Kreuzberger Chronik
März 2017 - Ausgabe 187

Strassen, Häuser, Höfe

Victorias Park


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von Werner von Westhafen

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Eine englische Prinzessin gab dem Park ihren Namen.

Schon Peter Joseph Lenné, Berlins folgenschwerster Stadtplaner und bis 1864 auch oberster Chef der »Königlichen Tiergartenverwaltung« , hatte erkannt, dass es »dem fleißigen Handwerker und dem tätigen Fabrikarbeiter« an »Spazierwegen« zur Erholung fehlte. An sommerlichen Abenden, insbesondere an den Wochenenden, setzten sich wahre Menschenströme in Richtung Tiergarten in Bewegung. Er forderte deshalb schon in den Dreißigerjahren die Schaffung von Parkanlagen insbesondere in jenen Stadtteilen, in denen die »Gewerbetreibenden ihren Hauptsitz« hatten. Im Gegensatz zu aristokratischen Ziergärten mit Blumenrabatten und gekehrten Wegen sollten die so genannten Volksparks Gemeinplätze für Spiel, Sport und Erholung aller Bürger sein.

1864 begann man deshalb an der Spree mit der Anlage des Treptower Parks, 1869 kam der Park am Humboldthain dazu, dann folgte der Kleine Tiergarten, und 1888 beschloss man, auch den alten Weinberg im Süden der Stadt vor dHer expandierenden Schultheiss-Brauerei zu schützen, die Schinkels 1821 eingeweihtem Nationaldenkmal schon bedenklich nahe gerückt war. Mit der Planung beauftragte man Hermann Mächtig, einen Zögling Lennés, der sich bis zum königlichen Hofgärtner in Sanssouci hatte emporarbeiten können. Mehr als dreißig Jahre lang hatte er sich als stiller und bescheidener Mitarbeiter in der Stadtgartenverwaltung einen Namen gemacht. Ganz den Traditio-nen verpflichtet hatte er den so genannten Zentralfriedhof am Stadtrand von Friedrichsfelde, so wie den Askanischen- und später den Chamissoplatz in Kreuzberg entwerfen dürfen, doch eine 7,6 ha große Fläche im wirklichen Zentrum der Stadt hatte man ihm noch nicht anvertraut.

Nun aber legte sich Mächtig mächtig ins Zeug, nichts Geringeres schwebte dem bescheidenen Gärtner vor als ein kleines Sanssouci mitten im Herzen der Stadt Berlin. Schon sah er die lang gestreckten, steinernen Terrassen vor sich, die vom Ende der Großbeerenstraße den Hügel hinauf bis zur filigranen Spitze des Denkmals auf dem Hügel anstiegen – fast so großartig wie die weltberühmten Weinbergterrassen am Südhang des Sommerschlosses in Potsdam. Auch wenn sie hier auf der Nordseite des Hügels lagen.

Der Kreuzberg und die Kreuzbergstraße im Jahre 1882. Foto: A.Schwarz








Womöglich war es diese Nähe zu Sanssouci, die die Kritiker bewog, Mächtigs ersten Entwurf glattweg abzulehnen. Junge Kollegen sagten dem altmodischen Gärtner nach, er habe »kein glückliches Händchen« . Einerseits scheue er die Öffentlichkeit, andererseits liebe er Glanz, Pomp und Feierlichkeit. Auch sein Misstrauen bei Novitäten lasse ihn für die Idee des Volksparks eher ungeeignet erscheinen. Doch der kahle Sandhügel, auf dem einst Wein wuchs, später Kanonen standen, 1829 der Vergnügungspark der Gebrüder Gerike eröffnete und später die Pferde der Schulheiss-Brauerei weideten, schien sogar die Phantasie des innovationsscheuen Gärtners zu beflügeln. Bei seiner zweiten Präsentation spricht er plötzlich von einem »natürlichen Wasserabsturz in der Achse der Großbeerenstraße« , der »einen malerischen Eindruck hervorruft«. Das überzeugte auch seine stärksten Kritiker, und so entstand, quasi mitten in der Stadt, allmählich eine Gebirgslandschaft aus dem Riesengebirge mit Sturzbach, hölzernen Stegen, Felsen, Nadelbäumen, einem See vor der Großbeerenstraße und, in einer alten Kiesgrube, die so genannte »Wolfsschlucht« . Der Blick durch die Großbeerenstraße nach Süden zum Wasserfall hinauf wurde eines der berühmtesten Postkartenmotive Berlins, 1980 wurde der Park als erste Grünanlage West-Berlins sogar unter Denkmalschutz gestellt.

In den ersten Jahren erstreckte sich die Parklandschaft nur bis zur Möckernstraße, erst 1913 verwandelten Mächtigs Nachfolger auch den angrenzenden Truppenübungsplatz in eine Hügellandschaft, die im Winter zur Rodelbahn wird. Der Löschteich auf Höhe der Monumentenstraße wurde zugeschüttet und ein Spielplatz eingerichtet, ein Gartenlokal und ein Fußballstadion, das 2010 den Namen des vielleicht berühmtesten Kreuzberger Bürgermeisters erhielt: das Willy-Kressmann-Stadion.

Der Park selbst erhielt seinen Namen bereits 1888 von Victoria, der Tochter der englischen Queen, einer weltoffenen Frau, die den Militarismus der Preußen verabscheute, was sie jedoch nicht davon abhielt, Friedrich Wilhelm Nikolaus Karl von Preußen zu ehelichen, der am 9. März 1888 zum Kaiser gekrönt wurde. Schon nach 99 Tagen verstummte der Kaiser, ein leidenschaftlicher Raucher, der in den letzten Wochen seiner Amtszeit seiner verknoteten Stimmbänder wegen kaum mehr ein Wort sprechen konnte. So übernahm als dritter Kaiser des Jahres 1888 sein Sohn Wilhelm die Staatsgeschäfte.

Wilhelm war die traurigste Gestalt unter den deutschen Kaisern. Bis heute macht die Geschichtsschreibung ihn für das Wettrüsten in Europa und den Ausbruch des Ersten Weltkrieges verantwortlich. Moderne Historiker allerdings sehen in ihm eine der widersprüchlichsten und interessantesten Figuren der Weltgeschichte. Sicher ist, dass er seiner Mutter Victoria viel Kummer bereitete, und dass sein kleines Schaukelschiff, auf das man in unübersehbaren Lettern Fortuna geschrieben hatte, vom ersten Tag an ins Unglück steuerte. Die Berichte vom 27. Januar 1857, dem Tag der Geburt des letzten deutschen Kaisers, zeugen von der Dramatik der Ereignisse. •

Bildnachweis: Thomas Röblitz, Kreuzberg, Alte Bilder erzählen, Sutton Verlag






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