Kreuzberger Chronik
Mai 2016 - Ausgabe 179

Geschäfte

Echt Berliner Souvenirs aus Nepal


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von Saskia Vogel

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Eigentlich wollten sie nur Urlaub machen.Aber dann entdeckten sie die Hängematten.

In einem Körbchen liegen Glitzertierchen und der Hindu-Gott Ganesha als Aufkleber für die Windschutzscheibe. Eulen schauen vom Regal herunter, daneben ein Elefant aus Holz, ein Kätzchen aus Holz, ein Kästchen aus Holz. Eine Kugelfischlampe. Und mittendrin, zwischen all dem Kunsthandwerk, steht, ganz in echt, ein Mensch: Hans Joachim Kruse.

Kruse ist 50 Jahre alt und trägt zur Lederweste Wollstrümpfe und feste Schuhe. Er ist groß und seine Stimme klingt mächtig. Er besitzt, gemeinsam mit seiner Frau, einen Laden namens Bahia in der Zossener Straße und verkauft Aladin-Hosen, Pfeifen und Ponchos. Katja Kruse kennt sich aus mit Textilien. »Wir Männer haben da ja nicht so viel Ahnung« , muss Kruse zugeben.

Gegründet hat Hans Joachim Kruse sein »Bahia« vor einem Vierteljahrhundert als Hängemattenladen. Herr Kruse war mit seinem Bruder in Brasilien gewesen und hatte entdeckt, dass es dort die »weltbesten Hängematten gab. Durchgängig gewebt, mit lange separiertem Kettfaden« – es sind die handwerklichen Details, die dafür sorgen, dass das Gewebe straff und fest ist. Nur brasilianische Hängematten sind gesund, Matten aus dem Discounter dagegen schlicht ein Gräuel, die Rückenschmerzen vorprogrammiert. In brasilianische Hängematten lege man sich übrigens auch nicht längs, sondern quer, weshalb der Rücken auch nicht so durchgebogen werde. Man liege darin beinahe wie auf einem Bett, und zwar jahrzehntelang.

Die Brüder waren von der brasilianischen Hängematte derart überzeugt, dass sie beschlossen, auch »Berlin damit zu beglücken« . Die Samtschuhe und Trommeln kamen erst später. Tatsächlich befestigten die Berliner fortan Hängematten auf ihrem Balkon und schaukelten in ihrem Kleingarten so glücklich hin und her, als seien sie am Tropenstrand und nicht in Stolzenhagen. Anfangs verkauften die »Gebr. Kruse« ihre Hängebetten nur samstags auf dem Winterfeldtplatz, doch die Kunden beschwerten sich irgendwann darüber, dass sie nicht die ganze Woche lang Matten kaufen konnten. Also verkaufte Kruse jetzt von montags bis samstags – und zwar direkt in seiner Wohnung in der Manteuffelstraße. Er inserierte, wie anno dazumal üblich, im Telefonbuch. »Ich habe angerufen und gebeten, für uns eine neue Rubrik einzurichten: Hängematten.« Der Verlag willigte ein, aber dem Vermieter in der Manteuffelstraße passte Kruses Geschäftstüchtigkeit in der Mietwohnung überhaupt nicht.

So sahen sich die Kruses eines Tages gezwungen, einen 50-Quadratmeter-Laden in der Wrangelstraße zu eröffnen, und weil Hängematten auf portugiesisch »Redes« heißt, nannten sie ihn »Casa das Redes« – »Haus der Hängematten« . Jetzt feiert der Laden bereits seinen zwanzigsten Geburtstag, und einen Ableger in der Zossener Straße gibt es auch schon, wenn auch unter anderem Namen. Aus dem umständlichen »Casa das Redes« wurde das wesentlich prägnantere »Bahia« , aber längst nicht jeder hat sich an die Namensänderung gewöhnt. Im Bergmannkiez spreche man bis heute vom »Goa-« oder vom »Hippie-Laden« , im alten Kreuzberg 36 seien sie immer noch »der Hängemattenladen« . Obwohl die Hängematten heute nur noch einen kleinen Teil des Sortiments ausmachen.

Die Regale sind jetzt nämlich voll mit Kunsthandwerk. Zwischen Haarbändern, Engelchen, Räucherstäbchen und Glückwunschkarten fehlen auch die berühmten Traumfänger nicht, Relikte der Indianer-Romantik aus den Anfangsjahren des Bahia. Mit seinen großen Händen hält Kruse einen der Traumfänger in die Luft. Ursprünglich seien die von den Navajo-Indianern aus echten Tiersehnen hergestellt worden mit einem Türkis als Edelstein. Heutzutage bestünden die Schlafverbesserer aus Nylonfäden und Glassteinen. »Die meisten stammen nicht einmal mehr aus den USA.«

Kruse aber achtet auf Qualität. Der Buddha aus Bali, der Silberschmuck aus Indien, die Wollhandschuhe aus Nepal, fast alles ist Handarbeit. Vieles ist schön, anderes nur nützlich, und manches ist einfach nur ein Staubfänger. Aber auch die Staubfänger sind Unikate. Das erkenne man an den vielen »kleinen Ungereimtheiten« . Aussuchen könne er sich die Einzelstücke nicht, die meiste Ware stamme aus Nepal, der Einkauf sei immer ein Glücksspiel. »Wenn ich dunkelgrüne Mützen bestelle, kann es sein, dass sie in hellgrün geliefert werden. Oder ich möchte 15 kleine Klangschalen und es kommt ein Paket mit zehn großen.« Die Nepalesen schicken, »was sie gerade so da haben« .

Auf den Weg vom Hängemattenladen zum Ethno-Shop ist Kruse durch Zufall gekommen, so wie einst auch zu den Hängematten: Als Ende der Neunziger ein größeres Lager mit Kunsthandwerk aufgelöst wurde, kaufte Kruse »Elefanten, Flöten und Pfeifen aus Übersee« ein. Inzwischen reist er einmal im Jahr nach Asien und Mittelamerika, immer auf der Suche nach Pfeifen, Flöten und Elefanten. Allerdings »nie zur Monsunzeit.« Das täte den Stoffen in den Kartons nicht gut.


Foto: Dieter Peters
Foto: Dieter Peters
»In Nepal« , erzählt Kruse, »wird noch viel in Heimarbeit gemacht.« Allerdings nähen oder weben die Nepalesen nicht mehr für sich selbst, sondern für den Export. Die Hippie-Klamotten aus dem Bahia würde in Nepal kein Mensch tragen. Die Ponchos, Patchworkjacken, Pluderhosen und Wollstulpen, alles wird für den Westen produziert. »Neben unserem Laden ist ein nepalesisches Restaurant« , sagt Kruse, und man pflege zu den Besitzern ein gutes Verhältnis. Eingekauft hätten die Nepalesen aber bei ihm noch nie. Stattdessen kommen junge Mädchen, Spirituelle, Yoga-Lehrer, Veganer, Weltenbummler, Klangschalen-Heiler und Entwicklungshelfer. Und natürlich die Touristen auf der Suche nach einem echt Berliner Souvenir. •



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