Kreuzberger Chronik
November 2012 - Ausgabe 142

Reportagen, Gespräche, Interviews

Die Regenbogenfabrik


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von Erwin Tichatschek

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Dreißig Jahre lang existierte die ehemals besetzte Fabrik am Rande der Illegalität. Kürzlich wurde sie legalisiert.

Die Lausitzer Straße mit ihren unsanierten Miethäusern macht es auch geschickten Immobilienhändlern schwer, Kundschaft zu akquirieren. Während in der Nähe zum Kanal meterhohe, geschwungene Portale und ausladende Fenstersimse noch von besseren Zeiten und vornehmeren Mietern zeugen, wohnen in der eher schmucklosen Lausitzer Straße eher wehrhafte Türken und Studenten. Die schnörkellosen Fassaden tragen auch im Jahr 2012 noch das triste Grau der Nachkriegsjahre, und die einzigen Farbtupfer in der Großstadtkulisse sind Graffiti in Hauseingängen und an Häuserwänden. Der auffälligste dieser Farbkleckse befindet sich in der Lausitzer Straße Nummer 22. Dort ist die gesamte Breite der Hauswand mit schrillen, glänzenden Ölfarben bemalt. Auch die daneben liegenden Eingänge zu den Hinterhöfen sind voller Buchstaben, Bilder und Plakate. Irgendwo zwischen dem bunten Chaos ist ein Schriftzug zu erkennen: Regenbogenfabrik.

Ihre Geschichte beginnt am 14. März 1981. Seit einigen Wochen werden in Kreuzberg Häuser von jungen Menschen besetzt, die nicht nur auf der Suche nach günstigem Wohnraum, sondern nach alternativen Lebensräumen sind. Mit Hausbesetzungen wehren sie sich gegen die staatlich subventionierte »Abrisspolitik«, die Grundstücksspekulanten Haus und Hof öffnet. Die Kreuzberger Protestwelle gewinnt schnell an Größe. Sind es am 12. Dezember noch 18 besetzte Häuser im Stadtteil Kreuzberg, so sind es im März schon über hundert. Als die Polizisten in die Lausitzer Straße vorrücken, wo 60 Langhaarige ein Wohnhaus und eine alte Fabrik besetzt halten, kommentiert ein Polizist den Einsatz mit einer Bemerkung, die die Fabrikbesetzer so schnell nicht vergessen werden: »Das ist jetzt schon das 126. Haus!«

Drei Jahre später allerdings waren es nur noch zehn. Die Regenbogenfabrik gehörte dazu. Die Fabrik war ins Visier der Besetzer geraten, weil die Immobiliengesellschaft, die das Grundstück erworben hatte, Neubauten auf dem Gelände plante. Unter dem Motto »Kaputte Stadt retten« und »Lieber instandbesetzen als kaputtbesitzen« zogen die jungen Berliner in die leer stehenden Räume auf dem viele Quadratmeter großen Gelände. Andy Wolff war nicht dabei am 14. März, aber eine Woche später, als man die gelungene Besetzung mit einem ersten Fest feierte, trank er mit. Jahre später brachte er seine Tochter in die Regenbogen-Kita, und heute, mehr als 30 Jahre danach, ist er einer von 80 Mitarbeitern auf dem alten Fabrikhof. Mit 35 Festanstellungen, Arbeitsplätzen für Menschen aller Couleur scheint sich das alternative Wohn- und Lebenskonzept aus der Lausitzer Straße auch in den Augen der Politiker bewährt zu haben. In der Fabrikationshalle und den Remisen der alten Fabrik, deren Schornstein alle umgebenden Wohnhäuser überragt, sind verschiedene Projekte untergebracht. Nicht jede dieser Maßnahmen wird von einem Verein getragen, und es gibt neben den gemeinnützigen auch wirtschaftlich rentable Unternehmungen wie das Café oder das Hos-tel, die als Gesellschaften Bürgerlichen Rechts auftreten. Der Geist aber ist der gleiche geblieben wie zu Anfang. »Am Ende landet alles in einem Topf«, sagt Wolff. Die jeweiligen Wirtschaftsformen sind im Grunde nur für die Buchhaltung, am Ende ist das Gesamtkonstrukt ein reines Non-Profit-Unternehmen, und was an Geldern durch die Kantine, das Hostel, das Regenbogenkino oder das Regenbogencafé hereinkommt, fließt in gemeinnützige Projekte wie die Fahrradwerkstatt, in der jeder gegen geringes Entgelt Beratung und Werkzeug erhält, die Tischlerei, in der sich jeder seine eigenen Möbel bauen kann, oder das offene Kinderatelier, in dem Kinder aus allen Bevölkerungsschichten viele Jahre lang malen und töpfern konnten. Nicht zuletzt aber werden mit den Einnahmen Arbeitsplätze finanziert.
Foto: Privatarchiv

