Kreuzberger Chronik
März 2020 - Ausgabe 217

Geschäfte

Der Weinhändler vom Taunus


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von Horst Unsold

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Eigentlich wollte er nur für ein Jahr in Berlin bleiben. Dann kaufte er einen Weinkeller. Und ist noch heute in der Stadt.

Er würde es wieder machen. Nicht, weil er den Wein lieben gelernt hat und inzwischen selbst einen kleinen Weinberg an der Mosel hat und viel weiß über Rebsorten, Siegellack, Weinhefe oder Nordlagen. Auch als Banker würde er wieder in Wein investieren. »Aber ich würde einiges anders machen.«

Reiner Türk sitzt in seinem Laden in der Blücherstraße zwischen Weinregalen, die bis unter die hohe Decke reichen. Er trinkt den »Rotwein vom Hausmeister«. Ein ehrlicher Tropfen, von dem ihm Niko jedes Jahr eine Wasserflasche voll aus Kroatien mitbringt. Er hat eine Farbe wie ein alter Burgunder, dreht elegante Kurven im Glas und duftet vielversprechend. Er könnte ihn in sein Sortiment einreihen, aber es gibt jedes Jahr nur diese eine Flasche.

Reiner Türk ist keiner von denen, die sich in der Bergmannstraße einkaufen und auf Touristen spekulieren. Er verkauft Wein aus Überzeugung. Er hat schon vor 40 Jahren, als die Mitbewohner der WG im Taunus »alle noch kifften« und Bier tranken, Weinflaschen auf den Tisch gestellt, irgendwann den Job als Bankangestellter aufgegeben und in Idstein, einem 20.000-Seelen-Dorf, einen Weinladen eröffnet. »Der einzige zahlkräftige Kunde war der Deutschlandchef von Black & Decker.« Aber das war Reiner egal, er wollte nur raus aus dem Bankgeschäft. Und dann war da der ehemalige Bankräuber, Manfred Muder, der ein Weingeschäft in West-Berlin und einen Lkw hatte, mit dem er nach Italien und Frankreich fuhr. Da er die Ladefläche ausnutzen wollte, gründete er eine Einkaufsgemeinschaft und belieferte eine Handvoll erlesener Weinhändler, unter anderem den in Idstein.

Und weil der junge Weinhändler aus Idstein das untrügliche Gefühl hatte, dass es auch ein Leben jenseits des hohen Taunus gab, sagte er zu, als Muder eines Tages meinte: »Ich brauche da noch einen Mann für meinen Laden in Berlin!«

Der Laden war ein dunkles Souterrain in der Gneisenaustraße 15, das einem Spross aus der legendären Fresenius-Familie gehörte. Vor dem Laden saßen »die Speckis« vom Kneipenkollektiv Spektrum und »kifften und tranken den lieben langen Tag«.

So richtig in Schwung war der Laden nicht, die »Kostenstrukturen waren einfach zu hoch«, sagt der Banker im Weinhändler. Trotzdem kaufte er den Laden. Dann fiel die Mauer und es dauerte nicht lange, da kamen Tanker in der Gneisenaustraße vorgefahren, legten einen Schlauch durchs Kellerfenster und ließen Fässer und Steingutbehälter mit Wein aus Frankreich und Italien volllaufen. Die Stimmung war großartig, überall wurde gefeiert, »ich war jede Nacht in irgendwelchen Clubs. Man kannte mich schon, wir belieferten ja den Tresor oder das Oxymoron und solche Adressen. Es war so nett damals.«

Aber dann zogen plötzlich alle nach Prenzlauer Berg, zurück blieben die weniger zahlungskräftigen Stammkunden. »Die kamen immer noch mit Pfandflaschen, um sich den günstigen Tafelwein abzufüllen. Flaschenweine mit Etikett und Herkunftsbezeichnung waren die Ausnahme. Aber dann kam die neue Weinverordnung, und jeden zweiten Tag standen plötzlich die Kontrolleure im Laden. Bis zu den Winzern in der Pfalz sind die Berliner vorgedrungen. »Die riefen dann bei mir an und fragten: Was ist denn da bei Euch los

Pfandflaschen, Steinkrüge, Holzfässer, das alles ist jetzt Vergangenheit. »Die Romantik ist weg.« Auch das halbdunkle Ambiente des Souterrains in der Gneisenaustraße gehört der Vergangenheit an, der Herr Fresenius wurde dem Herrn Türk irgendwann zu teuer. »Ich glaube, die Räume stehen heute noch leer!« Jetzt hat der Weinhändler einen hohen, hellen Saal in der Blücherstraße und sogar eine kleine Weinstube mit Teppich und Bildern an den Wänden. An lauen Sommerabenden sitzten sie draußen vor dem Laden, und manchmal holt er eine von den alten Flaschen aus dem Keller. »Ich habe da so ein paar Weine, die müssen unbedingt getrunken werden. Vielleicht sollte ich einmal im Monat so einen Kellerabend machen.« Mit Würsten und Spezialitäten aus dem Land jenseits des Taunus.

»Das sind jetzt nicht alles meine Lieblingsweine da unten. Hier oben auch nicht. Es kann ja nicht jeder meinen Geschmack haben. Aber ich weiß, dass die gut sind, ich habe jeden probiert!« Er schlendert an den Flaschen vorüber, den weißen links, den roten rechts. »Die Idee hab´ ich aus Montpellier, da hatte einer die Flaschen nach Farben sortiert, nicht nach Ländern.« Er kann zu jedem Wein etwas zu erzählen, und es sind nicht die abgeschmackten Metaphern von »Kirschtönen« oder »Pfirsichnoten«, es sind trockene, ehrliche Worte. Liebeserklärungen, die nur finden kann, wer dem Wein schon lange die Treue hält. »Der hier«, sagt er und streicht mit der Fingerkuppe über den Flaschenhals, »hat die ganze Leichtigkeit der Loire. Und der hier, gleich nebenan, hat die Schwere der Rhone.« So geht er von Flasche zu Flasche, Weingut zu Weingut, von Frankreich über Italien bis nach Deutschland, von den einfachen Weinen aus der zweiten zu den Exklusiven aus der vordersten Reihe. Eine Vorliebe hat er nicht. »Nur der Bordeaux, das ist so ein Steckenpferd von mir.«

»Ich würde wieder mit Wein anfangen!«, sagt er, auch wenn das Geschäft schon einmal besser lief. »Die Leute trinken eben nicht mehr. Sie gehen auch nicht mehr aus. Sie schauen ins Handy und bestellen übers Internet.« Aber das mit den Weinabenden und den kleinen Schätzen aus seinem Fundus wird er trotzdem machen. Noch diesen Sommer. »Wir fangen jetzt mal an!«, sagt er, und das klingt, als sei er gerade erst angekommen in Berlin. •


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