Kreuzberger Chronik
Juni 2017 - Ausgabe 190

Strassen, Häuser, Höfe

Das Hotel de Ratziwill


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von Werner von Westhafen

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Geschichten von der Liebe, der Kunst und der Politik


Nicht nur die berühmte und geliebte Königin Luise, Namensgeberin des alten Stadtteils Luisenstadt, zu dem heute auch Kreuzberg gehören würde, litt unter dem Korsett des Adelstitels. Auch ihrer Namensvetterin, der nicht minder sympathischen Prinzessin Luise von Preußen, Tochter des Prinzen Ferdinand und Nichte Friedrich II., bereitete die Wahrung der aristokratischen Etikette Sorgen. So auch bei der Heirat ihrer Tochter: Dabei begann es wie im Märchen, denn Prinz Wilhelm, der spätere Kaiser Wilhelm I., war unsterblich verliebt in die hübsche Elisa. Und Elisa erwiderte seine Gefühle. Die Verlobung der Tochter stand unmittelbar bevor, als die preußischen Adligen darüber zu diskutieren begannen, ob der weibliche Spross aus dem Hause eines polnischen Fürsten eine ebenbürtige Partie für einen Prinzen aus dem Geschlecht der Hohenzollern sei; und mit ihrem Geschwätz am Ende das eheliche Glück der jungen Elisa und des jungen Wilhelm verhinderten.

Schon Elisas Vater Anton Heinrich, ein Sohn Fürst Michael VI. aus dem Hause Radziwill, war der Hofclique ein Dorn im Auge gewesen. Die eheliche Verbindung Luises mit dem durch die Teilung Polens verarmten Sohn eines polnischen Fürsten schien nicht mehr standesgemäß. Dass die Vermählung dennoch zustande kam, war allein der Diplomatie des redegewandten Grafen Basilius Walliki zu verdanken, eines nicht nur im Kartenspiel, sondern auch in anderen Gesellschaftsspielen bewanderten Lebemannes. Doch obwohl Anton Heinrich Radziwill, eine »strahlende Gestalt« , neben der glücklichen Prinzessin einen vortrefflichen Bräutigam abgab, fand die Hochzeit 1796 nur im engsten Familienkreise statt. Auch der Posten als Statthalter von Posen, den man dem neuen Mitglied der Familie anbot, hatte eher eine »repräsentative Funktion. Die Geschäfte hatten andere in der Hand.«

Natürlich musste der Gatte einer preußischen Prinzessin nicht nur eine angesehene Stellung, sondern auch einen repräsentativen Wohnsitz beziehen. Also erwarb Fürst Michael für das junge Liebespaar vom König, dem Onkel der Braut, für eine nicht unbeträchtliche Summe einen kleinen Palast: das ehemalige Palais von der Schulenburg. Das Haus war einer jener Adelspaläste, die im 18. Jahrhundert an der Wilhelmstraße und der Friedrichstraße entstanden waren. Drei Jahre nahmen die Arbeiten nach dem Entwurf eines italienischen Künstlers in Anspruch, bis das Haus des Generals und Grafen von der Schulenburg bewohnt werden konnte.

Einige Jahre später zieht Prinz Ferdinand, der Vater von Luise, zu rMiete in den Palast ein, doch nach der geglückten Hochzeit im Jahre 1796 erhält der Giebel eine neue Inschrift, die über achtzig Jahre lang und weithin sichtbar von den Bewohnern der damaligen Wilhelmstraße Nr. 7 kündete: »Hotel de Radziwill - Haus der Radziwills« .

Das »Hotel de Radziwill« wurde nicht nur die Heimstatt eines glücklichen Ehepaares. Es wurde zum Treffpunkt der Berliner Gesellschaft, ein Haus »voller Glanz und Geselligkeit«, in dem Persönlichkeiten ein- und ausgingen, die sich vom banalen politischen Alltagsgeschäft fernhielten. Fürst Anton brachte den »Charme der polnischen Aristokratie in die eher schlichten preußischen Verhältnisse« und verband die »Aristokratie des Hofes« mit der des Geistes. Gemeinsam mit Luise bot er literarischen Gesellschaften seinen Salon an, die Zeltersche Liedertafel traf sich in der Wilhelmstraße, Dichter und Philosophen erschienen, die musikalischen Abende sollen »von hohem Niveau gewesen sein.« Fürst Anton war, glaubt man den wenigen Zeitgenossen, die ihn erwähnen, ein vorzüglicher Violoncellospieler und ein leidenschaftlicher Musikliebhaber, weshalb ihm nicht nur sein berühmter Landsmann Frederic Chopin das Trio g moll op. 8 widmete, auch der berühmte Ludwig van Beethoven schrieb den Namen Radziwill über seine Ouvertüre op. 115.

Anton Radziwill taucht nicht nur über den Partituren berühmter Komponisten auf, er griff auch selbst zur Feder. Der Literatur ebenso wie der Musik verpflichtet, setzte er sich in den Kopf, J Goethes Monumentalwerk, das Drama des Faust, auf die Bühne zu bringen. Vier Jahre brütete der Fürst in seinem Arbeitszimmer an der Wilhelmstraße über den Noten für den ersten Teil, als der Dichter durch den Direktor der Berliner Singakademie von dem Unternehmen des polnischen Fürsten erfuhr. Daraufhin besucht er Goethe in Weimar, der von der Musik begeistert zu sein scheint und seinem Tagebuch die Hoffnung anvertraut, dass sein Stück mit dieser Musik vielleicht doch noch den Weg auf die Bühne schaffe.

Tatsächlich genehmigt man endlich eine Aufführung des ersten Teils, fünf Jahre wird geprobt, bis, pünktlich zum Geburtstag seiner geliebten Luise am 24. Mai 1820, in Monbijou die Uraufführung des Faust stattfindet: Mit der Musik aus der Feder ihres geliebten Mannes. 25 Jahre seines Lebens hat Radziwill dem Faust gewidmet, zehn Jahre allein dem 2. Teil des Werkes, und als es 1835 endlich zur Uraufführung in der Berliner Singakademie kommt, sind sowohl ihr Direktor, als auch Goethe bereits gestorben.

Auch der Komponist war zwei Jahre zuvor gestorben. Schon ein Jahr darauf, im September 1834, starb Elisa, die ihren Wilhelm nur noch von Ferne sah. Und zwei Jahre später folgte Luise ihrem Mann und ihrer Tochter. Auch für das Haus brachen dunkle Zeiten an: 1869 kaufte Otto von Bismark das Palais, Albert Speer baute es zur Reichskanzlei aus, in dem auch Eva Braun ein Zimmer besaß, Hitler ein- und ausgeht. Im Krieg wird es von Bomben getroffen, der Rest des in Verruf geratenen Hauses am Ende von den Sowjets abgerissen. •


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