Kreuzberger Chronik
November 2016 - Ausgabe 184

Reportagen, Gespräche, Interviews

Die letzten Mieter


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von Michael Unfried

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Vor neun Jahren kaufte die Phoenix Gruppe ein Haus am Mehringdamm. Jetzt müssen die letzten Mieter ausziehen.


»A strong golver, a successfull financier! Dazu das Bild eines sonnengebräunten, mit charmantem Lächeln telefonierenden Geschäftsmannes im Fond seines Geschäftswagens: das ist die Zielgruppe, die der Luxemburger Immobilienhändler Phoenix auf seiner Internetseite präsentiert. Im Hof des Objektes am Mehringdamm allerdings, das die Phoenix Group mit der britischen »Offshore-Investmentfirma Taliesin« 2009 kaufte, steht Kalle, der Rentner aus dem ersten Stock des ersten Quergebäudes in seiner schlabberigen blauen Trainingshose und dem Bundeswehr-T-Shirt vor dem Bauch. Den Wohnungsschlüssel trägt er an einem Band um den Hals. Die eigene Wohnung ist ihm heilig.

Foto: Dieter Peters
»Die wolln uns hier raus haben. Die meisten sind ja auch schon weg. Im Vorderhaus ist gar keiner mehr, nur noch der mit dem Hund. Und der zieht jetzt auch aus. Weiß nicht, was se dem geboten haben, 40.000 hab ich gehört. Aber ich komm die Treppe nicht mehr hoch. Ich bleib hier. Da müssten die mir schon was im Erdgeschoß anbieten.«

Kalle wohnt seit zehn Jahren im ersten Quergebäude der Nummer 51, in einer Einzimmer-Wohnung mit Küche und Bad. Für 287,37.- Das ist bezahlbar. So bezahlbar, dass sogar das Amt mitspielt. Aber wenn die Phoenix ihm kündigen würde, dann könnte es sein, dass das Amt keine günstige Wohnung mehr fände für Karl Heinz Neizel. Dann müsste er womöglich ins Heim. Deshalb trägt er den Schlüssel lieber am Hals. Damit ihm den niemand wegnehmen kann.

Früher hat Kalle beim Büchertisch gearbeitet, auf der anderen Seite des Hofes. Der Verein im Erdgeschoss ist der letzte Mieter in dem hohen Backsteinbau mit den vier riesigen Fabriketagen, die seit 2009 leer stehen. Jetzt wurde auch dem gemeinnützigen Verein mit seinen 35.000 Büchern gekündigt. Am 1. Januar wird das Quergebäude dann endgültig leer sein. Die Blumen im Hof werden verschwinden, der Baum in der Badewanne, der Oleander, der Hibiskus, die Rosen, der Tisch und die Stühle und die Bank in der Sonne. Eine der letzten Kreuzberger Hinterhofidyllen wird verschwinden. Eines der letzten Refugien alternativer Kultur und Lebensweise. Auch Nepomuk Ullmann, dienstältester Conferencier der Kreuzberger Literaturszene, wird mit seiner »Literaturwerkstatt« künftig nicht mehr am Mehringdamm, sondern der Adalbertstraße sein.

Foto: Dieter Peters
»Diese Leute kaufen halb Kreuzberg ein und wissen nicht einmal, wo das liegt«, sagt Michael Kurth, der seit vielen Jahren beim Büchertisch ist und sich über ausländische Investoren ärgert. »Es geht nur noch ums Geld«. Weniger als vier Millionen, wird in der Straße geflüstert, hätten die Luxemburger für das Backstein-Ensemble mit drei Höfen und fünf Gebäuden bezahlen müssen. Das entspricht der billigen Firmenphilosophie: »Günstig einkaufen«, teuer verkaufen. Was die Firma auf dem Grundstück plant, darüber wird geschwiegen. »Ich glaube, die wollten nur ihr Geld hier parken.« Dann warten sie, dass der Preis steigt und dass die Mieter sterben. Und wenn nach ein paar Jahren die Spekulationssteuer entfällt, dann machen sie Ernst. Dann wird verkauft. Dann werden auch die letzten Bewohner noch vertrieben.

Karl Ringena ist schon fort. Auch er wollte wohnen bleiben. Seit 1971 wohnte er in dem alten Taubenschlag, den sich der ehemalige Eigentümer der Gewerbehöfe, Hans Wittenbecher, nach dem Krieg mit einer außerordentlichen Genehmigung des Bezirksamtes zu einer Wohnung ausbauen durfte. 43 Jahre lang wohnte Ringena über den Dächern von Berlin, doch 2013 standen plötzlich 18 Menschen bei ihm vor der Tür: »Welche vom Bauamt, ein Richter, die von der Hausverwaltung, und dann solche jungschen Typen aus Luxemburg, die einem alle die warme Hand reichten.«

Es ging um die Brandschutzbestimmungen und die noch fehlende, ordentliche Baugenehmigung. Die jungen Männer waren äußerst höflich und sagten, sie würden alles Erdenkliche dafür tun, damit Herr Ringena wohnen bleiben könne. »Nur der vom Bauamt meckerte.« Dennoch war Kalle skeptisch, zumal Phoenix sich vierzehn Tage Bedenkzeit erbeten hatte. Nach vierzehn Tagen kam dann auch der Brief, in dem stand, dass er ausziehen müsse.

