Kreuzberger Chronik
Juni 2016 - Ausgabe 180

Geschichten & Geschichte

Die Zollfahnder vom Halleschen Tor


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von Werner von Westhafen

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Nicht erst die Transitstrecke brachte lange Wartezeiten

Schon in den friedlichen Zeiten, vor dem Amtsantritt des Soldatenkönigs, war die Mauer mit ihren Stadttoren in den Augen der Berliner eher ein lästiges Hindernis als ein Garant für Schutz. Doch seit der Soldatenkönig an der Macht war, nahm der Ärger zu, denn ebenso wie einige Jahrhunderte später in der geteilten Stadt kam es an der Grenze jetzt immer häufiger zu Verzögerungen und Warteschlangen. Der Soldatenkönig war nicht nur ein fanatischer Militarist, der sein militärisches Dienstpersonal durch strenge Grenzposten am Desertieren hindern wollte, zu seinen viel zitierten Eigenschaften gehörten auch Geiz und Missgunst, weshalb er nicht nur die Grenzsoldaten, sondern auch die Zöllner zu besonderer Aufmerksamkeit ermahnte.

Die längsten Wartezeiten mussten Einwanderer am Halleschen Tor in Kauf nehmen. Es war eines der Haupttore in der Berliner Akzisemauer. Dennoch bestand es nur aus einem schlichten Holzbau mit zwei kleinen Zollhäuschen an den Seiten und zwei hölzernen Flügeltüren, die mit einem Eisenriegel verschlossen wurden. Die Zollstation am Halleschen Tor, um 1800

Während das östliche Wachhäuschen von Soldaten besetzt war, die vor allem die Aufgabe hatten, die Papiere der Soldaten zu kontrollieren und etwaige Deserteure ausfindig zu machen, saßen in dem Häuschen gegenüber die Zollbeamten des Königs. Näherte sich eine Kutsche von Süden, wurde augenblicklich der Schlagbaum vor dem Tor heruntergelassen. Die Zöllner ließen sich zunächst die Papiere zeigen, notierten sich Namen und Wohnort der Herrschaften, forschten nach dem Grund der Reise und der Dauer des Aufenthaltes. Am Ende stellten sie die immer gleiche, dennoch bei vielen der damaligen Berlinreisenden gefürchtete Frage: »Hat Er etwas zu verzollen? Hat Er Kaffee, Tee, Schokolade, fremden Tabak oder gar Spielkarten bei sich?« Auch wenn der so höflich Angesprochene sämtliche Fragen brav und aufrichtig verneint hatte, bewahrte ihn das in der Regel nicht davor, dass die Uniformierten jeder Zentimeter seines Wagens durchsuchten. Kamen die Postkutschen aus Leipzig oder aus Halle, dann sprang der Zollbeamte zum Kutscher auf den Bock und begleitete die Einreisenden bis zur Poststation, um dort das Gepäck zu kontrollieren.

Selbst jene Berliner, die nur von einem Ausflug oder der Arbeit auf den Feldern vor der Stadt zurückkehrten, entgingen der Visitation durch die strengen Zollfahnder nicht. Jeder Sack musste geöffnet, jeder Planwagen abgedeckt werden. Besonders Heuwagen erweckten das Misstrauen der Zöllner, die mit langen Eisenstangen in den Heuwagen herumstocherten. Stießen sie auf etwas Hartes, kippten sie den Wagen einfach um. Auch ausfahrende Bauerngespanne, die die Stadt von Norden nach Süden durchquerten, wurden der Kontrolle durch die Zöllner unterzogen. Stießen sie auf etwas Weiches, ertönte nicht selten ein Schrei aus dem Heuhaufen. Dann kamen die Kollegen vom östlichen Wachhäuschen zum Einsatz. Und ebenso wie die Republikflüchtigen in den Zeiten der Deutschen Demokratischen Republik hatten die Flüchtigen des Soldatenkönigs mitunter drastische Strafen zu erwarten.

Zu besonders großen Verzögerungen kam es, wenn sich von Tempelhof und dem Fläming her eine Schafherde auf dem Weg zum Schlächter dem Halleschen Tor näherte. Die Tiere mussten neuerdings sorgfältig gezählt werden, weil der König für jedes Schaf, das in der Stadt geschlachtet wurde, eine Schlachtgebühr verlangte. Also wurde das Stadttor geschlossen und eine kleine Luke in einem der hölzernen Türflügel geöffnet, durch die sich die ganze Herde eines nach dem anderen hindurchzwingen musste, wobei der Zöllner für jedes Schaf einen Strich machen sollte. Doch die aufgeregten Tiere, besonders die großen Hammel, sorgten immer wieder für Unruhe, sprangen übereinander her oder zwängten sich zu zweit und zu dritt in den schmalen Durchschlupf, was nicht selten zu Streit und langen Diskussionen zwischen den Zöllnern und den Viehtreibern führte.

Auch an den Wochenenden wurden die Kontrollen verschärft, denn die Berliner fuhren gerne aufs Land hinaus, um im Grünen spazieren zu gehen und auf dem Rückweg von den Tempelhofer Bauern günstiges Fleisch, Mehl oder Obst zu kaufen. Sechs Pfund durften pro Person zollfrei in die Stadt eingeführt werden. Doch wer zum Sonntagsbraten Gäste eingeladen hatte, brauchte mehr, weshalb die samstäglichen Ausflugsgesellschaften immer größer wurden, selbst die Dienstmädchen durften plötzlich mitkommen. Nicht immer gelang der Schmuggel, denn die Dienstmädchen waren leicht zu erkennen, und wenn eines von ihnen mit einer halben Hammelkeule daher kam, dann boten die Zöllner dem Mädchen einen Sitzplatz an und sagten: »Warten Sie bitte noch ein Weilchen, vielleicht kommt ja die andere Hälfte vom Braten auch gleich vorbei.«

Ebenso wie zu DDR-Zeiten wurden schon damals viele Geschichten erzählt von den gescheiterten und gelungenen Schmuggeleien an der innerpreußischen Grenze. Besonders gern erzählte man sich die Geschichte von einem bis unter den Rand mit Lebensmitteln gefüllten Sarg auf einem Leichenwagen, dem die Zöllner aus Pietät oder Aberglaube nur einen flüchtigen Blick und einen Gruß zuwarfen. Die Geschichte von der dicken Bäuerin war so populär, dass sie sogar aufgeschrieben wurde. Ganz vergnügt soll die Schmugglerin mit ihrem Wägelchen aus Marienfelde am Halleschen Tor angekommen sein. »Hat Sie etwas zu verzollen?« - »Ja!« - »Na, was denn?« - »Zwei Schinken!« - »Ja wo hat si die denn?« - » Ick sitze druff!« Der Zöllner lachte und ließ sie unkontrolliert passieren. •

Literaturnachweis: Vor dem Halleschen Tore, 1913, Verlag Quelle & Meyer, Leipzig



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