengebäude für die Bundesgartenschau zimmern sollte, erhielt der Lehrling den Auftrag, ein Bienenhaus aus Fachwerk zu bauen. »Eine komplette Wand musste ich wieder einreißen und neu aufbauen. Wegen eines einzigen Zentimeters!« Es ging ums Prinzip: »Pfuschen dauert genau so lange wie ordentliche Arbeit!«

Mit dem Gesellenbrief in der Tasche wanderte Schünemann nach Kanada aus, zum Klettern, und zurück in Kreuzbgerg traf er eben Hartmut aus der Jugendarbeit wieder. Der war jetzt Dachdecker und sagte: »Komm, wir gründen ´ne Firma.« Weil beide echte Berliner waren, nannten sie die Firma Holzbär. »Wenn ich mit dem Bär auf meinem Auto vorfuhr, dann war ich der Star – jedenfalls bei den Kindern!«

Inzwischen ist er es auch bei den Erwachsenen. Für eine Sanierung am Nollendorfplatz erhielt er den Energiesparmeister-Preis. »Holz ist auf dem Vormarsch, Zement ist zu teuer, der Sand geht aus!« Außerdem ist Holz ökologisch. Gebaut wird in alter Fachwerk-Manier, nur dass die Fächer nicht mehr aus Lehm bestehen, sondern aus Holz.

»Holz ist der Baustoff der Zukunft.« Das haben auch die wohlhabenden Stadtrand-Berliner erkannt. Einige Namen in den Auftragsbüchern des Holzbären sind prominent, Diskretion ist Pflicht. Nie würde Schünemann erzählen, wie ein Bauherr vor dem offenen Fenster seines bezugsfertigen Wohnzimmers steht und sagt: »Wenn wir zehn Zentimeter höher lägen, wäre der Blick noch schöner. Können Sie vielleicht....« – Schünemann konnte. Er hat den Boden des riesigen Zimmers noch einmal um 10 Zentimeter erhöht, mit einer weiteren Lage teuerster Hobelware.

Ebenso wichtig wie Heins waren im Berufsleben des Holzbären drei Windkraftingenieure aus der Oranienstraße, allen voran Dr. Hemmen, ein Physiker mit Jeans und langen Haaren, der stets in Sandalen auftauchte - »im Winter mit, im Sommer ohne Socken.« Dr. Hemmen kaufte ein altes Haus in der Karl-Klunger-Straße, stattete es mit Solaranlage und Wärmepumpen aus und isolierte es gemeinsam mit Schünemann derart effizient, dass es zum Vorzeigeobjekt für energiesparende Sanierung wurde. Der Energieverbrauch lag sogar noch unter der Vorgabe für Neubauten.

»Plötzlich wollte jeder bei uns aufs Schild, das Bundesministerium, die Deutsche Energieagentur, alle, alle...« Die BASF sponserte die Dämmung, und irgendwann tauchte sogar Minister Tiefensee auf und stieg hinter den Sandalen die Treppe hinauf. Und ständig fragte man nach Dr. Hemmen und Schünemann. 14 Fernehteams reisten an, sogar aus Japan kamen sie, um das Haus zu bestaunen.

Trotzdem ist Schünemann bescheiden geblieben. Er ist »ein Low-Budget-Typ«. Kein Auto, kein Luxus. Was er braucht, ist Zeit. Das war der Grund dafür, dass er sich eines Tages von Hartmut und der Dachdeckerei trennte. »Hartmut war der geschäftstüchtigere von uns beiden. Das war auch gut so. Aber jetzt leistet sich die Firma zwei Wochen Betriebsferien! Wer kann das heute noch?« Sagt der Holzbär und grinst ein bisschen stolz – trotz aller Bescheidenheit. •

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