Kreuzberger Chronik
Dez. 2020/ 2021 - Ausgabe 225

Geschichten & Geschichte

Jony


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von Werner von Westhafen

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Wie Jony Kahopimeai im Sommer des Jahres 1828 zusammen mit einem seiner Freunde an Bord der preußischen Prinzeßin Louise kam, ist vollkommen ungewiss. Ob die beiden, so wie es die Zeitungen einst von seinem Landsmann Harry Maitey berichteten, freiwillig an Bord gingen oder ob sie von der Paradiesinsel verschleppt wurden, wie das noch wenige Jahre zuvor üblich gewesen war, hat niemand niedergeschrieben. Während Maitey 1822 von der Preußischen Seehandlung noch stolz dem König präsentiert und den Berlinern am Gendarmenmarkt vorgeführt wurde, wo ihn kein geringerer als Johann Gottfried Schadow, der Schöpfer der Quadriga auf dem Brandenburger Tor, porträtierte, wurde um Jony nicht viel Aufhebens gemacht. Stand das Leben des Harry Maitey, der als Pensionär des Königs mit 300 Talern Jahresgehalt auf der Pfaueninsel ein bequemes Leben führte und am Ende die hübsche Tochter des Tierwärters heiratete, unter einem guten Stern, so stand Jonys von Anfang an unter einem schlechten.

Schon während der Reise von Hawaii nach Hamburg erkrankte die Mannschaft an Skorbut, Jony musste zusehen, wie der Steuermann, zwei Matrosen und schließlich auch - »völlig entkräftet von der Ruhr« - sein hawaiianischer Freund zwischen Java und St. Helena in Segeltücher gehüllt dem Meer übergeben wurden. Vollkommen geschwächt erreichte Jony Hamburg, wo er fünf Monate lang mit dem Schiff auf der Elbe vor Anker lag und bei Reparaturarbeiten helfen musste. Sieben Taler hatte er in der Tasche, als er Anfang des Jahres 1830 von Christian Rother, dem Direktor der Preußischen Seehandlung, in die Schule vor dem Halleschen Tor geschickt wird. Dorthin, wo Schuldirektor Kopf bereits den Südseeinsulaner Maitey unterrichtete.

Anders als Maitey, der im Haus des Direktors Rother am Gendarmenmarkt ein eigenes Zimmer bewohnte und nach dem Unterricht elegant und warm gekleidet am Tisch des Schuldirektors Kopf speiste, musste Jony sich mit dem Schulessen begnügen und im Schlafsaal des Internats nächtigen. Es wird berichtet, dass er einen ständigen Hunger auf frisches Obst gehabt habe und dass er, sobald er einen Silbergroschen von den ersparten sieben Talern erhielt, dieses Geld augenblicklich in Äpfel und Birnen investierte. Das hiesige Klima schien dem zweiten Südseeinsulaner auf preußischem Boden nicht zu bekommen. Die Schuluniform war ihm zu dünn, er fror, und während seine Mitschüler draußen vor der Schule auf den Eisflächen, die sich zwischen den Holzlagerplätzen am Ufer des Kanals gebildet hatten, ihren Spaß hatten, wurde Jony von Tag zu Tag missmutiger und aufmüpfiger.

Acht Monate ging er gemeinsam mit seinem Landsmann Maitey in die Erziehungsanstalt vor dem Halleschen Tor. Direktor Kopf stellte fest, dass Jony in einer Woche so viel lernte wie Maitey in sechs Monaten. Aber Jony war »aufbrausend und schwer zu behandeln«, er war »auch nicht so sauber und ordentlich« wie Harry. Das schlimmste aber war sein Heimweh. Jony glich einem exotischen Tier, das sich nicht akklimatisieren konnte und in der Fremde zu verkümmern drohte.

Die ständige Trübsinnigkeit des Insulaners bereitete dem Schul-direktor Sorge. Mitte Oktober 1830 veranlasste Kopf, dass Jony seinen Landsmann Maitey, der inzwischen als königlicher Dampfmaschinengehilfe auf der Pfaueninsel zwischen Palmen, Affen, Papageien und einem Löwen lebte, für ein paar Tage besuchen durfte. Doch wirklich aufmuntern konnte ihn das nicht. In der Seehandlung und im Internat begann man zu ahnen, dass Jony in Preußen nicht glücklich werden würde, und dass sie mit ihm noch einigen Ärger haben könnten. Also beschlossen sie, den unkompatiblen Einwanderer baldmöglichst auf die Heimatinsel zurückzuschicken. Allerdings erst nach der Taufe und der Schlosserlehre. In einem Brief an Rother schrieb Kopf, der preußische König »könne dem Könige der Sandwichinseln kein besseres Geschenk machen, als wenn er ihm einen Eingeborenen, der ins Christentum eingeweiht und mit einer thätigen Profession und unseren Ordnungen ausgestattet ist, zurückschickt.«

Doch bis zum Abschluss der Lehre dauert es noch einige Monate, und der kommende Winter ist kalt. Am 19 Februar 1831 schreibt der Schuldirektor an Rother, dass »der Sandwichinsulaner Jony (...) krank ist. Er leidet an der Brust, hustet gewaltig, wirft stark aus und leidet an Nasenbluten. Rother schlägt vor, ihn in die Charité zu bringen, doch Kopf meint, er sei für den Transport zu schwach. Stattdessen lässt er Maitey ausrichten, er möchte sich baldmöglichst auf den Weg zum Halleschen Tore machen.

Schon am kommenden Tag trifft Maitey bei seinem Landsmann ein, und tatsächlich kann der Schulmeister tags darauf verkünden: »Maiteys Besuch hat auf den Kranken Jony sehr wohltätig gewirkt.« Und fügt hinzu: »Es würde gut seyn, wenn dem Kranken eine Unterjacke von Flanell und ein Paar warme Unterziehbeinkleider angeschafft werden dürften, damit einem Rückfall der bösen Krankheit vorgebeugt werden« könne.

Doch tags darauf ist Jony Kahopimeai an der Lungenentzündung bereits gestorben. Der Schulmeister hat dem Präsidenten der Seehandlung nur noch mitzuteilen, dass er »über die Kleidungsstücke und Wäsche des Jony gleich nach der Beerdigung Rechnung ablegen« werde. So ist alles, was von dem einstigen Südseeinsulaner Jony bleibt, »ein brauner, tuchener Laibrock, ein Hut, Strümpfe, Schnupftücher, eine Pfeife, ein Federmesser sowie ein runder Stein«, wie der Autor Michael Stoffregen-Büller in seinem Buch über Preußens ersten Südseeinsulaner schreibt. Und dann waren da - neben einigen Blättern offizieller Korrespondenz und Schönschreibübungen - noch »zwei Seiten mit anrührig sorgsam ausgeführten kleinen Bleistiftzeichnungen: Gießkanne, Türschloss, Topf, Trichter, Messer und Gabel.« Rührend, weil sie bezeugen, wie auch der zweite Südseeinsulaner Preußens versuchte, sich in die fremde Welt einzufügen.

Am 2. März 1831 wird Jony Kahopimeai, »der bedauernswerte Junge, noch ungetauft« - wie die »Acta betreffend den durch das Seehandlungsschiff Prinzeßin Louise mitgebrachten Sandwichinsulaner Jony« es festhält, »per dimissionale« und mit einer Sondererlaubnis auf dem Neuen Jerusalemer Friedhof »links der Chaussee nach dem Kreuzberge« bestattet. Anders als Maiteys Grab auf dem kleinen Friedhof mit Blick auf den Wannsee ist das seines Schulkameraden am Mehringdamm schon lange verschwunden. •

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