Kreuzberger Chronik
Oktober 2016 - Ausgabe 183

Reportagen, Gespräche, Interviews

Es geht um die Wurst


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von Hans W. Korfmann

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Die Currywurstbuden sind am Ende. Eine der letzten, die sich noch hält, steht in Kreuzberg. 2018 läuft die Pacht aus.


Einen gibt es noch. Einen letzten, den kaum einer kennt. Weil er sich hinter hohen Backsteinmauern verbirgt, im Hof des KFZ-Amtes an der Jüterboger Straße. Ein Wagen mit Anhängerkupplung und Theke zum Aufklappen. Einer der letzten Berliner Imbisse mit Mittagstisch, mit Curry, Pommes und Soleiern, Würsten und blondierten Frauen, die nach Fett riechen, und Männern, die zu viel Parfum aufgelegt haben. Ein Unikat, aber seine Tage sind befristet. „Wenn das KFZ-Amt geht, ist es vorbei!“ So wie es für viele andere Imbisse schon lange vorbei ist.

Sie sind selten geworden, die kleinen, notdürftig nach dem Krieg installierten Essstationen mit ihrem Überlebensangebot. Sie kamen auf Rädern und waren mobile Garküchen, die zwischen den Berliner Ruinen standen und Würste, kalte Getränke und Kaffee verkauften. Während man sich abends in den Kneipen traf, die nach und nach wieder aufmachten, traf man sich tagsüber an den Imbissen, unterm Schirm und unter der Markise.

Foto: Dieter Peters
Heute haben die meisten dieser ehemaligen Buden einen festen Wohnsitz. Die berühmte Curry 36, Keimzelle der Berliner Currywurst, Zwischenstoppstation für Bürgermeister und Tatortkommissare, ist schon vor vielen Jahren vom Wagen ins Haus mit der Nummer 36 gezogen und erinnert heute eher an eine Großkantine als einen Imbiss für kleine Leute. Kleine Leute können sich die kleine Curry zwischendurch auch nicht mehr jeden Tag leisten, denn der Preis für den Pappendeckel, die Wurst und einen Haufen Ketchup mit einer Prise Currypulver ist auch nicht mehr der alte. Die Miete für einen Laden ist eben teurer als die zehn gepachteten Quadratmeter Straße.

Vor zwanzig Jahren, als die Curry noch auf der Straße lebte, war sie für jedermann erschwinglich. Ebenso wie der Döner, den die türkischen Imbisshändler seit den Siebzigern in Kreuzberg etablierten, und der von hier aus seinen Siegeszug durch ganz Europa antrat. Denn der orientalische Fleischspieß mit seiner Salatbeilage aus Gurken, Tomaten, Weißkohl und Zwiebeln war fast schon gesunde Vollkost und eine willkommene Alternative zu Bouletten, Frankfurtern und Bratwürsten. Bis in die Neunzigerjahre hinein gab es die kleine türkische Mahlzeit in günstigen Gegenden noch für zwei Mark.

Doch seit dem Fall der Mauer stiegen nicht nur die Mieten, sondern auch die Curry- und Dönerpreise. Fastfoodketten machten ihnen das Leben schwer und drängten sie aus der Stadtmitte immer weiter an den Stadtrand. Auch im Touristenzentrum Kreuzberg sind die mobilen Bretterhäuschen fast alle verschwunden. Nur an der Grenze zu Neukölln und Tempelhof gibt es sie noch. Am Platz der Luftbrücke, wo die Fahrgäste der U6 noch zwischen zwei Imbissen und zwischen Wurst oder Döner wählen konnten, gibt es heute nur noch das Bistro Nazar. Sieben Jahre ist es her, dass hier die letzte Currywurst brutzeltejetzt gibt es nur noch Döner, Falafel und Schawarma. Die Pächter allerdings stört das nicht. Sie sind zufrieden, „wir können leben, Gott sei Dank!“

Auch auf der anderen Seite des Flugfeldes gab es vor wenigen Jahren noch Currywurst und Bier. Mitten in der Einflugschneise hatte im Sommer und im Winter die „Flugstation“ geöffnet, Treffpunkt aller Fernwehsüchtigen, die mit einer Flasche Schultheiss in der Hand den Duft des Kerosins und den Lärm der Ferienflieger einsogen. Heute gibt es nicht weit entfernt einen neuen Imbiss, und dort, wo einst zwei braune Flaschen Kindl und Schultheiss standen, stehen heute, bunt wie die Luftballons auf einem Kindergeburtstag, die Bionaden in Reih und Glied. „Der andere“, sagen die jungen Mädchen hinter dem Tresen, „war plötzlich weg. Ich hoffe, wir haben ihn jetzt nicht vertrieben.“

