Kreuzberger Chronik
September 2013 - Ausgabe 151

Kreuzberger
Zelda Panda

Ich dachte, irgendetwas wird schon passieren


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von Hans W. Korfmann

Titelfoto: Dieter Peters

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Zelda Panda hat viele Gesichter. Wenn sie mit dem Adriano Celentano Gebäckorchester auf der Bühne steht, dann trägt sie ein blonde Perücke ala Marilyn Monroe. Wenn Sie als melancholische Solosängerin auftritt, als Marzipan Marzipan, dann trägt sie immer diese schwarze Fellmütze aus Bologna, die an die rote Pumuckelfrisur, die Köpfe aus dem Musical Cats und an den schwarzen Kurzhaarschnitt von Nena erinnert. Ohne diese Namen, ohne diese Kopfbedeckungen, ohne den Schutz der Maskeraden würde Zelda Panda die Bühnen Berlins nicht betreten.

Ganz ohne Kopfbedeckung sitzt sie in der Adalbertstraße, in einem Lokal vor den allmählich von der bröckeligen Hauswand abblätternden Plakaten, nicht weit von ihrer Wohnung in der »kleinen Reichenberger«, wie die Taxifahrer sagen. »Die große Reichenberger ist die zwischen Ufer und Kotti, die kleine ist zwischen Ritterstraße und Kotti. Das muss man wissen, wenn man ins Taxi steigt. Aber wir steigen nicht oft ins Taxi.«

Zelda Panda ist längst Berlinerin, und sie kommt schnell von einem Thema zum nächsten. Sie mag die Pausen zwischen den Sätzen nicht. Sie ist unsicher ohne Kopfbedeckung. Sie sagt, sie sei schüchtern. So wie Ringo. Ringo Starr. Sie hat ihn gesehen, als er mit den Allstars im Tempodrom auftrat. »Der Ringo ist auch total schüchtern. Er stürzt sich geradezu aufs Mikrophon, wenn er auf die Bühne kommt. Der könnte da niemals langsam hinüberschlürfen, so von all den Leuten beobachtet. Der muss zum Mikrophon rennen und sofort Musik machen, ich hab das selbst gesehen. Ich bin total verliebt in Ringo. Und jetzt ist er 73, und ich bin 37!« Ihr Vater hatte sie zum Geburtstag ins Tempodrom eingeladen. »Ich hab wie verrückt getanzt, und mein Vater hat die ganze Zeit getan, als hätte er nichts mit mir zu tun.«

Ihr Vater war zu Besuch in die wilde Stadt gekommen. Heute »schreiben die italienischen Zeitungen von der grünen Metropole und von der jungen Stadt Berlin« mit ihren Altbauten und Museen. Vor zehn Jahren aber, als die Tochter verkündete, sie wolle Italien verlassen und nach Berlin ziehen, waren sie in großer Sorge gewesen. Da war Berlin noch eine gefährliche Stadt, und die Tochter war keine 30 Jahre alt, sie hatte gerade erst das Studium abgeschlossen, dieses fürs wirkliche Leben völlig nutzlose Studium der Philosophie und der Literatur. Und die Tochter wusste ja nicht einmal, was sie sollte in dieser Stadt, sie hatte keinen Job und kein Zimmer und eine einzige Bekannte. Aber »Berlin hat mich gerufen. Es gab gar keine andere Wahl! Die meisten zwischen Venedig und Undine gingen nach London. Aber ich wollte nach Berlin.«

Wozu sonst hatte sie auf dem Gymnasium Deutsch gelernt? Und wozu sonst hatte sie Wim Wenders Filme gesehen? Wozu wären die Scheiben von den Einstürzenden Neubauten und von Hildegard Kneef gut gewesen, wenn nicht dazu, die junge Italienerin nach Berlin zu locken? Und die deutschen Romane, von denen so viele in dieser Stadt spielten. Also war sie 1997, fast zehn Jahre nach dem Fall der Mauer, mit einer Freundin einfach losgefahren. Zwei Wochen lang hatten sie in einer kleinen Pension am Savigny Platz gewohnt. Die Pensionsbesitzerin hatte sie im Bus angesprochen, der sie von Tegel in die Stadt brachte. Die vornehme Berlinerin, die eine ganze Etage in einem alten Haus besaß, war ihnen zuerst nicht ganz geheuer, jeden Morgen sahen die beiden Italienerinnen nach, ob das Gepäck noch vollständig war. Es waren spannende Zeiten angebrochen in Berlin, Zeiten, als Ost-Berlin im Reiseführer Lonely Planet noch als gefährliches Terrain bezeichnet wurde. Weshalb die beiden Italienerinnen erst am letzten Tag ihrer Reise einen Abstecher zum Tacheles wagten. Es war ein »wahnsinniger Abend«, an dem sie prompt ein paar nette Jungs kennen lernten.

