Kreuzberger Chronik
April 2013 - Ausgabe 146

Geschäfte

Der Rollanderhof


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von Horst Unsold

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Schon viele haben auf der Galerie der Markthalle ihr Glück versucht. Jetzt ist ein Weinhändler aus Hessen dort eingezogen.

Eigentlich verlassen die Menschen aus Saulheim Saulheim nicht. Sie fühlen sich wohl zwischen den Weinbergen nicht weit vom Rhein mit seinem warmen Klima und seinen von Rebstöcken gesäumten Ufern. Die 8000 Seelen im hessischen Hügelland kennen einander alle, und sie haben alle ihren »eigenen Gemischtwarenladen« mit Gemüse, Obstbäumen und Wein.

Nur der Martin hatte Lust zu studieren und ging nach Berlin. Aber irgendwann bekam er Heimweh nach Rudi, der mit seinem Gurubart und den langen Haaren noch immer so aussah, als sei er gerade aus Tibet heimgekehrt. Martin hatte öfter bei Rudi gearbeitet, im Weinberg, beim Ausschank und an den Marktständen. »Wenn wir abends von den Bauernmärkten heimkamen, hatte der Rudi für alle groß gekocht, und dann saßen wir die halbe Nacht und haben gegessen und getrunken...«

Rudi war dorfbekannt, aber heute kennen ihn auch die Leute in Frankfurt, und bald vielleicht auch in Berlin. Denn Rudi hat irgendwann aufgehört mit dem gackernden Federvieh und den Rüben, um sich mehr um den Wein zu kümmern. Inzwischen verkauft der bärtige Winzer 300.000 Flaschen Wein im Jahr. Kürzlich lud man den Ex-Hippie sogar ins kurfürstliche Schloss nach Mainz, um ihm den Staatsehrenpreis des Landes Rheinland-Pfalz zu übergeben.

Rudis Rolanderhof produziert auf 25 Hektar 46 sortenreine Weine, von denen immerhin 31 mit der Kammerpreismünze geehrt wurden. 2011 erhielten die Saulheimer 13 mal Gold, 11 mal Silber und 7 mal Bronze. Dennoch wäre das Weingut über die Grenzen Hessens hinaus wohl auch weiterhin unbekannt geblieben, gäbe es da nicht den Martin. Der setzte sich eines Tages mit Rudi an einen Tisch und sagte, die Weine müssten in die Hauptstadt. Denn kaum war der Martin wieder in Saulheim, hatte er Heimweh nach Berlin. Und dann verirrte sich Martin eines Tages in die Markthalle am Marheinekeplatz, wo die halbe Galerie leer stand.

Schon andere haben versucht, dort ein Café zu eröffnen. Sie scheiterten. Die Menschen sind lieber unten bei den Currywürsten und dem Souvlaki. Doch der Martin könnte es schaffen. Seit einigen Wochen kommen mehr und mehr Kreuzberger in den ersten Stock.
Das liegt zum einen daran, dass Martin nicht in der üblichen pseudopoetischen und blumigen Fremdsprache der Weintrinker vom Rebensaft doziert. Martin sagt: »Man muss sich kein Vokabular zulegen, um Wein zu trinken oder zu verkaufen.« Wenn die wortkargen Hessen vom Wein erzählen, dann hat der keinen Kirsch- oder Marzipanton, sondern er schmeckt nach dieser oder jener Traube. Obwohl man auch beim Rolanderhof so etwas wie einen Sprachcode hat und einen Wein »schmatzig« findet, wenn man ihn immer wieder auf der Zunge hin- und herschwenken muss, weil er so gut schmeckt.

Der zweite Grund für die zunehmende Beliebtheit der ersten Etage sind die bodenständigen Weine selbst. Es gibt nämlich keinen Tropfen, der nicht irgendwie vom üblichen Riesling, Burgunder oder Silvaner abweichen würde. Selbst der unvergorene Traubensaft, eisgekühlt, goldgelb, leicht trüb und feinläufig wie Öl, ist ein Geschmackserlebnis. Gekeltert und vergoren gibt es den goldgelben Traubensaft als Silvaner oder als Müller-Thurgau. Dazu kommen sechs Sorten Riesling, lauter Weine, die so schlichte und informative Namen tragen wie »Riesling vom Lös«, »Riesling vom Kalkstein« oder »Riesling vom Kalkmergel«. Martin sagt: »Wer hier keinen Wein findet, der ihm schmeckt, der soll da unten Bier trinken!«

Auch wenn das Preis-Leistungsverhältnis hier oben besser ist. Denn einen guten Roten gibt es ab 5,10 die Flasche. Und dabei handelt es sich nicht um einen Wein, wie man ihn für 5 Euro im Supermarkt kaufen könnte. Die Rolanderhofweine sind charakterstark, sortenrein und manchmal pulvertrocken. Der Portugieser zum Beispiel, der »ja mal aus Portugal zu uns kam, fühlt sich auf dem kalkhaltigen Muschelboden Saulheims ziemlich wohl.« Martin deutet auf das Glas, in dem 15-Millionen-Jahre alte Muscheln liegen. »Die findet man bei uns im Weinberg immer wieder...«

Den roten Portugieser gibt es auch aus dem Holzfass, ein Jahr älter, etwas runder und samtiger und einen Ton bräunlicher. Lachsfarben sind der Portugieser Weißherbst und der Merlot-Frühburgunder, ein fast weißer Wein aus roten Trauben, die ohne Schale vergoren wurden. Beinahe gänzlich farblos ist dagegen
der Spätburgunder Blanc de Noir. Der Höhepunkt im Sortiment aber ist die 2009er Spätburgunder Auslese, Edition Anna, ein Prädikatswein aus der Saulheimer Hölle. »Der Spätburgunder ist sozusagen unsere Allzweckwaffe – der schmeckt jedem. Ein sortenreiner Pinot Noir, 8 Monate im Fass gereift, supertrocken und von wunderbarer Farbe.«

Manchmal kommen selbst die maulfaulen Hessen in Stimmung. Auch wenn sie sonst eher zur nordischen Trockenheit neigen. Wenn die Neukreuzberger ratlos vor dem Sortiment stehen und vom sonntäglichen Krustenbraten oder vom Kabeljau erzählen, dann hebt Martin einfach die Schultern und sagt: »Sie können zum Fisch einen Rotwein trinken und zum Fleisch einen weißen: Wenn es schmeckt, dann machen Sie alles richtig!« •


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