Auch Cornelia Tamesvari vom Büchertisch ist den schmierig-freundlichen Handlangern einmal begegnet. »Es war wie im Film, die saßen da freundlich lächelnd, aber wir hatten keine Chance«. Der Mitarbeiter eines Verlags, der im Quergebäude zwei Büroräume angemietet hatte, erinnert sich: »Dieses Lächeln ist wie eine Wand: Man kommt nicht dahinter. Aber man ahnt: Dahinter ist alle ganz anders. Da gibt es keine Nettigkeiten mehr.«

Den letzten noch verbliebenen Mietern allerdings schenkt Phoenix kaum mehr ein Lächeln. Die Firma stellt Gerüste im Hof ab, reißt das Dach auf, klebt Folien in die Fenster, erzählt den Mietern vom Hausschwamm, der das gesamte Dachgeschoss befallen haben soll. Spricht Kündigungen aus und von großen Bauvorhaben. An den Briefkästen in den Treppenhäusern hängen noch Namen wie Wolle, Riedel, Beyer, Heiligenthal, aber es sind nur noch die Namen. Im Seitenflügel wohnt als letzte Mieterin eine alte Frau, und im Quergebäude bei Kalle sind noch Alex im ersten und Natascha im vierten Stock.

Natascha musste Anfang des Jahres vom Vierten in den Dritten Stock ziehen, weil man die Deckenbalken austauschen musste. Drei Monate sollten die Arbeiten dauern, »inzwischen sind es neun!« Und jetzt kommt der Winter, es regnet auf die Möbel, von denen einige noch in der alten Wohnung stehen. Die Hausverwaltung ist für die Mieterin nicht mehr zu sprechen, jetzt kommunizieren die Anwälte. Auch die Bäckerei Leckerback hat Probleme mit den Männern aus Luxemburg und Jersey. Die türkische Firma mit dem deutschen Namen, die in ganz Berlin Filialen an fleißig backende Subunternehmer vermietet, hatte einen Mietvertrag bis 2021. Jetzt hat sie ihren Pächtern am Mehringdamm vorzeitig gekündigt. Oder kündigen müssen. »So genau weiß das niemand.« Auch in diesem Fall sprechen nicht mehr die Betroffenen, sondern nur noch die Anwälte miteinander.

Am meisten Ärger mit der deutschen Hausverwaltung und der Luxemburger Chefetage hat der »kleine Italiener«, der im Vorderhaus »Pizza, Pasta, Salat« verkauft. Er kann das alles noch immer nicht richtig glauben. »Die haben so viel Geld, und dann machen sie einem einfach die Existenz kaputt! Der Büchertisch, Leckerback, ich... - Das ist Krieg!« Öner, schon so etwas wie ein Kreuzberger Urgestein, hat gemeinsam mit Freunden und Familienmitgliedern den Laden vom Vorgänger übernommen. Sie haben aufwendig renoviert, viel Zeit und Geld in den Umbau investiert, aber als nach und nach alle Mieter aus dem Vorderhaus auszogen, war klar: »Hier stimmt was nicht!«

Als die Hausverwaltung Bauarbeiten am Dachstuhl ankündigte und die Baufirma kurz darauf den Fahrstuhl exakt vor seiner Ladentür aufbaute, obwohl man ebenso über den Hinterhof hätte gehen können, war klar, dass sie es nicht leicht haben würden. «Die haben den Dachstuhl aufgemacht, und das wars! Es fielen Steine auf die Straße, es regnet rein.« Als der Pizzabäcker den Anwalt einschaltete, bauten sie den Fahrstuhl unverrichteter Dinge wieder ab.

Nach und nach sickerte durch, dass man ihn »raus haben wollte«. Öner rief die zuständige Dame bei der Hausverwaltung an. Als er sie endlich erreicht hatte, machte sie unmissverständlich klar, dass die Arbeiten am Haus nicht Wochen, sondern »voraussichtlich 3 Jahre andauern« würden. Dass nicht nur das Dach, sondern auch die Fassade gemacht werden würde. Dass seine Gasttische bald nicht mehr in der Sonne auf der Straße, sondern unter einem Baugerüst stehen würden. Und dass er in den nächsten Jahren ohnehin kein Geld am Mehringdamm verdienen würde, weshalb es besser wäre, »den Mietvertrag gleich aufzulösen.« Man würde auch keinerlei Schadensersatz oder Kündigungsgebühren von ihm verlangen.

Als der Mieter auf das freundliche Angebot des Vermieters nicht reagierte, bot die Hausverwaltung an, »das Mietverhältnis in beiderseitigem Einvernehmen in Form einer Vereinbarung zu beenden« und ihm finanziell entgegen zu kommen, falls er sich entschließe, den Laden aufzugeben. Öner schrieb nicht zurück. Er rief zurück und erklärte der Verwaltung, dass er sich nicht vertreiben lassen und kämpfen werde »bis zum bitteren Ende«. Dann legte er auf. Seitdem herrscht Stille.

Im Hof steht Kalle mit seinen Hosenträgern. Er entspricht nicht ganz den Vorstellungen, die Phoenix von den neuen Bewohnern der Immobilie mit der Nummer 51 hat. Der Vogel, der sich aus der Asche Berlins erheben möchte, würde lieber mit Golfern verhandeln. Aber er wird sich mit ihnen auseinander setzen müssen, dem dicken Kalle und dem »kleinen Italiener.« Und er könnte sich seine papiernen Flügel verbrennen an diesen kleinen Leuten, die sich das nicht weiter gefallen lassen wollen. AGORA´S hat Öner sein Lokal genannt, weil »die Agora in Athen so etwas wie der Geburtsort der Demokratie war.« Und weil er überzeugter Demokrat ist. Also hat er AGORA´S über sein Lokal geschrieben, mit einem A, das deutlich an das A der Antifa-Bewegung erinnert. »Weil wir hier in Kreuzberg sind!« Und weil Demokratie allein vielleicht manchmal nicht mehr hilft. •





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