Die Oranienburger Straße war viel spannender als die Bergmannstraße mit ihren Secondhand-Läden, den Plattenläden, Trödelläden, Cafés unf Kneipen, in denen die beiden Italienerinnen beinahe jeden Abend verbracht hatten. Aber hier, im Osten, tat sich gerade eine neue Welt auf, hier brach eine neue Gründerzeit an, in alten Obst- und Gemüseläden eröffneten plötzlich Lokale, in jedes feuchte Souterrain zog eine Bar, und in jedem heruntergekommenen Erdgeschoss machte eine Galerie auf. Hier schien gerade etwas zu beginnen. Und weil auch Zelda Panda nach dem Studium etwas ganz Neues anfangen wollte, zog sie 2002 nach Berlin. Sie packte ihre CDs ein und ein paar Platten und ein paar Klamotten ein und fuhr los. »Ich dachte mir, irgendwas wird schon passieren!«

Sie bezog ein Zimmer in einer WG in Prenzlauerberg, später eine kleine Einzimmerwohnung. In einer Sushi-Bar hing in der Scheibe ein Zettel: Küchenhilfe gesucht. Zwei Tage lang schlich sie um den Laden herum, dann fasste sie sich ein Herz und sprach mit Herrn Kim. Herr Kim war ein netter Chef, er lud sie sogar ins Kino ein, fast ein Jahr lang half sie ihm in der Küche. Es war ihr erster Job, und die diplomierte Philosophin empfand so etwas wie Stolz.

Sie hatte recht behalten. Irgendetwas passierte immer. Man musste nur mutig genug sein. Sich gehen lassen, treiben lassen. So betrat sie eines Tages auch die Automatenbar in der Münzstraße, dieses halbdunkle, charmelose Lokal, das früher einmal ein Spielkasino gewesen war, und in dem sie kostenlos das Internet benutzen konnte, um mit den Freunden in Italien zu kommunizieren.

Und dort passierte es dann. Dort traf sie Freunde fürs Leben. Dort traf sie den Mann ihres Lebens. Einen Mann, mit dem sie Musik macht, und mit dem sie inzwischen verheiratet ist und einen kleinen Sohn hat. Ilpo Ringo heißt er – Ringo nach dem Star, und Ilpo nach einem guten finnischen Freund ihres Mannes. Alles, so schien es, war Zufall im Leben von Zelda, aber später »irgendwann hat das alles seinen Sinn.« Man kann sich treiben lassen wie ein Schmetterling, »die Freiheit des Himmels mit ihm teilen« – wie es in einem der Marzipan-Lieder heißt -, aber am Ende hat alles seinen Sinn gehabt. Am Ende hat immer alles seinen Sinn.

Zelda Panda hat die Reise nach Berlin nicht bereut. Zehn Jahre ist sie jetzt in der Stadt. In Italien lernte sie die deutsche Sprache kennen, in Berlin die Musik. Aus purem Spaß gründeten Stammgäste im Antje Öklesund, diesem Hinterhofclub in einer abbruchreifen Remise der Rigaer Straße, das Adriano Celentano Gebäckorchester, um einmal im Monat mit einer fast zehnköpfigen Besetzung und Pauke und Trompete, Flöte, Banjo, Kazoo und Gitarren das Publikum mit italienischen Schnulzen der Sechziger zu begeistern. Sie spielte mit der Girli-Band Squid Libets, und dann tritt sie immer wieder allein, nur mit ihrer Fellmütze, auf die Bühne: Marzipan Marzipan.

Den einprägsamen Namen fand die Literaturstudentin im deutschen Wörterbuch. Diese Vokabel hatte einfach einen wunderbaren Klang. Und weil es so schön klang, sagte sie es gleich noch einmal: Marzipan Marzipan. Nicht nur Zelda Panda findet den Klang dieses Wortes so wunderbar. Auch in New Jersey wurde man darauf aufmerksam. Seit sie dem unkonventionellen, unkommerziellen Sender WFMU ihre CD schickte, wird die Wahlberlinerin mit den schönen Namen auch jenseits des Teiches immer wieder aufgelegt. Sogar ins transatlantische Studio hat man sie eingeladen.

Zelda Panda hat viele Gesichter, und sie hat viele Namen. Wenn sie mit dem Orchester oder mit anderen Musikern und Bands gemeinsame Sache macht, dann ist sie Zelda Panda. Wenn sie alleine auf die Bühne tritt, dann ist sie Marzipan Marzipan. Roberta Perzolla, das Mädchen, das eines Tages aus dem kleinen Städtchen Pordenone floh, das ist eigentlich nie auf der Bühne. Das gab es einmal, vor langer Zeit, als es Zelda und Marzipan und Berlin noch nicht gab, irgendwo zwischen Venedig und Undine. Obwohl es Paralelen gibt zwischen Zelda und Roberta und Marzipan, die alle drei in dieser Wohnung wohnen, in der kleinen Reichenberger Straße, wie die Taxifahrer sagen.



Auftritt beim Berlinmarathon: Marzipan Marzipan & Resident Tourist


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