Kreuzberger Chronik
Mai 2019 - Ausgabe 209

Mühlenhaupts Erinnerungen

Wie wir zur Blücherstraße 11 kamen


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von Kurt Mühlenhaupt

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Der Keller in der Blücherstraße 64 beherbergte langsam alles, was wir besaßen. Meist wurde es spät, und der Weg nach Rudow lohnte sich nicht mehr. Willi hatte sich wieder erholt und half uns sogar ein bißchen, wenn wir unsere Nachlässe holten. Aber es war sehr eng im Keller.

Einmal gab es eine ganz kuriose Wohnungsauflösung. Der Verstorbene verdiente sein Geld auf eine seltsame Art. Man könnte sagen, als Zwischenhändler auf Rummelplätzen. Er kaufte jede Menge Lose, holte die Gewinne ab, und die Nieten rollte er wieder zusammen. Dann mischte er sich unters Volk und brachte alle wieder an den Mann.

Da die Budenbesitzer nicht direkt geschädigt wurden, ging die Sache immer gut. Bei ihm zu Hause häuften sich die Gewinne, die er von Zeit zu Zeit an die Budenbesitzer zurückverkaufte. Scheinbar wurde er nicht alles los. So kam es, daß ich der Erbe von Teddybären, Puppen, Besteckkästen, Wasserkesselpfeifen und sonstigem Schnickschnack wurde. Ich hätte eine Glücksradbude aufmachen können. Aber vorher mußte ich alles in meinen Keller räumen. Willi half mir. Als wir beim Ausladen waren, kam die Feuerwehr mit mordsmäßigem Tatütata an uns vorbei und schwenkte in die Mittenwalder ein. Willi ließ alles fallen und rannte hinterher. Er war immer dort, wo was los war. Ich hatte das Vergnügen, allein weiterzumachen. Nach einer Viertelstunde kam er zurück mit der Botschaft, daß die 63-jähige Katzenmutter Frau Pock, die er natürlich bestens kannte, von ihren Lieblingen angegriffen und aufgefressen worden war. Ihr Keller wurde geräumt.

»Das ist doch was für uns!«, sagte Willi. -

»Und was sollen wir mit den Katzen anfangen?«, fragte ich.

»Die hat das Tierheim schon geholt. Da werden sie endlich mal satt!«, sagte Willi.

Wir waren froh, daß wir eine Woche später den Keller mieten konnten. Leider hinterließen die dreißig Katzen mehr Gestank als ein Ziegenbock. Alle Versuche, den Geruch zu übertönen, schlugen fehl. Erst nachdem wir den Fußboden mit Teer überstrichen hatten, roch es nicht mehr nach Katzenpipi, nun stank alles nach Teufelsdreck. Ich suchte nach anderen Räumen, hatte Glück und fand ein neues Domizil in der Blücherstraße 11. Der Besitzer einer Dampfwäscherei konnte seine Miete nicht mehr zahlen, die modernen Waschsalons nahmen ihm die Arbeit weg. Er mußte aufgeben. So machte ich den großen Umzug. Was dem einen sein Pech war, war dem anderen sein Glück. Jetzt hatte ich viel Platz und konnte zwischen den alten Möbeln sogar wieder malen.

Entnommen aus Kurt Mühlenhaupt, Zwischen Lebenströdel und Serienstanduhren, 1959 - 1969, mit freundlicher Genehmigung des Museums Bergsdorf


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