Foto: Dieter Peters
Am Columbiadamm, nicht weit vom Schwimmbad, gab es schon nach dem Krieg wieder Curry- und Bratwurst, Bier und Schnaps. Die Bude war legendär, in lauen Sommernächten sollen die Gäste bis zum Morgengrauen bei Bier und Korn dort gestanden haben. Aber Bier und Korn gibt es nicht mehr. Seit Januar gibt es den Korean BBQ Express mit Fritz-Cola und Mmaah´s Tee. Wo einst Männer standen und den Frauen nachpfiffen, stehen jetzt Frauen mit Kinderwagen und rufen nach ihren Kindern.

Auf der anderen Straßenseite aber leuchtet das kleine blaue Häuschen des Almanara-Imbisses. Es erinnert eher an eine Gartenlaube als an eine Imbissbude, aber bei Süleyman Yiasine gibt es sie tatsächlich noch: die berühmte Currywurst. Auch Bratwurst, Hamburger, Pommes, Majo, neben Falafel -„selbstverständlich!“ - Schawarma und Humus. Der Libanese hat „internationale Küche“, er ist schon seit 40 Jahren in der Stadt, hat in italienischen, griechischen, ägyptischen und deutschen Restaurants gearbeitet, um am Ende diesen kleinen Imbiss am Rande Kreuzbergs aufzumachen. „Vorher gab´s hier nur Currywurst, Bratwurst, jetzt gibt es alles.“ Yiasine hat es sich gemütlich gemacht am Rand der Hasenheide, einen kleinen, niedrigen Tisch mit zwei Lehnstühlen, über einem winzigen Gastraum mit Wandteppich und orientalischem Lampion baumeln Weintrauben und Palmblätter. „In dreißig Minuten hab ich alles abgebaut!“, sagt Yiasine. Das ist Vorschrift. Sonst darf der Pächter innerhalb seiner Grenzen tun und lassen, was er will. „Aber kein einziger Nagel, Kollege! Nägel sind verboten!“ Alles muss mobil sein und von einem Moment auf den nächsten verschwinden können.

Yiasine ist zufrieden mit dem Imbiss, „die Miete ist günstig, die Leute sind nett.“ Auch die Neuen. „Diese jungen Leute wollen keine Wurst mehr, die sind alle vegetarisch, die essen Blumenkohl und so was. Aber nette Leute!“ Kürzlich wollte er umbauen, alles ein bisschen deutscher machen. „Aber die vom Film und vom Fernsehen sagen immer, ich soll das bloß lassen, wie es ist.“ Vielleicht werden Yiasine und sein Imbiss demnächst in einem der hübschen Berlinfilme auftauchen.

Die drei schmucklosen Imbisse am Hermannplatz, und genau genommen schon auf Neuköllner Boden, könnten es höchstens in einen Tatort schaffen. Die schmucklose Blechfassade ist der des Kaufhauses Karstadt angeglichen, keine winzige Spur von Gartenlaube taucht in dieser Großstadtszene mit Punker und Schäferhund auf karierter Decke auf. Der erste hat schon seit Wochen die Aluminiumläden heruntergelassen, und auch nebenan gibt es keine Currywurst mehr, sondern „Kartoffelpuffer & Eierkuchen aus eigener Herstellung“. Aber bei Gregor kostet das Schultheiss immer noch einen Euro, der kleine Kaffee 50 Cent, und die legendäre Berliner Curry im Brötchen 1,30. Glühwein gibt es auch, sogar im Sommer, bei 35 Grad. Die Kundschaft besteht aus Männern in dunklen Anzügen mit silbergrauen Haaren, Frauen mit Tattoos und Hund an der Leine, Touristen mit Rucksäcken auf dem Rücken und Fahrradfahrern mit Helm auf dem Kopf. Und aus denen, die fast jeden Nachmittag „mal zu Karstadt gehn“, um über Barca zu fachsimpeln oder über Schalke: „Manmanman, was für´n langweiliges Spiel. Und dafür zahl ick Fernsehgebühren!“, sagt Gregor und wendet die Wurst für die blonde Karstadtverkäuferin. „Jau, so wat langweelijet, manmanman...“ – „Das Leben ist eben hart, aber ungerecht!“ – „Und Hertha hat auch verlorn...“

So vergeht eine Stunde bei Gregor am Hermannplatz, manchmal auch zwei. Manchmal wendet einer der Stammgäste den Blick von der Friteuse ab und sieht sich gelangweilt das Schaufenster von Karstadt an: Kanaren: 995.-; Dubai: 1495.-, Kapstadt: 1858.-.

