Kreuzberger Chronik
März 2016 - Ausgabe 177

Geschichten & Geschichte

Die Spiele des Soldatenkönigs (2):
Wettläufe vor dem Stadttor



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von Werner von Westhafen

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Die Soldaten waren das Steckenpferd und der ganze Stolz des Königs. Er sammelte Soldaten, so wie andere Briefmarken oder Schmetterlinge sammelten. Die schönsten Exemplare, die »langen Kerls«, von denen keiner kleiner als 1,80 Meter sein durfte, hielt er in Potsdam. Neben der geliebten »Riesengarde« waren die Blaujacken, die am Quarrée, am Lustgarten, am Achteck und auf dem Rondell vor dem Halleschen Tor exerzierten, nur Soldaten Zweiter Klasse, doch an Strenge ließ es der König auch bei ihnen nicht fehlen. 102 verschiedene Gewehrgriffe mussten sie beherrschen, zwischen den Häusern rings um das Rondell am Halleschen Tor verhallten die Befehle der Offiziere erst am späten Abend.

Das Steckenpferd des Soldatenkönigs bestimmte für viele Jahre das Leben vor dem Halleschen Tor. Die Sorge, dass ihm seine »lieben blauen Kinder« - wie er die Soldaten nannte, wenn er mit ihnen zufrieden war - davonlaufen würden, wurde im Verlauf der 27 Amtsjahre zur krankhaften Manie. Nicht nur am Kottbusser und am Schlesischen, auch am Halleschen Tor wurden die Wachen verstärkt, und jeder, freie Bürger ebenso wie Soldaten, trat den Wachposten mit ihren gestopften Gewehren nicht ohne den nötigen Respekt entgegen.

Das Hallesche Tor war eines der Haupttore in der Berliner Mauer des 18. Jahrhunderts. Es bestand aus zwei hohen hölzernen Flügeln, die nachts geschlossen und tagsüber nur durch einen Schlagbaum zwischren zwei Wachhäuschen gesichert waren, vor dem die Wagen der Einreisenden Halt machen mussten. Während in dem einen Häuschen die Zöllner saßen und die Waren der Ein- und Ausreisenden inspizierten, sollte die Militärwache auf der anderen Seite vor allem Deserteure aufhalten. Sie kontrollierten die Papiere der Soldaten, denen nur eine vom König persönlich unterschriebene Genehmigung die Ausreise erlaubte. Sie durchsuchten das Gepäck der Kutschen, selbst in den Heuwagen der Bauern stocherten sie herum.

Als trotz der verschärften Kontrollen an den Stadttoren noch immer täglich ein oder zwei Deserteuren die Flucht gelang, ließ der König in seiner Verzweiflung die gesamte Mauer bewachen. Alle zwanzig Meter stand ein Wachposten, das Gewehr bei Fuß, insgesamt 1000 Mann hielten nun an der Berliner Grenze Tor- und Mauerwache.

Doch noch immer konnten geschickte Kletterer und mit Leitern ausgerüstete Soldaten die Dunkelheit der Nacht dazu nutzen, die alte Zollmauer zu überwinden und in die Freiheit zu entkommen. Daraufhin befahl der König, »dass künftig alle Fuhrleute und Gärtner des nachts ihre Leitern anzuketten hätten.« Was die freien Bürger der Stadt belächelten, wurde für die Grenzsoldaten bald zur Sorge, denn der König erklärte zudem, dass jeder Grenzer, der durch Unachtsamkeit die Flucht eines Soldaten ermöglicht hatte, bestraft werden sollte. »Wenn zukünftig Leute aus der Garnison desertieren und sie wiederbekommen werden, so sollen sie anzeigen, wo sie übergestiegen sein und soll der Offizier, wo selbige übergestiegen, vier Wochen in Arrest sitzen, die nächste Schildwache aber Gassenlaufen.«

Der Offizier, der vier Wochen angekettet in Sonne und Regen dem Spott der Berliner ausgesetzt war, hatte gute Chancen, mit dem Leben davon zu kommen. Die Schildwache aber, die durch die Spießrutengasse ihrer Kollegen laufen musste, lief um ihr Leben.

Am schlimmsten ging es den Flüchtlingen, die zwar die Mauer überklettert hatten, aber hinter der Stadtgrenze wieder eingefangen wurden. Dafür hatte der König neben der Straße nach Tempelhof auf dem so genannten »Alarmkanonenberg« , einer Anhöhe gegenüber dem Kreuzberg , einen Außenposten mit einer Kanone positioniert, etwa an jener Stelle, wo heute die Fidicinstraße den Mehringdamm trifft. Sobald die Flucht eines Soldaten im Quartier bemerkt wurde, preschte ein Reiter der Grenzwache in gestrecktem Galopp zu dem Mann mit der Kanone, »von weitem schon brüllte der Reiter: Los, schießen! Einer ausgerückt.«

Zwar schoss der Mann an der Kanone nicht auf den Flüchtigen, aber der Kanonendonner war das verabredete Zeichen für die Bauern der Umgebung, sich auf die Suche zu machen. Unter Androhung harter Strafen hatte der König auch den Untertanen außerhalb der Stadtmauer befohlen, Wache zu halten und jeden Deserteur unverzüglich auszuliefern. Nicht selten hetzten Bauern und Soldaten gemeinsam die Militärverdrossenen, bis sie sich vor Erschöpfung stellten.

Zurück in der Stadt musste der Gefangene Spießrutenlaufen. »200 Soldaten wurden in zwei Reihen aufgestellt«, sechs- bis achtmal musste er mit bloßem Oberkörper durch die Gasse der Peitschenhiebe, nicht selten blieb vom Stolz des Soldatenkönigs am Ende nicht mehr als ein Häufchen Elend im Staub.


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