Kreuzberger Chronik
September 2013 - Ausgabe 151

Reportagen, Gespräche, Interviews

Bratwurst auf dem Friedhof


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von Hans W. Korfmann

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Foto: Dieter Peters
Der Geruch gebratenen Fleisches lässt auch an den Gaumen passionierter Fleischesser nicht immer nur das Wasser zusammenlaufen. »Ich finde das hier unappetitlich!«, sagt ein junger, nicht mehr ganz schlanker Mann, der in der Kreuzbergstraße wohnt. »Wenn der Bratwurstverkäufer bei uns vor der Aldifiliale stand, kam ich da nie dran vorbei. Aber auf dem Friedhof vergeht mir der Appetit!«

Der Mann am Grill stand plötzlich auf dem Friedrichwerderschen Kirchhof neben dem neuen Friedhofscafé. Und an diesem Café mit seinen Bionaden und den Schnittchen scheiden sich die Geister der Gemeinde. Während die einen protestieren, sind die anderen begeistert von der Ruhe und Abgeschiedenheit. Dass sie selbst das Ende der Ruhe heraufbeschwören könnten, ist ihnen zunächst egal. »Aber wenn das dann mal im Reiseführer drinne steht, und wenn die dann keinen Platz mehr bekommen in ihrem Café, dann fangen sie an zu meckern, dass das früher mal so schön still war hier,« sagt der passionierte Fleischesser.

Eigentlich liegt das corpus delicti ein ganzes Stück von der Touristenmeile entfernt, doch seit der Tagesspiegel gleich in zwei netten Artikeln auf das Friedhofscafé aufmerksam machte, kann sich das Café nicht über einen Mangel an Gästen beklagen. »Jeden Tag kommen ein paar Leute und fragen nach dem Weg!«, sagt Frau Rothe vom Blumenladen am Eingang zum Friedhof.

Das Café ist Teil einer neuen Strategie der Friedhofsverwaltung, die um ihre Pfründe bangt und sich »Mehr Leben auf dem Friedhof« wünscht, wie die Berliner Woche im Juni 2013 in der Überschrift schrieb. Immer öfter finden Veranstaltungen in Friedhofskapellen statt, Vernissagen, Konzerte, Dichterlesungen. In Mitte hat der evangelische Kirchenkreis sogar eine Arbeitsstelle für »Kommunikation und Marketing« eingerichtet, um Kirchen und Friedhöfe touristisch effektiver zu vermarkten, und dafür 160.000 Euro zur Verfügung gestellt. Seit dem Fall der Mauer ist der Tourismus eine begehrte Einnahmequelle. Diese Quelle möchte nun auch die arme Kirchengemeinde anzapfen. Und da passt das Café Strauss ins Konzept.

Allerdings kommen nicht nur gottesgläubige Touristen in das Café. Im Juni lud ein Unternehmerstammtisch zum »sommerlichen Netzwerktreffen« ins Café Strauss: »Erleben Sie die besondere Atmosphäre der Glashalle, des Restaurants und der Terrasse im parkähnlichen Friedhof. (...) Erfahren Sie in entspannter Atmosphäre, wie Betreiber von Läden, Cafés und Dienstleistungsbüros ihre Angebote lokal besser vermarkten können.«

So kommt es, dass abends schon einmal eine kleine Gesellschaft in Abendgarderobe beim Smalltalk mit dem Sektglas in der Hand vor dem Cafe steht – auch dann noch, wenn eigentlich längst Nachtruhe auf dem Friedhof herrschen sollte. Auch tagsüber sind einige Friedhofsbesucher irritiert über die gutgelaunten Gäste, die über Lebensversicherungen, den neuen Job oder die neue Geliebte plaudern. Auch Frau Rothe aus dem Blumenladen empfindet es als »unpassend«, wenn sie auf dem Weg zur Kapelle mit einer Urne an den Gästen des Cafés vorüberschreitet.

Deshalb haben die Cafébetreiber beschlossen, Pflanzkübel aufzustellen, um die freie Sicht auf den Tod zumindest etwas zu begren-zen. Und eine Hecke zu pflanzen, um das Ende des Caféterrains zu markieren. »Einen Zaun und Verbotsschilder wollten wir hier nicht aufstellen!«, sagt Martin Strauss. »Als wir die Friedhofsbänke von der Wiese trugen, auf der unsere Gäste so gern in der Sonne saßen, hieß es gleich wieder: »Das war noch Kreuzberg. Jetzt ist es Wessiland.«

Martin Strauss ist eigentlich kein Wirt, sondern Architekt. Er arbeitete in einem Büro, das auf dem Friedhof an der Bergmannstraße ansässig war, und dessen Schwerpunkt die Restaurierung alter Gräber und Friedhofsgebäude war. Jetzt ist er bei der evangelischen Gemeinde angestellt. Gleichzeitig betreibt er das Café.

Martin Strauss war auch dabei, als das Café auf dem Friedhof an der Großgörschenstraße restauriert wurde. Das charmante Finovo war zunächst ein Blumenladen, dessen Betreiber den alten Damen und Herren auf dem Weg zum Grab der Verwandten hin und wieder einen Kaffee spendierten. Im Innern des winzigen Häuschens bieten zwei kleine Tische kaum Platz zum Sitzen. Das Café Strauss ist wesentlich größer. Das Café Strauss ist ein professioneller Betrieb. Das ist der kleine Unterschied.

