Kreuzberger Chronik
Juni 2012 - Ausgabe 138

Geschäfte

Billard am Südstern


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von Horst Unsold

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Ein bisschen ist es wie im wilden Westen, ein bisschen wie in Berlins alten Kneipen. Und ein bisschen hip ist es auch.


Ein halbes Jahrhundert ist es her, da gab es am Ende der Gneisenaustraße nicht nur Cafés und Kneipen, sondern auch Automobile. Im Jahr 1961 kostete der Fiat 1500 L beim Autohändler am Südstern gerade mal 7590 DM. Die rollenden Spielzeuge für die großen Kinder in den Zeiten des Wirtschaftswunders waren durchaus erschwinglich.

Heute bekommen die Herren der Schöpfungen an gleicher Stelle für das gleiche Geld immerhin noch einen Billardtisch, der etwa genau so groß und auch fast so schwer ist wie das Automobil aus den wilden Sechzigern. Allerdings gibt es kaum etwas Unbeweglicheres als einen Billardtisch mit seinen schweren Schieferplatten und gewichtigen Edelholzverkleidungen.

Um so eleganter und geräuschloser rollen die bunten Amarith-Kugeln über die teure Platte, stoßen an die gedämpften Banden und kehren, wie von Zauberhand geleitet, wieder zurück. Wenn sie aufeinandertreffen knallen sie wie Peitschen und Pistolenschüsse.

Auch die Köcher aus Wild- und Krokodilleder könnten aus dem wilden Westen stammen und statt der Billardqueues die Pfeile galoppierender Indianer bergen. An der Wand hängen amerikanische Blechschilder mit Whiskyflaschen und Motorrädern, die daran erinnern, dass eine Flasche Jack Daniels ebenso zu einem Billard-Spieler gehört wie die Harley. Und wenn ein Mann mit Hut und finsterem Blick die silbernen Schnappverschlüsse an dem schmalen, schwarzen Koffer öffnen würde, der unter den drei Messing-Scheinwerfern auf dem Tisch liegt, dann wäre jeder Beobachter dieser Szene überrascht, wenn nur ein Spielzeug zum Vorschein kommt. Anstatt des gepflegten Präzisionsgewehres mit aufsteckbarem Zielfernrohr und Schalldämpfer.

Alles im Billardladen am Südstern erinnert an das schöne Leben in den Saloons. Die Flügel der Dartpfeile sind so bunt, als stammten sie aus dem Kopfschmuck eines erschossenen Indianers, und auch das
Der Fiathändler am Südstern, 1961
Pokerblatt ist westerntauglich. Der die Poker-Chips im echte Dollars wie hen. Doch das alles Vitrine ist absolut weeinzige Stilbruch sind Alukoffer, die gegen Kinderspielzeug ausseist Illusion. Die Kundschaft am Südstern ist gesittet. „Hier kommen manchmal Leute rein, gehen einmal kurz die sechs Tische entlang und sagen nach fünf Minuten: Den nehm´ ich. Und dann gibt es welche, die lassen sich zwei Stunden lang beraten wegen einer Packung Klebeleder für 1,20.“

Die Kundschaft im außergewöhnlichen Geschäft ist die gewöhnliche Kreuzberger Mischung: Kneipenbesitzer, Kneipengänger, professionelle Bundesligaspieler, und dann noch die, „die richtig viel Geld haben“ und sich einen Billardtisch für ihr neues Wohnzimmer kaufen. Damit das Whiskytrinken Stil hat. Eher selten kommen Frauen in den Billardladen am Südstern. Sie sind auf der Suche nach einem schönen Geschenk für den echten Mann.

Fasziniert stehen sie dann vor der großen Auswahl an verzierten Spielstöcken. In jedem Raum, sogar im großen, ausgebauten Keller, in dem noch einmal sechs oder sieben Tische stehen - Tische mit hellblauem, königsblauem, weinrotem, pechschwarzem oder klassisch grünem Tuch -sind an den Wänden die langen Galerien mit den Ahornstöcken. Es gibt sie nummeriert, handsigniert, limitiert, es gibt sie in schlichtem Weiß, in glänzendem Schwarz, in Naturholz, in Elfenbeinimitation und mit einer Fieberglaslasur; es gibt sie mit Leinengriffband, silbernen Zierringen, „Diamonds“ und „Crown Juwels“ -anstelle der echten Diamanten in den echten Queues der echten Westernhelden.

Foto: Dieter Peters

Die Firmen heißen Buffalo, Golden West oder Chicago, und die verschiedenen Modelle der Billardqueues tragen so phantasievolle Namen wie „Tycoon“, „Spark“ „Break“, oder „Jump Magic“, „Snake“, „Cobra“ oder „Cheeta“, oder auch etwas nüchterner „GWB-1“, „STB 1“oder „FC 1“. Niemals aber käme ein Billardqueuebauer auf die Idee, seinen Ahornstock F2 oder gar K3 zu nennen - ganz unabhängig davon, ob die edlen Stöcke 50 Euro und für 500 Euro kosten. Doch egal, wie sie auch heißen: die Produkte aus den Werkstätten der Queuemanufakturen sind Kunstwerke mit Kultcharakter. Und niemals würde ein Billardspieler seinen Queue zerbrechen. Ein Queue ist kein Tennisschläger, und ein Billardspieler kein Boris Becker.

Billardspieler waren schon in den Western etwas Besseres: Während am Nebentisch die Stammkundschaft mit abgegriffenen Spielkarten um ein paar lumpige Dollars pokerten, standen die Gentlemen in feinen Stiefeln und feinen Jacken am Billardtisch und rauchten Zigarillos. Auch wenn sich hin und wieder einige Greenhorns einmischen. So wie die junge Dame, die sich einen Billardtisch Marke Carambolage gekauft hatte und dann verzweifelt schrieb: „Der Tisch besitzt keine Löcher für die Kugeln und ich wollte fragen, ob sie solch etwas auch anbieten – also, ob Sie noch die Löcher einbauen können...« •

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