Dann dreht er sich wieder um: „Was schulde ich dir eigentlich?“ Gregor überlegt und sagt: „Gib mir drei.“ – „Na, das is doch mal wat!“

Auch Schrottis Imibiss in der Blücher Straße war ein Treffpunkt. Ein echtes Original. Wie die Bretterbude, die vor zwanzig Jahren am Görlitzer Bahnhof stand, und an deren Stelle heute das Hühnerhaus steht. Mit angegliedertem Restaurant auf der anderen Straßenseite. Auch die Bude am Prinzenbad, vor der sie nach dem Schwimmen Schlange standen, heißt jetzt Hähnchenhaus. Genau genommen gibt es nur noch eine der echten, mobilen Currybuden auf Kreuzberger Boden: Die Bude am Blücherplatz, vor dem Eingang des Möbelkaufhauses POCO.

Hier stehen keine Touristen, hier macht kein Bürgermeister Station, kein Schauspieler. Hier trifft sich, wer authentisch ist: Ein junger Japaner zum Beispiel, der gerade von der Gedenkbibliothek herübergekommen ist und sagt: „Eine Curry ohne bitte.“ – „Was zu Trinken?“ - „Nein danke!“ – „Pommes?“ – „Nur die Curry bitte!“ Als er wenig später mit der Wurst in der Hand singend davonhüpft, kratzt sich Fredi stirnrunzelnd die grauen Schläfen. „Hier kommt eben alles vorbei, was es so gibt.“

Foto: Dieter Peters
Also auch Fredi. Fredi kommt öfter. Schon der Bauch deutet an, dass ein Leben ohne Curry nicht lebenswert ist. „Eene gibts noch, außer der hier. Am Moritzplatz. Aber die muss auch bald weg. Dabei hat der letztes Jahr oder so sogar noch zigtausend Euro in seine Bude investiert, Wasser, Elektrik und so, und jetzt soll er raus. Der hat sogar prozessiert, aber das hilft alles nüscht.“

Fredi kennt sich aus mit den Currybuden. „Die, die noch da sind, haben Bestandschutz. Aber sobald eine zumacht oder verkauft wird, gibt es keine Genehmigung mehr. Die wollen die alle weg haben. So ne Bude passt nicht mehr ins Stadtbild.“

Die Chefin der Currybude am Blücherplatz ist schon im Rentenalter, aber falls die neue Straße doch nicht gebaut werden sollte, weil dem Senat das Geld fehlt, dann wird es die letzte Zuflucht echter Currywurstliebhaber wohl noch eine ganze Weile geben. In einem Schreiben allerdings haben die Stadtväter bereits deutlich gemacht, dass im Fall des Straßenumbaus die Pacht nicht mehr verlängert wird.

„Dabei steht die Bude der Straße nicht einmal im Weg! Die Straße soll nämlich, so wie vor dem Krieg, zwischen Kaufhaus und Bibliothek auf die Brücke zuführen. Da stört unsere Bude doch gar nicht. Die wollen uns nur weghaben. Die Bude gegenüber, die auf der Brücke stand, ist ja auch schon weg!“

„Es geht gar nicht um die Wurst!“, sagt Frau Karatas, die erst seit einem Jahr hinter der Theke am Blücherplatz steht, aber eine ebenso echte Kreuzbergerin ist wie die Bude selbst. „Es geht um ein Stück Berlin-Kultur. Um soziale Kontakte. Das ist einer der letzten Treffpunkte in der Gegend. Cafés und Kneipen sind zu teuer geworden. Aber hier kommen sie nach dem Einkaufen noch mal kurz auf ne Curry vorbei, um ein paar Worte zu wechseln und zu erzählen, was wieder alles passiert ist im Haus. Aber wenn die Wurst auf einmal zwei Euro kostet, dann ist das für Hartz IV-Empfänger und Rentner zu viel. Die kommen dann nicht mehr. Die vereinsamen dann. Darum geht es. Und nicht um diese blöde Wurst.“ •



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