Dieter Peters
Das kleine Café in der ehemaligen Erdgeschosswohnung strahlt bis heute noch die Atmosphäre der 80er Jahre aus. Auf dem Boden liegt Linoleum, die Türen, die von einem Zimmer ins nächste führen, sind ausgehängt, die Rahmen sind im selben eigelbfarbenen Ton gestrichen wie die Heizkörper und die Fenster. Über die gesamte Länge einer Wand erstreckt sich eine hölzerne Bank, die dem Café ein bisschen Bahnhofsatmosphäre verleiht. Ein junges Pärchen, das in einem Zweibettzimmer des Hostels übernachtet und das Frühstück für 3,50 vor sich hat, sitzt am Computer und plant die Tagestour: Jüdisches Museum, die archäologischen Ausgrabungen in Mitte, am Nachmittag ein Besuch auf dem stillgelegten Flughafen. »Aber vorher essen wir noch ein Stück von diesem Berliner Zupfkuchen!«

Der Zupfkuchen ist eigentlich ein russisches Rezept, aber Russland ist nicht weit in Berlin. Gebacken haben ihn die »Kuchenbäckerinnen«, einst arbeitslose junge Frauen, die sich unter dem Dach des Regenbogens zusammenfanden. Zuerst verkauften sie ihre süßen Backwaren über die Straße, dann wurde das ehemalige Vereinslokal in ein Café umgewandelt, und das ist ohne die backenden Frauen gar nicht mehr denkbar.

So wie die »Kuchenbäckerinnen« sind auch die anderen auf dem Hof ansässigen Projekte eher zufällig entstanden und nicht von langer Hand geplant. Die Kantine, die sich heute mit ihrem Mittagstisch für 5 Euro und den Tischen im Hof mit seinen Bäumen und dem Spielplatz allgemeiner Beliebtheit erfreut, ist nicht das Resultat einer Geschäftsidee, sondern sie war, wie der Name schon sagt, die Kantine für die Mitarbeiter der verschiedenen Projekte. Die aber brachten immer wieder Freunde mit, dann eröffnete das Hostel, immer mehr Gäste kamen, und inzwischen kommen auch die Anwohner aus der Nachbarschaft, um das kleine, aber feine gastronomische Angebot in Anspruch zu nehmen, sogar Kitas bestellen ihre Mahlzeiten in der Lausitzer Straße. Größer ist die Auswahl an Speisen trotz wachsender Nachfrage nicht geworden. Zwei Gerichte stehen täglich zur Auswahl.

Der wichtigste finanzielle Grundpfeiler aber ist das Regenbogen-Hostel, das Reisenden in Mehrbettzimmern Übernachtungen ab 10 Euro bietet. Die Idee lag nahe, da man ohnehin Gästezimmer für die vielen Freunde und Gruppen brauchte, die sich zu politischen Seminaren und Workshops in der Fabrik trafen. Heute sind die Gäste nicht mehr hier, um über Marx und Hegel zu diskutieren, es sind Urlauber, und auf der Weltkarte, die im Vorzimmer der Rezeption hängt, weisen auf dem gesamten Globus verteilte kleine Fähnchen darauf hin, dass die Gäste aus allen Winkeln dieser Welt kommen.

Ein Grund dafür waren die niedrigen Preise, mit denen sich die Regenbogenfabrik unter den Gastronomen nicht nur Freunde machte. Inzwischen hat auch das alternative Hostel ähnliche Preise wie andere Backpacker-Herbergen in Berlin, mit dem Unterschied, dass in anderen Hotels und Hostels häufig noch Aufschläge für Wäsche, Zimmerdienst oder Hochsaison anfallen, während die Preise in der Lausitzer Straße »ehrliche Preise« sind.

Neu im Programm der Fabrik ist das Regenbogenbüro, das nicht nur von Gästen, Freunden und Mitarbeitern genutzt wird, wenn sie Fragen oder Probleme haben, sondern das eine Anlaufstelle für Menschen aus der ganzen Nachbarschaft und damit so etwas wie ein privates Bürgerbüro geworden ist.

Eines der schönsten und populärsten Projekte der Fabrik ist das Regenbogenkino, das nicht nur mit einer wunderbaren Auswahl von Zelluloidstreifen besticht, sondern das auch mit einer professionellen technischen Ausstattung überrascht. Ein Highlight sind die bequemen Ledersofas, die in vor der Leinwand aufgereiht sind. Es gibt in ganz Berlin keinen schöneren Kinosaal als den unter dem Dach des alten Dampfsägewerks.

»Die Regenbogenfabrik ist eines der letzten noch funktionierenden alternativen Projekte in Berlin«, sagt Andy Wolff. Und sie wird es bleiben. Denn am 6. Dezember 2011, 30 Jahre nach der Besetzung des Fabrikgeländes und einer halb legalen, halb illegalen Existenz unterschreiben die Verantwortlichen der Regenbogenfabrik einen Erbpachtvertrag für weitere 30 Jahre. Damit dürfte das Haus Numero 126 eines der letzten sein, das sich erfolgreich gegen die Immobilienhändler zur Wehr setzte. •

Foto: Dieter Peters
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