Doch Jürgen Quandt, zunächst 30 Jahre lang zuständiger Gemeindepfarrer, jetzt Geschäftsführer des Evangelischen Friedhofsverbandes Berlin Stadtmitte, hat keine Bedenken. »Wir sind überzeugt, dass der Caféhausbetrieb nicht im Geringsten die Totenruhe stört. Und die Behauptung, es gäbe Proteste, ist völlig aus der Luft gegriffen. Es gibt vereinzelte Beschwerden, aber mehrheitlich wird das Café von den Friedhofsbesuchern begrüßt. Das Café ist bezeichnend für die Entwicklung zu einer Öffnung der Friedhofslandschaft.«

Dennoch stellt sich für Frau Schröder, die am Friedhof wohnt und Gemeindemitglied ist, die Frage, ob man »der zunehmenden Kommerzialisierung der Friedhöfe so untätig zusehen darf. Und warum jeder, der sich Ruhe und Frieden auf dem Friedhof wünscht, gleich als weltfremder Träumer belächelt wird.« Doch bei der Verwaltung des Friedhofs stoßen die leisen Proteste eher auf Unverständnis. Eine junge Frau, die sich in ihrer Andacht gestört fühlte und über die Gäste des Cafés beschwerte, deren Kinder zwischen den Grabsteinen spielten, wurde zunächst über die finanzielle Lage des Friedhofs aufgeklärt und dann gebeten, ihre Haltung »doch noch einmal zu überdenken«. Immerhin hätten sich auf der Suche nach einer letzten Ruhestätte schon einige für einen Platz in der Nähe des Cafés entschieden: »Dann können meine Kinder dort sitzen und zu mir rübergucken.«

Auch Herr Strauss erzählt, dass eine Gruppe junger Leute regelmäßig erst »zum Henry ans Grab« und dann ins Café kommt. Frau Gaus, die mit ihrem Vater noch oft ans Grab der Mutter kommt, hat das Café nie betreten, aber sie sagt: »Wat soll mich denn da dran störn? Und die Frieda störts ja ooch nicht mehr.«

Frau Stempnierwsky aber stört es. Sie möchte mit ihrem Mann allein sein. Auch ihre Tochter »kommt nicht zu mir, wenn sie ein Problem hat, sondern die geht ans Grab und spricht mit ihrem Vater.« Als sie das Café sah, war sie »einfach entsetzt! Das ist doch pietätlos!«

Friedhofsmauern schützten eine Intimsphäre, doch die Zeiten, als Friedhöfe Orte waren, an denen Trauernde still mit Verstorbenen sprachen, an denen man auch einmal Tränen vergießen konnte, könnten bald vorüber sein. Pfarrer Quandt weiß, dass die Entwicklung nicht jedem gefällt. Auch gegen den Neubau eines Abschiedshauses haben Mieter aus der Nachbarschaft geklagt, nun geht es schon in die zweite Instanz.

Der Friedhofsgärtner Egon Elend, der viele Jahre in seinem Häuschen auf dem Friedhof wohnte und sich zwischen all den Toten sein Süppchen und seinen Kaffee kochte, ist noch nie im Café Strauss gewesen, »und da wär´ ich auch nicht hingegangen, als ich da noch wohnte. Die Friedhofsruhe war doch immer erstes Gebot.« Egon Elend erinnert sich, dass die Verwaltung schon vor zwanzig Jahren darüber nachdachte, ein Café zu eröffnen. »Früher sind die Trauergesellschaften nach dem Begräbnis immer rüber zu Ottokar, Zum Löwen hieß die Kneipe. Da gabs was zu trinken und was zu essen«, und da kam der Pfarrer schon mal auf den Gedanken, selbst ein Café zu eröffnen. Wo früher Ottokar war, befindet sich jetzt ein Café-Restaurant mit dem schönen Namen Atempause. Und ein paar Meter weiter befindet sich der Zuckerschock, Möglichkeiten zum Leichenschmaus gäbe es genug. Doch der Friedhof muss wirtschaftlich denken, leider sind 80 Prozent der Gräber an der Bergmannstraße heute Urnengräber. Die kosten im Zweierpack 688 Euro, all inclusive, also mit Bestattungskosten, und für immerhin 20 Jahre. Die Friedhöfe aber wurden angelegt, als ein ordentlicher Mensch noch in einem ordentlichen Sarg bestattet wurde. An einem ordentlichen Grab verdient der Friedhof immerhin 1800 Euro, hinzu kommt dann eventuell noch die Pflege durch die friedhofseigenen Gärtner. Immer mehr Flächen bleiben leer.

So wird der Friedhof allmählich zum Park. Die romantische Landschaft aus alten Gräbern, wilden Blumen und hohen Gräsern mit ihren versteckten Nistplätzen unzähliger Singvögel könnte bald der Vergangenheit angehören. Große Maschinen sind angerollt, Traktoren, Bagger und Rasenmäher, auf denen Fahrer mit Ohrenschützern sitzen, um das Gras auf Zentimeterlänge zu stutzen. Hecken werden geschnitten, Bäume gefällt, Stauden radikal zurechtgestutzt, damit die restaurierten Grabmale besser zu sehen sind, wenn die Touristen kommen.

»Im Hinblick auf die wirtschaftliche Tragfähigkeit (...) ist der entscheidende Punkt, Konzepte für die Konversion und neue Nutzung stillzulegender Friedhofsflächen zu entwickeln, die mit unseren Traditionen vereinbar sind, gesellschaftliche Akzeptanz erlangen können, und Ertragspotentiale erschließen«, erläuterte Jürgen Quandt auf einer Tagung im September 2009.

Vier Jahre sind seitdem vergangen. Ein Café wurde eröffnet. Es hat seinen Charme. Aber das Café ist nicht allein. Es gehört zu einer ganzen Reihe von Maßnahmen und Entwicklungen, die das Leben auf den Friedhöfen verändern werden. Daran, und nicht am Latte Macchiato, scheiden sich die Geister.

Zu vermieten: Die Kapelle


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