Kreuzberger Chronik
Juni 2012 - Ausgabe 138

Essen, Trinken, Rauchen

Conni Island


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von Horst Unsold

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Das Café-Atelier von Horst Unsold

Die Frau vor der Kuchenvitrine deutet auf den Rhabarberkuchen, den ein ehemaliger Kuchenbäcker von Mr. Minsch gerade vorbeigebracht hat. "Ist der auch sauer?" Die Hälfte des Kuchens ist schon verschwunden. Vor einem Stück der verschwundenen Hälfte sitzt ein älterer Herr. Ein Herr, den Kinder niemals nach der Uhrzeit fragen würden.

"Ich weiß nicht, wie sauer der ist. Ich hab den noch gar nicht probiert", sagt Frau Schmidt, die Kuchenverkäuferin, die eigentlich Malerin ist, aber auch gerne Kuchen isst. Also hat sie kurzerhand eine große Tür in ihr Atelier in der Heimstraße einbauen lassen und ein Café eröffnet. Ein klitzekleines, bunt bemaltes, niedliches Café.

Frau Schmidt zögert einen Moment, wie ein Mädchen, das sich nicht traut, den Fremden nach der Uhrzeit zu fragen. Aber Cornelia Schmidt ist kein kleines Mädchen. "Sagen Sie, ist der sauer, der Rhabarberkuchen? Sie essen den doch gerade?" Der ältere Herr lächelt plötzlich. Und beginnt zu schwärmen. Das liegt nicht allein am Rhabarberkuchen, sondern auch an der Rhabarberkuchenverkäuferin. Sie bringt alle Männer zum Lächeln. Frauen ebenso. Und alle sagen "Conni" zu ihr. Weil sie immer noch jeden gleich mit "Du" anspricht, als wären es noch die Achtzigerjahre, und als wären sie und ihre Kunden immer noch 18.

Doch die Frau vor der Vitrine ist älter. Sie zögert. "Du kannst gerne ein Stück probieren!", sagt Conni, schneidet ein schmales Stück ab und reicht es mit Tellerchen und Gäbelchen der Kundin. "Der ist mir zu süß!", sagt die Kundin. Schon hat Conni das Tellerchen wieder auf ihrer Seite und sich eine Gabel der Kostprobe in den Mund geschoben. In Windeseile putzt die zierliche Person auch den Rest des Probestückchen weg, kein Krümel bleibt zurück.

"Wunderbar!", sagt sie und eilt nach draußen, wo sich zwei junge Mütter mit ihren Kindern in der Sonne niedergelassen haben. Kaum sitzen sie, sausen zwei Radfahrer zwischen den Tischen hindurch. "Totale Speedies!", sagt Conni. "Die kenn ich, die machen das nur für mich. Englische Popper, die zwei Häuser weiter eingezogen sind, mit exaktem Seitenscheitel und so." Seit Conni sie gebeten hat, langsamer zu fahren, werden sie täglich schneller. Einen Motorradfahrer, der durch ihr Café fahren wollte, hat sie auch schon angehalten, mit breit ausgestreckten Armen. Aber der wurde richtig böse. "Ich hatte den ganzen Tag noch Herzklopfen!"

Wenig später erzählt Conni den Müttern, die ihren Kindern, Fahrradfahrer oder Motorradfahrer hin oder her, vor allem freien Lauf lassen, von den Ernsties. Die "Ernsties" sind die Hauseigentümer, die keinen Spekulanten hereinlassen in ihr Haus. Die beiden Mütter hören gespannt zu, obwohl sie ja eigentlich über ihre Kinder quatschen wollten. Aber aus Conni sprudelt es eben immer nur so heraus, dieses ganze Leben. Und das finden alle ganz wunderbar.


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